Meister der Pferdekopfgeige

Von Tabea Schmitt · 28.07.2011
Die Pferdekopfgeige untermalt seit Jahrhunderten die Einsamkeit der mongolischen Steppe. Das Nationalinstrument soll auf ein geflügeltes Pferd zurückgehen, mit dem ein berühmter Sänger jede Nacht seine Geliebte aufsuchte. "Epi", der bekannteste Pferdekopfgeiger, lebt in Deutschland.
Enkhjargal Dandarvaanchig sitzt auf einem kleinen Hocker in der mongolischen Galerie "Zurag" in Berlin-Kreuzberg. Auf seinem Kopf thront eine kugelförmige Pelzmütze, dicke Büschel aus Fuchsfell umrahmen das runde, freundliche Gesicht mit dem schwarzen Schnauzer. Geduldig stimmt Enkjargal, genannt "Epi", die zwei Seiten seiner Pferdekopfgeige. Epi ist mit 43 Jahren einer der großen Meister des trapezförmigen Holzkastens mit Pferdekopf an der Stelle, an der westliche Geigen ihre Schnecke haben:

"Oben geschnitzte Pferdekopf, zwei Stimmwürfel, hat zwei Saiten, und da unten Klangkörper ist ein bisschen quadratisch, Parallelogramm Richtung. Der Bogen ist mit Schafsknochen vorne: Loch gemacht da durch die Pferdehaare gezogen und geknotet hinten. Haltung technisch ist wie Gambe."

Mongolische Volksmusik ist häufig inspiriert von den Geräuschen der Steppe, von galoppierenden Pferden, rauschenden Bächen, tosenden Winden – und der Stille. Mit leuchtenden Augen erklärt Epi die Geheimnisse seiner Klangkunst: Anders als westliche Musik folgen mongolische Lieder keinem festen Rhythmus.

"Das ist wie Du vorstellst, ein im Zaun lebendes Pferd - oder ein Pferd, noch nie im Zaun gelebtes Pferd. Das mongolische Pferd wäre natürlich gesungen bis zum Himmel. Freiheit, Freiheit bis zum Himmel. Und eure Pferde, andere Länder, Pferde sind immer im Zaun, deshalb so ganz andere Gefühle. Deshalb hier muss man mehr mit Rhythmen, mit den Takten, musikalisch gesehen 'im Takt bleiben'. Mongolische Musik gibt es keinen Takt. Deshalb Freiheitsgefühl... " - spielt Pferdekopfgeige - "Das war der Galopp. Das war Pferdegalopp und Kamelgalopp gemischt. Zwei verschiedene Galopp!"

Epi kennt die Freiheit der Steppe – er wächst in der Taiga der Nordmongolei auf. Seine Eltern sind Nomaden, die Familie zieht mit einer Herde Kühe und Pferde quer durch das Land. Als Epi zwölf Jahre alt ist, entdeckt eine Abordnung mongolischer Musiker sein Talent:

"Die haben 60 Kinder geprüft, ungefähr 60 oder 70 Kinder, die haben auf dem Klavier mitsingen gelassen, und Rhythmus mit Stock und Glas. Das waren die zwei Prüfungs-Auswähleart."

Epi ist einer von drei Jungen, die ausgewählt werden. Der Tag verändert sein Leben: Epi verlässt seine Familie, die Herde, die Stille der Steppe – und landet in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator.

"Plötzlich waren wir in einem Musikinternat. Da waren viel Kinder, da war überhaupt keine Zeit für Einsamkeit. Viel Hausaufgaben machen."

Epis Ausbildung im staatlichen Musikinternat dauert sieben Jahre. Er studiert Mozart, Bach, Beethoven – und natürlich mongolische Volksmusik: die Pferdekopfgeige und die geheimnisvolle Kunst des Unter- und Obertongesangs.

"Das Obertongesang, das kann jeder lernen: Unterkiefer vorschieben, Zunge nach L, wenn man Buchstabe L sagt, L – Man muss immer durch die Nase atmen, damit viel Luft im Bauch bleibt, dann kann man singen. Wie Operngesang, die Technik ist wie Operngesang. L" - singt mit Oberton - "Untertongesang mit dem Oberton nichts zu tun, also einfache Erklärung wäre für die Kinder natürlich: einfach das Geräusch von dem Motorrad nachmachen!" - mit tiefer Stimme - "Hallo mein Freund, wie geht´s Dir? Brummm….dann kriegt man´s einfach..."

Noch während seiner Schulzeit tritt Epi mit einem Pferdekopfgeigen-Quintett im Staatsfernsehen auf, Tourneen führen ihn durch das ganze Land. Als der "Eiserne Vorhang" fällt, gehört seine Truppe zu den ersten mongolischen Ensembles, die im Westen Konzerte geben: Von 1995 bis 1997 tourt Epi durch ganz Europa – dass er bald darauf eine neue Heimat in Süddeutschland findet, verdankt Epi einem Zufall:
"Bevor uns war ein mongolischer Zirkus durch Europa Konzert gespielt. Einer von den Zirkusplakatierer war ein deutscher Mann. Er hat mit einem von den Mongolen dieses Projekt auf die Beine gestellt. Er heißt Sebastian Grohne, mein erster Manager."

Die musikalische Neugier des Zirkus-Plakatierers öffnet Epi eine Tür zur deutschen Weltmusik-Szene. Schnell knüpft er Kontakte, wird Gastmusiker in internationalen Ensembles. In dieser Zeit explodiert Epis musikalisches Vokabular: Er experimentiert mit HipHop und Jazz, verschmilzt mongolischen Obertongesang mit persischer Santur, improvisiert zu den Klängen Johann Sebastian Bachs.

"Also das ist eigentlich eine wunderschöne Art zum Weitermusizieren: das Offene. Und eigentlich das ist total wichtig. Nicht nur die ganze Zeit nur traditionelles Thema, oder Komposition, muss man neue Wege gehen. Durch die Musizierung, durch die verschiedenen Kontinente zusammen, da entwickelt sich immer wieder weiter."

Heute lebt Epi mit seiner Frau und der 15-jährigen Tochter in Karlsruhe. Er tourt regelmäßig durch Deutschland, Frankreich, die USA. Seiner Heimat ist Epi dennoch treu geblieben: jedes Jahr verbringt er ein bis zwei Monate in der Mongolei. Bei aller musikalischen Offenheit hat Epi nie vergessen, dass die Quelle seiner Kunst in der Mongolei liegt – in den Klängen der mongolischen Steppe.
Mehr zum Thema