Meister Lampe, der Migrant

Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 02.04.2010
Sie ist Kunsthistorikerin, doch das Herz von Felice Naomi Wonnenberg gehört den Langohren. Seit 2001 ist sie Hasenforscherin - und das nicht nur zur Osterzeit. Der Hase ist für sie allgegenwärtig, auch in der Synagoge.
Von wegen "Grube" und von wegen "saß und schlief"... Davon kann keine Rede sein, denn sie sind überall, hellwach und äußerst umtriebig: In einem Fenster am Paderborner Dom etwa hüpfen sie herum, und im Kölner Dom lümmeln sie sich zu Füßen der Maria Magdalena. Dann wagten sie tollkühn den Sprung über den Ärmelkanal und ließen sich in insgesamt 29 Dorfkirchen in der Grafschaft Devon nieder.

Aber auch das reichte ihnen nicht! Und so wandten sie sich ostwärts - etwa in die Synagoge von Chodorov bei Lemberg und dehnten von da ihren Siegeszug weiter aus, - sagt jedenfalls Felice Naomi Wonnenberg:

"Der Osterhase hat sich aus heidnischer Zeit rübergerettet ins Christentum und im jüdischen Kontext hat er sich auch sozusagen von hinten eingeschlichen, dann aber einen ganz guten Platz in den Synagogen, und in den Gebetbüchern, den Pessach-Haggadot erobert."

Und das ist umso erstaunlicher, als Meister Lampe nämlich keineswegs koscher ist, was in der Torah ausdrücklich betont wird. Folglich kommt er denn auch nicht auf einen jüdischen Tisch - höchstens vielleicht in Schokoladen- oder Marzipanform.

Wie sich die Langohren aber dennoch hartnäckig ins Judentum und vor allem in die Pessach-Gebetbücher, etwa die Prager Haggadah von 1526 gehoppelt ha-ben - damit hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Hier nämlich dient Meister Lampe als eine, nein, nicht Hasen- sondern Eselsbrücke, damit man sich die komplizierte Abfolge der Segenssprüche merken kann, die gesprochen werden, wenn der Pessachabend auf den Schabbat fällt:

"Yak-Ne-HaZ" - "Jag ’nen Hasen" - also man sieht diese Darstellung der Ha-senjagd, aber das Wort "Yak-Ne-HaZ" setzt sich zusammen aus: Jajin, das ist der Weinsegen, K- Kiddusch, Ner - Lichtsegen, S’man - Zeitsegen. Und das sind sozusagen die Anfangsbuchstaben der Segenssprüche, die man sagt, wenn Pes-sach und Schabbat zusammenfallen. Und dieses Kürzel sollte helfen, dass man sich diese komplizierte Abfolge der Segenssprüche besser merken kann. Und dann hat man daraus "Jag ’nen Hasen"-Darstellungen gemacht."


Wobei diese "Jag ’nen Hasen"-Bilder im übertragenen Sinn durchaus ihre lange und traurige Verankerung in jüdischer Erfahrung und Erinnerung hatten. So sehen denn auch manche Historiker, wie etwa der Amerikaner Yosef Hayim Ye-rushalmi in den Hasenjagd-Darstellungen Symbole für die immer wiederkeh-rende tödliche Bedrohung der Juden in der Diaspora: Wie die Hasen waren sie jahrhundertelang unterwegs, immer gejagt, immer auf der Flucht, besonders im Mittelalter und zu Zeiten der Inquisition:

"Und man sieht dann in den Pessachbüchern Holzschnitte, wie die Juden, sich selber darstellend, als Hasen gejagt werden: von Jägern und von Hunden… Und diese Hunde werden manchmal auch spaßhaft als die "Dominikaner" be-zeichnet. Man machte dann ein Wortspiel: "Domini cani", die "Hunde Gottes", die Dominikaner, die sich in der Inquisition so besonders eifrig mit der Juden-jagd befasst haben. Das waren sozusagen die "Hunde Gottes", die die Hasen ge-jagt haben. Und dann sieht man diese Darstellung in den Pessach-Gebetbüchern, wie Hasen von schwarzweiß gefleckten Hunden gejagt werden. Die schwarzweißen Flecken der Hunde sollen an die Kutten der Dominikaner erinnern. Es ist eine jüdische Selbstdarstellung, in der sich die mittelalterlichen Juden in Deutschland als Angsthasen darstellen."

Nun hoppeln die Häschen aber keineswegs, so betont Felice Naomi Wonnen-berg nur durch die Pessach-Gebetbücher, sondern sie haben sich, vermehrungs-freudig wie sie nun mal sind, auch noch in andere Gefilde gewagt:

"Dann ist mir aufgefallen, dass es Hasendarstellungen oft in Holzsynagogen aus dem 17. und 18. Jahrhundert aus dem aschkenasischen Kulturraum gibt. Und zwar immer an ganz besonders prominenter Stelle nämlich direkt über dem Schrank, wo man die Torahrollen verwahrt, dem Aron Ha-Kodesh… Und
in diesen aschkenasischen Holzsynagogen gibt es Hasendarstellungen, ganz be-sonders interessante: nämlich Hasen im Dreierpack. Da gibt es auch wieder ei-nen Spruch und zwar einen deutschen: Der Ohren und der Hasen drei. Und doch hat jeder seine zwei."

Es ist genau die Darstellung, die man auch in dem berühmten Dreihasenfenster des Paderborner Domes wiederfindet. Als Felice Naomi Wonnenberg, neugierig geworden, nach Paderborn schrieb und um Aufklärung über die Dreihasensym-bolik im christlichen Kontext bat, sagte man ihr, dort seien die Tiere mögli-cherweise ein Sinnbild für die Heilige Dreifaltigkeit.

Doch wie - so mag man fragen - kommen sie in eine buddhistische
Höhle aus dem 6. Jahrhundert in China? Und wie von dort zum berühmten Sul-tan Saladin dem Prächtigen in den Nahen Osten des 12. Jahrhunderts?

"Da habe ich vom Kurator des Museums für Arabische Kunst in Paris eine sehr ehrliche Antwort erhalten. Er hat mir geschrieben: man vermutet, dass die Hasen, weil die sich ja wie die Karnickel vermehren, ein Fruchtbarkeitssymbol waren. Und das in allen Kulturen. Denn das haben die Hasen ja auch überall getan."

Die Mümmelmänner - das wird klar - waren offenbar zu allen Zeiten und in al-len Kulturen beweglich, flexibel und äußerst anpassungsfähig:

"Eigentlich ist der Hase ein Tier mit Migrationshintergrund, wie die deut-schen Politiker heute sagen. Durchaus integrationswillig! Er lässt sich auch im-mer den jeweils passenden Kontext an die langen Ohren dichten."