Meister der Weltekelbeschreibung

16.10.2008
Nach seinem Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" lässt Heinz Strunk seinem Coup mit "Die Zunge Europas" ein neues Buch folgen. Hier treffen wir auf einen mit den Anforderungen des Lebens ringenden Mann, Anfang 30. Er hält sich als Gagschreiber über Wasser, kämpft mit Übergewicht und leidet unter seiner mäßigen erotischen Ausstrahlung.
Als der Hamburger Heinz Strunk 2004 seine schreckenerregenden Erinnerungen "Fleisch ist mein Gemüse" als unauffälliges Taschenbuch veröffentlichte, war nicht abzusehen, dass sich dieser Ausflug in die bierseligen Festzelte der 1980er Jahre zu einem Bestseller entwickeln würde, der als Operette und als Kinofilm Weiterverwertungen erlebte.

Was lässt man auf einen solchen Coup folgen? Strunk hat sich für die einfachste – und überzeugendste – Antwort entschieden und ist bei seinen Leisten geblieben. Auch in "Die Zunge Europas" treffen wir auf einen mit den Anforderungen des Lebens ringenden Mann, Anfang 30, der sich als Gagschreiber über Wasser hält, mit Übergewicht kämpft, Stunden vor dem Fernseher verbringt, Peter-Sloterdijk-Bonmots erfindet und unter seiner mäßigen erotischen Ausstrahlung leidet: "Ich löse bei anderen Menschen einfach keine sexuellen Wünsche aus."

Eine Woche lang verfolgen wir Markus Erdmann, so sein Name, wie er durch Discotheken zieht, seinen senilen Großvater zum Geburtstag beschenkt, an der öden Beziehung zu seiner Freundin Sonja leidet und erkennt, dass die blühende Jugend hinter ihm liegt und das herkömmliche Erwerbsleben kein Zuckerschlecken ist.

Heinz Strunks große Stärke liegt dabei in seinem Gespür für absurde Konstellationen. Ob er seine alte Armbanduhr zur Reparatur bringt oder als Beobachter an den Sonntagsorgien in einem Frühstückscafé teilnimmt, immer wieder zeichnet er skurrile Charaktere und weidet sich an sinnfrei-komischen Dialogen, deren Themen von Pfeife rauchenden Terroristinnen bis zu den "drei goldenen S der Fischzubereitung" reichen: "Säubern, säuern, salzen".

Das macht den Charme des Romans aus, denn wie kaum ein Zweiter versteht es Strunk, unschöne Alltagsobjekte mit einer Mischung aus Faszination und Ekel zu betrachten. Vor dem Auge des gepeinigten Lesers tut sich so eine wohl seit Kriegsende im Besitz von Markus' Großmutter befindliche Kunstledereinkaufstasche auf, an deren Flecken und Ablagerungen sich der deutsche Speiseplan seit 1945 ablesen ließe. Und wie steht es um "Wildlederstiefel mit Schneerändern"? Sind sie, da wollen wir Strunk & Erdmann sofort folgen, nicht wirklich der "trostloseste Anblick der Welt"?

Der strukturelle Trick des Strunk'schen Zweitlings besteht darin, dass sich sehr wohl ein Ausweg aus der faden Existenz des Pointenerfinders auftun könnte. Denn ein Verwandter Markus', Onkel Friedrich, hätte viel zu erzählen, von seinen Erfahrungen als Kaffeeexperte, die ihm das Attribut "Die Zunge Europas" einbrachte. Doch allen Vorsätzen zum Trotz rafft sich Markus nicht auf, das epochale Memoirenwerk zu Papier zu bringen. Das Projekt bleibt Projekt, und der Hamster entkommt bis zum Romanende seinem Rad nicht.

Monotonie durch Monotonie darzustellen, das macht gleichzeitig den Schwachpunkt des Romans aus. Unübersehbar ist, wie einzelne Episoden – eine Bahnfahrt, eine Kneipentour – ausgewalzt werden und dem Horizont der Figuren wenig Neues hinzufügen. Handlungszuspitzungen sind nicht die Stärke Heinz Strunks; zu redundant wirkt da manches, zu sehr auf Effekt bedacht.

Entschädigung dafür bietet "Die Zunge Europas" mit seinen vielen grotesken Genrebildern allemal, und wer weiß ... vielleicht schenkt uns dieser Meister der Weltekelbeschreibung irgendwann doch noch jenen Roman mit Verwöhnaroma, der uns auf Kaffeeplantagen entführt.

Rezensiert von Rainer Moritz

Heinz Strunk: Die Zunge Europas. Roman
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 318 Seiten, 19,90 Euro