Mein lieber Scholli ...

Von Rolf-Bernhard Essig · 07.03.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Mein lieber Scholli, Hals- und Beinbruch, Jemanden durch den Kakao ziehen, Mit dem Klammerbeutel gepudert sein, Hals- und Beinbruch!, Die Bretter, die die Welt bedeuten, Für jemanden die Hand ins Feuer legen, Mit dem nassen Lappen erschlagen u. a.
Holla(,) die Waldfee!

Manche erklären den Ausruf des Erstaunens auf Skatsprüche zurück, was nicht überzeugen kann. Einfacher ist es, an Frau Holle zu denken, deren Vormärchenexistenz die einer Dämonenanführerin ist, die durchaus auch im Wald vorkommen konnten. Insofern hätte man es mit ihrem leicht verballhornten Namen zu tun samt der Ergänzung, was sie ist. Auch der Holunder, der ja im Süden "Holler" heißt, wurde bemüht, wobei man bis ins Keltische zurückging. Wahrscheinlich ist es aber viel einfacher. Im Märchen kommt es immer wieder zu Begegnungen mit guten oder bösen Mächte im Wald (in der alten Mythologie gab es auch Waldnymphen), beispielsweise in "Hänsel und Gretel", "Schneeweißchen und Rosenrot", "Eisenhans" usw. Das geschah so regelmäßig, dass man eine Sache, die plötzlich auftauchte, mit der überraschenden, doch häufig erscheinenden Fee im Wald in Beziehung setzen konnte. Dafür spräche auch die schwankende Bedeutung des Ausdrucks zwischen positiv und negativ oder neutral.

Mein lieber Scholli!

Der Ausdruck hat inzwischen eine weite Verbreitung sowie eine Bedeutungserweiterung erfahren. Heute hört man ihn als Ausruf der Hochachtung, neckischer Empörung, des Erstaunens, früher dagegen verwendete man ihn als liebevoll spöttische Anrede an jemanden, der sympathisch, aber nicht ganz auf dem Boden der Tatsachen steht, vielmehr Luftschlösser im Kopf hat und ein wenig närrisch ist.

Die Wendung geht auf Ferdinand Joly zurück, der von 1765 bis 1823 lebte, der auch unter dem Beinamen "der ausgejagte Student von Salzburg" bekannt wurde. Hugenottischen Ursprungs wurde er – die Gründe liegen im Dunkel – 1783 der Salzburger Universität verwiesen. Wie seine mittelalterlichen Vorfahren François Villon oder Carl Michael Bellmann zog auch er durch die Lande, fand mit seinen Lieder, Stücklein und Gedichten mal ein größeres, mal ein kleineres Publikum, jedenfalls fast immer ein Nachtlager und Essen. Ein paar Texte sind immerhin überliefert, volkstümlich derbe und witzige "Predigten" oder Szenen, außerdem einige lustige Lieder.

Ob sein Onkel, der Stiftsdirektor und Prediger von Kremsmünster war, das so gern gesehen hat? Das einfache Volk fand ihn jedenfalls wunderbar, und dort fühlte er sich wohl, weshalb er dann auch zur Figur des Volksschauspiels und sprichwörtlich werden konnte, als liebenswerter, herumstreifender Sprachkünstler, der sich einen feuchten Kehricht um die Hochkultur schert und nur seinen Ideen folgt. Daher rührt denn auch der durchweg positive Beiklang der Wendung bis heute.

Mit dem Klammerbeutel gepudert sein

Spätestens im 17. Jahrhundert kam man in adligen, später nicht einmal in beamtlichen und bürgerlichen Kreisen ohne Perücke aus, die dann auch noch gepudert wurde, um noch schöner auszusehen. Das machte in aller Regel der Barbier und Friseur, indem er dem jeweiligen Herren auf dem Stuhl einen Umhang umlegte, vielleicht noch ein Schirmchen vor die Augen halten ließ, um dann mit der Puderquaste oder vielleicht auch durchlöcherten Beuteln den weißen Staub schön gleichmäßig auf dem Kunsthaar zu verteilen.
Weil es so üblich war, konnte sich – nicht nur im Berlinischen – eine komische Redensart durchsetzen, die den Puderprozess aus dem Verschönerungswesen in die Sphäre des Schimpfens verlegte.

