Meister des Gypsy-Swings

Von Simonetta Dibbern · 23.01.2010
Zur Legende kann ein Musiker werden, wenn er ein ungewöhnliches Leben geführt hat. Wenn er jung gestorben ist. Und wenn er darüber hinaus mindestens einen musikalischen Meilenstein gesetzt hat. Der Gitarrist Django Reinhardt erfüllt alle diese Kriterien.
Paris, 1937. Fünf Musiker spielen den heißesten Swing, den die Welt bis dahin gehört hat. Ohne Saxofon und ohne Schlagzeug, allein die Gitarre schlägt den Rhythmus.

Das Quintett de Hot Club de France. Mit dem Gitarristen Django Reinhardt und dem Geiger Stéphane Grappelli. Ein kongeniales Paar, ihr Zusammentreffen schlug Funken – es war die Geburtsstunde des europäischen Jazz.

Der kreative und experimentierlustige Kopf der Band ist Django Reinhardt. Geboren wird er als Jean Baptiste Reinhardt am 23. Januar 1910 in einem Wohnwagen im belgischen Städtchen Liberchie in der Wallonie, im Winterquartier seiner Eltern: Musiker der Vater, Tänzerin die Mutter. Sie sind Sinti – französisch: Manouches. Fahrende, die wenig später dann doch sesshaft werden: am Stadtrand von Paris.

Der Junge zeigt früh schon sein enormes musikalisches Talent: erst auf dem Banjo, dann auf der Gitarre. Er spielt in Bars, Tanzsälen, auf der Straße. 18 Jahre alt ist er, frisch verheiratet, als er bei einem Feuer in seinem Wohnwagen beinahe ums Leben kommt. Sein rechtes Bein bleibt gelähmt und die linke Hand verkrüppelt, der Mittelfinger ist nicht mehr zu gebrauchen. Doch Django Reinhardt gibt nicht auf und entwickelt seine eigene, eigenwillige Spieltechnik mit drei Fingern und Daumen. Die körperliche Einschränkung zwingt den Gitarristen, neue musikalische Wege zu finden: rhythmisch und harmonisch.


"Er hat den Jazz in die Musik der Gypsies gebracht – es war zwar eine traditionelle Auffassung von Jazz. Aber eine Art Frischzellenkur für unsere Musik."

Django Reinhardts Sohn Babik, ebenfalls Gitarrist, konnte später auf diesem Fundament aufbauen – damals, Anfang der 30er-Jahre, war die Mischung aus dem Swing der europäischen Gypsies und den Harmonien der afroamerikanischen Musik in jeder Hinsicht neu.

Es hat nicht lange gedauert, bis uns jeder kannte, sagt der GeigerStéphane Grappelli.

"Was wir spielten, war damals revolutionär, auch für die Jazzmusiker in Amerika. Wir wollten dasselbe, Django und ich: wir wollten nicht Tanzmusik spielen, sondern Jazz. Und das haben wir auch von Anfang an gemacht, 1937 im Brick Top in Paris: die Leute haben uns zugehört."

Das Quintett spielt in ganz Europa, macht Aufnahmen mit Gastsolisten wie Coleman Hawkins und Duke Ellington. Zwei erfolg- und ruhmreiche Jahre. Als Stéphane Grappelli kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in London bleibt, zerbricht die Band. Django Reinhardt sucht sich zwar neue Mitmusiker und wird, auch als Gast in anderen Formationen, weiterhin gefeiert als virtuoser Gitarrist. Doch alleine ist er den Anforderungen des internationalen Musikbetriebs nicht mehr gewachsen: seine Unzuverlässigkeit und Sprunghaftigkeit bringen ihm zunehmend Kritik ein. Und er selbst zieht sich immer öfter zurück, zum Malen. Und: zum Angeln. Nach einer letzten Tournee durch die Schweiz stirbt Django Reinhardt in Fontainebleau an den Folgen einer Gehirnblutung: am 16. Mai 1953. 43 Jahre ist er alt.

Sein musikalisches Erbe aber lebt weiter: mit seinem virtuosen Gypsy-Swing hat der Gitarrist eine ganze Generation von Sinti-Musikern inspiriert und geprägt. Django Reinhardt hat viele Welten verbunden mit seiner Musik: die kulturelle Tradition der Zigeuner. Die Atmosphäre der Pariser Cabaret-Theater. Und den Sound des europäischen Jazz.