"Meine ganze Bildung habe ich dem Fußball zu verdanken"

Von Julia Riedhammer · 18.04.2011
Shamila Kohestani hat die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen in Afghanistan gegründet. Im eigenen Land ist sie dafür heftig angefeindet worden. Doch für Shamila und viele afghanische Frauen haben sich durch den Fußball Türen geöffnet.
Shamila Kohestani: "Etwas zu tun, wofür du brennst. Manche wollen gerne Arzt werden – ich will eben Fußball spielen."

Shamila Kohestani jongliert den weißen Lederball zwischen Kopf, Knie und Fuß hin und her. Dann fängt sie ihn und setzt sich aufs Bett ihres Studentenzimmers in New Jersey – weit weg von ihrer Heimat Afghanistan. Ohne Fußball wäre die 22-Jährige heute nicht hier:

"Fußball hat für mich nichts damit zu tun, einfach nur einen Ball zu kicken – es geht darum, das Recht zu haben, etwas zu tun, das du wirklich tun willst. Meine ganze Bildung habe ich dem Fußball zu verdanken."

Shamila Kohestani kommt als eines von acht Kindern zur Welt. In Kohestan, einem kleinen Ort im Nordwesten Afghanistans – daher hat sie ihren Nachnamen. Die Familie ist angesehen im Dorf, sie besitzt Land und ein eigenes Haus. Dann, 1996, übernehmen die Taliban die Herrschaft im Land.

Rede von US-Präsident George W. Bush vor dem Kongress am 20. September 2001: "Afghanistan`s people have been brutalized, many are starving and many have fled. The US respects the people of Afghanistan. But we condemn the Taliban regime."

Als Shamila Kohestani acht Jahre alt ist, vertreiben die Taliban die Familie. Sieben Schwestern, ein Bruder, Vater und Mutter müssen in eine kleine Wohnung in Kabul ziehen:

"Es war wirklich schrecklich für mich und meine Familie. Wenn Gebetsstunde ist, also fünf Mal am Tag, dann kamen die Taliban mit diesen großen Autos und zwangen die Leute, die Läden zu schließen. Also, meine Mutter und ich waren einkaufen und dann kamen sie und wir liefen davon und dann schlugen sie mich. Daran werde ich mich immer erinnern. Wie sie Frauen behandelt haben – nicht wie Menschen, sondern wie Hunde."

15 Jahre ist das her. Wenn Shamila Kohestani in ihrem Zimmer in New Jersey von den Taliban erzählt, wird sie noch immer wütend:

"Wir wurden ja schon dafür bestraft, weil wir unsere Nägel lackiert haben. Weil wir Frauen waren."

Shamila Kohestani darf nicht mehr zur Schule gehen. Heimlich unterrichten sie ihre älteren Schwestern zu Hause: Biologie, Mathe, Chemie. Der Vater unterstützt seine Töchter beim Lernen, keine Selbstverständlichkeit in Afghanistan:

"Viele Leute haben meine Eltern gefragt, warum sie uns nicht einfach hergeben, uns verheiraten oder so. Denn in Afghanistan heiraten ja die meisten schon mit 14. Aber mein Vater nahm uns in Schutz. Er sagte: Weil sie meine Töchter sind und ich für sie verantwortlich bin, werde ich es nicht zulassen, dass ihr Leben zur Hölle wird."

Nachrichtensprecherin von CBS News: "The first US troops in Afghanistan that set their foot into this Taliban stronghold. The Taliban had no intent to give up this strategic base easily."

Oktober 2001: Amerikanische Truppen stürzen die Taliban-Regierung. Shamila Kohestanis Familie hofft auf einen Neuanfang. Sie und ihre Schwestern gehen wieder zur Schule. Und sie endeckt ihre Leidenschaft, den Fußball:

"Ich war auf einer sehr konservativen Schule. Der Direktor wollte nicht mal, dass die Mädchen über Fußball redeten. Das war echt eine schwierige Zeit. Die Leute haben mich damals Hure genannt und dass ich zu amerikanisch sei. Sie haben Steine auf mich geworfen, als ich auf dem Spielfeld war. Aber das kann mich nicht abhalten. Ich sage nur: netter Versuch."

Shamila Kohestani will eine Fußballmannschaft gründen – mit Mädchen. Eine Nichtregierungsorganisation wird auf das Team aufmerksam und unterstützt sie. Es ist die Geburtsstunde der ersten Frauenfußballnationalmannschaft Afghanistans, mit Shamila Kohestani als Kapitänin:

"Ich dachte auch, vielleicht ist es zu gefährlich und ich sollte das nicht tun. Aber meine Eltern sagten: Du willst doch was verändern, also mach weiter!"

Die jungen Frauen trainieren regelmäßig auf einem Militärgelände in Kabul. Soldaten fahren in schweren Militärfahrzeugen und mit Gewehren im Anschlag Streife. Sie sollen dafür sorgen, dass niemand die Spielerinnen beobachten kann.

Shamila Kohestani erregt Aufsehen – in den USA bekommt sie mit einer Teamkollegin einen Preis für ihr Engagement. Präsident Bush schüttelt ihr die Hand und eine Highschool bietet ihr an, ein Austauschjahr in New Jersey zu verbringen. Sie entscheidet sich, einen Studienplatz für Politik anzunehmen:

"Ich meine, in die USA zu kommen, das war für mich überhaupt nicht einfach. Aber ich wollte das wirklich machen. Und jetzt liebe ich es, mein Leben, die Freiheit zu haben und die Möglichkeit, meinem Land zu helfen. Im Grunde erfüllen sich alle meine Wünsche!"

Seit Shamila Kohestani in den USA lebt, spielt sie nicht mehr für Afghanistan. Sie trainiert im Team ihrer Universität und will ihre Zeit vor allem zum Lernen nutzen – damit sie sich einsetzen kann für die Rechte von Frauen weltweit:

"Mittlerweile sind 25 Frauen im afghanischen Frauenfußballteam, und ich bin so stolz darauf, weil ich diejenige bin, die das angefangen hat. Also habe ich was zur Veränderung beigetragen und das hat eine positive Auswirkung für die Frauen bei mir zu Hause! Also bin ich sehr stolz auf das, was ich gemacht habe."
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