"Meine Lage wird immer unhaltbarer"

Von Tomas Fitzel · 10.05.2013
Für ihre Reportagen reiste Maria Leitner um die Welt. Sie nahm schlecht bezahlte Jobs an, um über die erschreckenden Lebensumstände der Arbeiter zu berichten. Sie war außerdem überzeugte Kommunistin. Sie floh daher aus Nazi-Deutschland, doch bekam weder in den USA noch anderswo Asyl. Schließlich landete sie, ausgehungert und vergessen, in einer Marseiller Psychiatrie, wo sie 1941 starb.
Ihre Reportagen lesen sich auch 70, 80 Jahre nach ihrer Entstehung noch immer so frisch, als wären sie erst gestern geschrieben worden. Schon in ihrer ersten Reportage 1925 über die Arbeit in einer amerikanischen Seidenweberei ist der ganz eigene Stil von Maria Leitner zu erkennen:

"Eine Tafel zeigt den Weg zu der Arbeiterannahmestelle an: "Hände melden sich rechts." "Hände?" "Nun ja, die Hände, das sind die Arbeiter", erklärt mir mein Vorarbeiter. Die Arbeiter werden einfach Hände genannt. Das wäre doch überall so Sitte. Ich finde aber doch diese Bezeichnung merkwürdig, ja unheimlich."

Da ist zum einen ihre genaue Beobachtungsgabe auch für scheinbare Nebensächlichkeiten, zum anderen nähert sich Maria Leitner ihrem Gegenstand ohne jedes parteiliche Vorurteil. Sie will ihre Leser nicht belehren, sondern mitreißen und unterhalten. Deshalb schreibt sie auch für einen der großen bürgerlichen Publikumsverlage, dem Ullsteinverlag und seinem Monatsmagazin UHU.

"Wir haben unsere Mitarbeiterin Fräulein Maria Leitner mit der schwierigen und mutigen Aufgabe nach Amerika geschickt, die dortigen Erwerbsmöglichkeiten durch das Opfer persönlicher Dienststellung zu studieren."

Sie ist im Dschungel Südamerikas und in höchst gefährlichen Gegenden der Karibik unterwegs. So entstanden ihr Reportageband "Eine Frau reist durch die Welt" und der Roman über ein Wäschemädchen im größten Hotel der Welt: "Hotel Amerika". Übersetzt in mehrere Sprachen. 80 Jobs wird sie dafür in drei Jahren annehmen. Typische Frauenjobs: Putzfrau, Kellnerin, Dienstmädchen –

"Dienstmädchen beim Alkoholschmuggler"

– Fabrikarbeiterin und Verkäuferin. Die Arbeit ist hart, miserabel bezahlt und oft entwürdigend, und trotzdem wird bei der Lektüre deutlich: Maria Leitner schlüpft mit großem Vergnügen in diese Rollen. Instinktiv spürt das auch eine der Damen, die sie als Putzfrau angestellt hat und ihr bei der Arbeit zuschaut.

"Sie ruft plötzlich im Ton tiefster Entrüstung: "Aber Mary, Sie arbeiten ja nicht, Sie spielen nur!"

Ihre Verkleidung ist eine doppelte. Hinter der Reporterin Maria Leitner verbirgt sich die revolutionäre Kommunistin. 1919 hatte sie aus Ungarn fliehen müssen nach der Niederschlagung der Räterepublik. In Amerika ist sie zugleich im Auftrag der Internationalen Arbeiterhilfe unterwegs. Es gibt von ihr nur drei Fotografien. Auf einer sieht man sie in Moskau 1920. Halblanges Haar, Schillerkragen, einfaches Kleid, eigentlich unauffällig als Typ, aber da ist dieser kecke Blick. Nach dem Sieg der Nazis 1933 reiste sie immer wieder illegal nach Deutschland, um aus erster Hand berichten zu können. Ein wahres Husarenstück begeht sie 1938. Sie lässt sich heimlich in Düsseldorf das Zimmer des verfemten Dichters Heinrich Heine aufschließen und trägt sich ins Gästebuch ein. Angst besaß sie offenbar keine.

"Sie ist nicht nur eine gute, sehr aktive antifaschistische Schriftstellerin, sondern auch eine der mutigsten und bescheidensten Frauen."
Oskar Maria Graf, 9.8.1938, an Prinz zu Löwenstein

…so Oskar Maria Graf. Maria Leitner steht auf einer internationalen Liste von 150 besonders gefährdeten Personen. Aber sie erhält dennoch kein Visum für die USA. Denn sie ist Kommunistin. Denen wiederum gilt sie aber als politisch unzuverlässig. Sie bekommt daher keine Aufträge mehr und hungert in Marseille. Ihre letzte Hoffnung ist ein Scheck der amerikanischen Hilfsorganisation "Bund für Freie Deutsche Kultur".

"Nur ist der Scheck noch nicht da. Hoffentlich kommt er bald, denn meine Lage wird immer unhaltbarer. Sie fragen mich, ob ich die Familiengeschichte abschließen konnte? Ganz im Gegenteil, glauben Sie mir, es ist unmöglich zu schreiben, wenn man kaum zu essen hat und obendrein in ewiger Unruhe lebt. Jedenfalls mir ist es nicht möglich."
Paris, 28.1.1939

Lange galt sie als verschollen, erst jetzt konnte die Autorin Julia Killet das genaue Todesdatum nachweisen. Maria Leitner verstarb am 14. März 1942 im Alter von fünfzig Jahren in einer Psychiatrie in Marseill.

Bücher von Maria Leitner:
"Hotel Amerika. Ein Reportage-Roman", Herausgegeben und bearbeitet, mit einem biografischen Nachwort von Traude Korosa. Edition Mokka.

Außerdem zu Maria Leitner:
"Maria Leitner oder: Im Sturm der Zeit", Herausgegeben von Julia Killet und Helga W. Schwarz. Karl Dietz Verlag Berlin.

Im Herbst sollen im Aviva Verlag ein Band mit Maria Leitners Deutschland Reportagen sowie ihr Roman "Mädchen mit drei Namen" erscheinen.

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