Mein Migrationshintergrund

Von Canan Topçu · 03.07.2009
Ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die einen Migrationshintergrund haben. Und neuerdings beschäftigt mich die Frage, wann ich ihn bekommen habe. Seit wann schreite ich mit diesem Schatten durchs Leben? Ich weiß es wirklich nicht so genau.
Ich weiß aber: Es gab ihn nicht von Anfang an. Zunächst war ich das Türkenkind, mit dem im Schulhof keiner spielen wollte, später wurde ich zur Ausländerin, die immer wieder die Aufforderung erhielt, in ihr Heimatland zurückzukehren. Später entpuppte ich mich zur Bildungsinländerin, die für ihre guten Deutschkenntnisse gelobt wurde und jetzt, mit Mitte Vierzig, bin ich eine Frau mit Migrationshintergrund.

Nicht dass Missverstände entstehen: Ich habe keinerlei Probleme mit meinem Migrationshintergrund. Ich stehe dazu, Tochter türkischer Gastarbeiter zu sein, die sich auf den Weg nach Almanya machten - ohne jegliche Vorstellung über das hiesige Leben, aber mit jeder Menge Hoffnungen. Ich leide nicht an meinem Schatten, im Gegenteil.

Der Migrationshintergrund verschafft mir Vorteile, seitdem sich der politische Wind gewendet hat und Migranten als Experten gefragt sind. Der Schatten trägt zu einem nicht unerheblichen Teil zu meinen Lebensunterhalt bei; er verhilft mir zu journalistischen Aufträgen, zu Vorträgen und Auftritten auf Podien.

In meinen Notizblöcken taucht das Wort Migrationshintergrund aber nie auf. Es ist ein viel zu langer und sperriger Begriff, lässt sich von Hand schwer schreiben, kostet viel Tinte und auch Zeit. Um ein Beispiel zu nennen: Bis ich auf Papier eine Rede festhalte, in der dieses Wort auftaucht, formuliert der Vortragende bereits seine nächsten Gedanken.

Daher kürze ich ab – anstelle von Migrationshintergrund notiere ich MHG in Großbuchstaben. Das kann ich leider nicht in meinen Artikeln, obwohl ich es gerne machen würde, weil es ein Zeilen füllendes Wort ist. Oft geht es mir so, dass ich das Ende des Artikels erreicht habe, noch bevor ich wegen des langen und blöden Wortes inhaltlich in die Tiefe gehen konnte.

Trotzdem: Ich will mich nicht beschweren über den Migrationshintergrund, an dieser Stelle lediglich anmerken: Ich selbst bekomme diesen Schatten nie zu Gesicht. Wann immer ich in den Spiegel schaue, sehe ich nur mich – ohne den Hintergrund. Ich weiß aber, dass er vorhanden ist und ihn in nicht loswerde. Ich habe meinen Migrationshintergrund verinnerlicht, weil er für die anderen vorhanden ist.

Insofern ist es überflüssig, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ein schöneres Wort zu finden, mit dem Menschen wie ich künftig bezeichnet werden können. Ich versperre mich aber nicht sprachlichen Veränderungen. Wer immer sich eine andere Bezeichnung für Menschen wie mich einfallen lässt, der sollte bitte darauf achten, dass es ein kurzes Wort wird.

Die Realität wird aber nicht schöner durch schönere Wörter. Die Menschen werden nicht weniger ausgegrenzt und nicht weniger diskriminiert. Sie werden nicht heimischer werden in diesem Land, wenn ein Wort durch ein anderes ersetzt wird. Was wir brauchen, sind nicht schönere Wörter, sondern eine andere Einstellungen zu Menschen wie mich. Ich versuche mein Teil dazu beitragen - mit meinen Artikeln, mit meinen Vorträgen, mit meinen Auftritten. Ich mache Gebrauch von meinen Migrationshintergrund!


Canan Topçu, Journalistin, Jahrgang 1965, seit 1973 in Deutschland, Abi 1985, Studium Literaturwissenschaft u. Geschichte, Volontariat bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", seit 1999 Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau", Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.