Meine Kirche, deine Kirche

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 22.03.2010
Die Grabeskirche in Jerusalem ist für Christen aller Konfessionen eine heilige Stätte. Und so teilen sich katholische, griechisch-orthodoxe, armenische, koptische Christen die Kirche in kleine Anteile auf. Wie das Nebeneinander funktioniert, zeigt der Film "Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen".
Die Grabeskirche zieht jährlich zahllose Pilger und Touristen aus aller Welt an. Aus allen Ecken erschallen Gesänge und Gebete, und Duftwolken verschiedenen Weihrauchs vermischen sich in den dunklen Gewölben. Hier teilen sich katholische Franziskaner, griechisch-orthodoxe, syrische, armenische und äthiopische Christen mit ägyptischen Kopten die heiligen Stätten.

Vor der schweren Eingangstür steht eine Gruppe junger, israelischer Soldaten. Eine junge Frau in Kampfuniform erklärt ihren Kameraden einen nicht nur für junge Israelis ungewöhnlichen Mikrokosmos:

"Also passt auf, hier ist wirklich der allerheiligste Ort der Christenheit. Erstaunlich, nicht? Die Kirche ist außergewöhnlich. Wusstet ihr, dass es äthiopische Christen gibt? Oder ägyptische Christen? Oder syrische Christen? Alle möglichen Christen, die du nicht gewöhnt bist zu sehen. Wir kennen nur die katholischen Mönche mit den Weihnachtsbäumen und all das. Also, wir werden gleich total coole Christen sehen und wirklich einen Eindruck von der Kirche gewinnen."

Dann führt die Rekrutin die Gruppe ins dunkle Innere der Kirche. Bei seinen Recherchen stieß Regisseur Hajo Schomerus auch auf diese ungewöhnliche Lektion in Staatsbürgerkunde für israelische Rekruten:

Hajo Schomerus: "Überraschenderweise sind die sehr ausführlich. Es wird viel aus dem Neuen Testament vorgelesen während dieser Führungen, und tatsächlich wird diese ganze Kreuzigungs- und Auferstehungsgeschichte fast wie eine historische Tatsache aus dem Märchenbuch vorgelesen, so betrachten sie ja dann auch das Neue Testament, aber das sind regelmäßige Besuche in der Grabeskirche, diese Führungen der Armee."

Sein 90-minütiger Dokumentarfilm "Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen" zeigt das verwinkelte Gebäude als Mikrokosmos christlicher Konfessionen innerhalb Jerusalems, das von Muslimen, Juden und Christen als Heilige Stadt beansprucht wird:

Hajo Schomerus: "Rechts geht eine Treppe hoch, links geht man hier und da hin. Überall an den Ecken sitzen Leute, stehen Leute, werfen sich auf Steine, reiben mit ihren Händen über einen anderen Stein, streifen mit den Haaren über einen Altar. Man hat das Gefühl, überall in der Ecke hat sich so eine kleine Nische gebildet, die da mal angeflickt worden war, es ist kein Ort, der an eine Kirche erinnert, wie wir sie hier in Europa kennen, sondern es ist ein total zusammengebasteltes Gebilde."

Der Status quo der Kirche wird eifersüchtig bewacht. Die einzelnen Glaubensgemeinschaften kontrollieren streng die ihnen zugeteilten Anteile. So ist die Nutzung der Grabkapelle nach einer strengen Reihenfolge geregelt: Erst zelebrieren die Griechen, dann die Armenier, dann die Katholiken.

"Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen", aber es gibt Bewohner erster und zweiter Klasse. Die abessinischen Christen, die wegen nicht bezahlter Steuern schon vor Jahrhunderten aus der Basilika ausgeschlossen wurden, haben sich auf dem Dach eingerichtet. Die koptischen Christen, die den Haupteingang des Grabes nicht benutzen dürfen, bauten sich eine kleine Kapelle an der Rückseite der Grabkammer.

Alle Konfessionen sind dabei von ihrem Alleinvertretungsanspruch überzeugt, erklärt Franziskanerpater Robert Jauch:

"Die Kopten tun mir auch schon mal leid. Wenn sie denn eine Liturgie haben, eine Zeit haben, in der parallel dazu eine Messe gefeiert wird von uns, die mit Orgelbegleitung ist. Aber Orgelmusik ist halt was Wunderschönes, und wenn hier die volle Orgel ertönt, dann ist es noch mal schöner, katholisch zu sein. Das schließt ja nicht aus, dass man Mitgefühl für die anderen auch hat."

Um die Osterfeiertage ist die Situation besonders angespannt. Vor zwei Jahren kam es zu einer heftigen Schlägerei zwischen armenischen und orthodoxen Mönchen. Der Streit zwischen den Konfessionen hat eine lange Tradition und deswegen wurden bereits vor Jahrhunderten zwei muslimische Familien mit der Bewahrung der Kirchenschlüssel beauftragt. Für den Regisseur auch ein Sinnbild für das Miteinander der Religionen in der Heiligen Stadt:

"Das macht es aber auch in der menschlichen Betrachtung so interessant, dass man im Film dann feststellt, die muslimischen Schlüsselwächter sind sich untereinander auch nicht so ganz richtig einig, wer denn nun der Wichtigere der beiden ist, rückt finde ich diese Perspektive auf das allgemeine menschliche Miteinander wieder ein bisschen in einen generellen Blick auf dieses, was jetzt auch diesen Ort Jerusalem auch ausmacht."

Vier Monate lang dauerten die Dreharbeiten. Der Film zeigt die menschliche Dimension der Protagonisten, zeigt ihre Begeisterung, aber auch ihre Enttäuschung in einem ungewöhnlichen Alltag:

Pater Robert Jauch: "Das ist ein sehr menschliches Unterfangen, da gibt es Höhen und Tiefen, da gibt es Augenblicke der klaren Gewissheit meines Glaubens, meiner Gottverbundenheit, meiner Geborgenheit in Gott, und dann gibt es auch sehr einsame Augenblicke, Zweifel und die teuflische Versuchung, alles hinzuschmeißen und zu sagen: Weißt du was, ich mach mich davon, ich mach was Eigenes!"

Neben Franziskanerpater Robert Jauch erzählen ein armenischer Priester, sein koptischer Kollege, der abessinische Mönch und der griechisch-orthodoxe Patriarch über ihr Leben in der der Grabeskirche. Eine entspannte und dabei nicht selbstverständliche Vielstimmigkeit in einer Stadt, die wie kaum eine andere im Visier der Massenmedien steht:

Hajo Schomerus: "In Jerusalem ist ja alles politisch und alles ist irgendwo aufgeladen und gerade die Medien sind jetzt nicht besonders gern gesehen in Israel, und auch in Jerusalem speziell sind da auf jeder Seite gebrannte Kinder zurückgeblieben, weil, ich glaube, immer ein Motiv erwartet wird oder vermutet wird zur einen oder zur anderen Seite, die Angst besteht, instrumentalisiert zu werden."

"Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen" zeigt ein Jerusalem jenseits tagesaktueller Schlagzeilen. Er führt den Zuschauer in einen vielschichtigen religiösen Mikrokosmos, der neben dem Streit der Konfessionen immer wieder auch kontemplative und spirituelle Momente aufzeigt.
Filmhomepage "Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen"