Meister der bayerischen Operette

Von Anne Raith · 21.11.2008
Mit einer Handvoll Männer fing vor bald 100 Jahren im bayrischen Au alles an: Sie sangen gemeinsam in der Tradition der "Liedertafel". In den Fünfzigerjahren brach die "Liedertafel Au" mit der Tradition und nahm auch Frauen auf. Damit, so die Chorchronik, "erhielt vor allem das gesellschaftliche Leben des Vereins einen erfreulichen Aufschwung".
Vorbei an Dörfern, Feldern und Höfen schlängelt sich die Deutsche Hopfenstraße vom bayerischen Freising aus durch die Hallertau – das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt – nach Au.

Jeden Mittwoch trifft sich die "Liedertafel Au" hier, im Gasthaus "Bergsteffl", zur Probe, oben im Versammlungsraum über der Wirtsstube. Während die Chormitglieder nach und nach eintrudeln und sich in die Anwesenheitsliste an der Tür eintragen, gibt der Notenwart die Texte aus. Stühle werden gerückt, bis alle 40 Mitglieder einen Platz gefunden haben.

Die "Liedertafel Au" ist ein Chor mit Tradition. 1911 gegründet, feiert er bald sein 100-jähriges Bestehen. Die meisten Mitglieder sind schon seit Jahrzehnten dabei, so wie Angelika Thalmeier, die ganz vorn sitzt, beim Sopran.

Angelika Thalmeier: "Schuld ist mein Mann, der war damals Junglehrer in Au. Damals, als Junglehrer, hat er in irgendeinen Verein eintreten müssen. Und jetzt sind wir über 30 Jahre dabei, und es ist wichtig in unserem Leben. Wir singen gern, der eine besser, der andere weniger gut. Aber es macht Spaß und das ist des, was zählt."

Und bei der "Liedertafel" ist jeder willkommen, der gerne singt. Vorsingen muss niemand.

Jakob Högl: "Die Schwierigkeit beim Laienchor: Man braucht natürlich ein gewisses pädagogisches Geschick. Aus den verschiedenen Stimmen einen homogenen Klangkörper zu schaffen, ist manchmal nicht ganz einfach. Aber es ist glaube ich auch viel Erfahrung."

Und die hat Chorleiter Jakob Högl inzwischen. Als junger Student der Kirchenmusik hat er den Chor Mitte der Achtzigerjahre übernommen. Und leitet die Liedertafel bis heute – mit Engagement und Ehrgeiz.

Hilde Seidl: "Er ist sehr genau. Man weiß, wenn man auf einen Auftritt probt, dass das auch 100-prozentig klappt, weil vorher gibt er keine Ruhe."

Sagt Chormitglied Hilde Seidl. Und diese Aufführungen sind es auch, die die "Liedertafel Au" über die Grenzen des Landkreises hinaus bekannt gemacht haben. Vor allem der "Holledauer Fidel" – eine bayerische Operette. Die einzige überhaupt, wie Hilde Seidl stolz betont.

Vier Mal wurde die Geschichte um den Hopfenpflücker Fidelius und seine Resi in der Urfassung in der Vereinsgeschichte aufgeführt. Das letzte Mal liegt schon mehrere Jahre zurück - und doch ist "der Fidel" jedem in Au und Umgebung ein Begriff. 6000 bis 7000 Besucher sind damals gekommen, alle Vorstellungen waren ausverkauft, erinnert sich Chorleiter Jakob Högl:

Jakob Högl: "Was für uns speziell eben in der Holledau wichtig ist, ist, dass der Hopfen eine gewisse Rolle spielt und unsere Inszenierung beim Fidel mit echtem Hopfen, echten Requisiten und dann auch gerade unter den älteren Mitgliedern mit Leuten gemacht wird, die die Arbeit kennen, und die Inszenierung bodenständig und realitätsnah ist."

Vitus Schuster ist einer von denen, die diese Arbeit kennen.

Vitus Schuster: "Ja freilich, früher hat man mit der Hand gezupft, da war's lustig. Und da sind in die Holledau hunderte von Leuten gekommen, da war was los."

Der heute 76-Jährige spielte damals einen Bauern, einen ziemlich versoffenen, sagt er und lacht. Inzwischen probt der Chor für den nächsten Fidel, in ein oder zwei Jahren soll der dann aufgeführt werden.

Doch so sehr die Tradition in Au zählt: Die "Liedertafel" hat Nachwuchssorgen. Selten zieht es junge Leute zu den Proben im "Bergsteffl".

Hilde Seidl: "Am schlimmsten ist es bei dem Männernachwuchs. Die Burschen, die haben alles andere im Kopf, aber nicht singen. Da muss man schon immer kräftig die Trommel rühren, dass man dann wieder ein, zwei gewinnt."

Die Trommel rühren, das macht die 56-jährige Hilde Seidl häufig: auf Hochzeiten, bei Geburtstagsfeiern, selbst zu Hause am eigenen Küchentisch.

Hilde Seidl: "Meine Tochter kann gut singen, und ich habe immer hingeredet an sie, sie soll doch dazu gehen, und sie meinte dann, ja, wenn wir etwas Flotteres singen würden, dann wäre sie schon bereit. Das ist ein Teufelskreis. So lange wir immer alte Sängerinnen haben, können wir nichts Flottes singen. Wir brauchen junge Sänger, dann gibt's auch was Flotteres zu singen. Inzwischen haben wir auch einige junge Sängerinnen gewonnen und singen auch viele englische Lieder."

Jakob Högl: "Mit "Ännchen von Tharau" und "Kein schöner Land", naja, begeistert man die Jugend nicht unbedingt."
Inzwischen hat Chorleiter Jakob Högl einen guten Mittelweg gefunden. Gesungen werden traditionelle Lieder ebenso wie moderne, englische Stücke. Und Hildes Tochter Claudia ist seit anderthalb Jahren auch mit an Bord.

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.