Mein Lieblingsort

Ein Park wie ein Theaterstück

Eine Bank im Weimarer Goethepark
Eine Bank im Weimarer Goethepark © Deutschlandradio / Henry Bernhard
Von Henry Bernhard  · 29.10.2014
Es ist ein Ort der kurzen Wege: Weimar - alles endet dort bei Goethe. Der Dichter wandelte im damaligen Lustgarten, der heute ein englischer Landschaftsgarten ist und im Volksmund als Goethepark firmiert. Ein Ort zwischen Weite und Intimität, findet Henry Bernhard.
Am Morgen eilt man am Park vorbei, mit dem Rad, zu Fuß, übers Kopfsteinpflaster auf der Kegelbrücke, über die schon Goethes Kutsche rollte. Geradezu aufs Schloß, dann teilen sich die Wege links und rechts.
Nur der Flaneur steigt hinab, direkt durch den Bauch der Brücke, auf den Kiesweg. Und schon ist er mittendrin im Goethepark, den ich niemals korrekt "Park an der Ilm" nennen werde.
Das Licht ist wundervoll, der Park noch fast menschenleer. Ein paar Jogger, ein paar Leute, die zur Arbeit gehen, eine Oma mit ihrem Enkelkind. Ansonsten ist hier alles leer. Keine Touristen, keine Weimar-Besucher, die mit Reiseführer rumlaufen und das Goethe-Gartenhaus suchen. Leute gehen zur Arbeit hier. Der Park wird benutzt. Wie wir damals.
Der Anfang? Lieg ganz am Anfang des Parks, unter der Kegelbrücke. Dort kommt der kleine Bach an, der in die Ilm fließt. Das klare Wasser floß da in die braune Brühe. Den Bach ein Stück hinauf – dort ist das Ochsenauge: Eine Quelle, kreisrund, vielleicht fünf Meter im Durchmesser. Und in der Mitte sprudelt Wasser nach oben, ganz leicht, wie in einem Wassertopf, der kocht.
Dort haben wir kleine Boote fahren lassen. Einer hatte ein U-Boot, ein ferngesteuertes. Da war ich immer sehr neidisch drauf.
Für das Abi lernen im Park
Es ist schön allein hier.
Dieser Park hat alles. Er hat Intimität und er hat Weite. Und das auf ganz engem Raum. Man kommt aus einem schmalen Weg heraus, von Bäumen bekränzt und überdacht, betritt die große Allee. Man geht diese Allee entlang, kommt in diese Wiese, die so lichtüberflutet ist, als ob sie das Licht, das auf sie einstrahlt, nicht mal fassen könnte. So glänzt sie, so gleist sie in der Sonne. Nebel steigt auf. Noch ein paar Schritte, und auf der linken Seite taucht das Goethe-Gartenhaus auf, man erkennt es kaum im Gegenlicht.
So schön wie heute war der Park noch nie.
So, jetzt gehe ich wieder auf die andere Seite, auf die schöne Seite, mit den Wegen, die sich winden, an der Ilm entlang, über die großen Wiesen, die im Sommer manchmal so hoch standen, dass man darin verschwand, wenn man sich hinsetzte oder hinlegte. Hier habe ich für mein Abi gelernt und für meine 10.-Klasse-Prüfung. Nicht ganz allein, und vielleicht haben wir auch nicht viel gelernt, aber: ich erinnere mich einfach an ... Freiheit und Leichtigkeit. Wie man so ist mit 16 oder 18, wenn alles noch offen steht. Vielleicht war es nie offener als hier auf dieser Wiese: das Leben. Mit diesem Blick, diesen Geräuschen, der Vögel und des Verkehrs, der doch unendlich weit weg war.
Und da drüben auf dieser Bank habe ich mal mit einer wundervollen Frau gesessen, mit Blick auf das Goethe-Gartenhaus. Eine zauberhafte halbe Stunde.
Jetzt kommen die Menschen, die so chic sind, als würden sie ins Theater gehen, wenn sie diesen Park betreten. So sehen die Besucher hier aus. Die Benutzer, die kommen in ihren Arbeitssachen, in Regenjacken.
Das wars – der Park! Ein zauberhafter Ort; mein Lieblingsort – vielleicht nicht nur in Thüringen.
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