Klammerbeutel sind ja heute noch gang und gäbe, auch bei uns hängt einer im Bad. Wenn davon spricht, jemanden sei damit gepudert, dann meint man, durch Schlagen des Wäscheklammerbeutels – statt der Puderquaste – auf den Hirnkasten sei derjenige blöd geworden, dumm, einfältig, schwer von Kapee.

Hals- und Beinbruch!

Diesen derb ironischen Wunsch hört praktisch jeder, der in Skiurlaub fährt. Das ist natürlich ein Antiwunsch, wie es ihn öfters gibt ("Mast- und Schotbruch" beim Segeln). Man sagt etwas Schlechtes, das nicht eintreten soll, gleichsam das Gegenteil der Wendung "den Teufel an die Wand malen" erhoffend!

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kommt der Wunsch aus dem Jiddischen, wo es den Segenswunsch "hazlóche un bróche" gab. Er ging auf das Hebräische zurück, in dem "hazlacha""Glück" heißt und "b’racha" "Segen". So hätten wir "Hals" und "Bruch", aber wo kommt das "Bein" her? "Hals und Bein" ist eine geläufige Paarformel seit Jahrhunderten, in der "Bein" wie in Falzbein für "Knochen" steht.

Die Bretter, die die Welt bedeuten

Wenn man den Ursprung Geflügelter Worte sucht, dann kann man fast bedenkenlos auf Schiller oder Goethe tippen, denkbar wäre noch die beliebte Shakespeare-Übersetzung Schlegels und Tiecks. Ungeheur viele beliebte Zitate stammen aus Schillers "Glocke" oder den Balladen, aus "Hamlet" oder dem "Sommernachtstraum" oder aus dem "Faust". Das führte mich in der Sendung aufs Glatteis, so dass ich die Wendung mit den Brettern Goethes "Faust" zurechnete. Tatsächlich heißt es dort im "Vorspiel auf dem Theater":

Ich wünschte sehr, der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben lässt.
Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.


"Die Bretter, die die Welt bedeuten" sind auch hier gemeint, nämlich die Bühne, die von Wandertruppen mit Hilfe einiger Bohlen über einigen Böcken in Windeseile errichtet werden konnte, und auf diesen Brettern sah die staunende Bevölkerung, die früher fast nie aus ihrem Dörfchen oder Städtchen herauskam, dann die Geschichten aus aller Welt und allen Zeiten. Das Geflügelte Wort stammt aber nicht von Goethe, sondern von seinem Freund.

In Schillers schon zu Lebzeiten hoch beliebtem Gedicht "An die Freude" – das er selbst freilich und zu Recht nur als geselligen Scherz geringer Bedeutung ansah, der ganz unverdient gepriesen werde – heißt es:

Sehn wir doch das Große aller Zeiten
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Sinnvoll still an uns vorübergehn.


Otto Normalverbraucher

Heute heißt er "Max Musterman", aber noch immer taucht regelmäßig sein älterer Bruder auf, der nach dem Film "Berliner Ballade" von 1948, in dem der ganz dünne Gert Fröbe einen Kriegsheimkehrer spielt, wie es ihn damals millionenfach gab. Sein Name ist Otto, und weil er weder schwanger ist noch Schwerarbeit leistet, bekommt er eine Lebensmittelkarte, auf der "Normalverbraucher" steht, also ohne Zulagen. Sein exemplarisches Dasein verfolgt der durchaus heitere, doch keineswegs süßliche Film.

Oculi, da kommen sie!

Ein erwünschtes Ereignis, ein überraschender Besuch, ein hoffender Seufzer, all das kann man mit dieser Wendung ausdrücken. Sie bezieht sich auf die Jägersprache, in der es die so genannten Schnepfensonntage gab. Die wiederum bezogen sich auf den religiösen Bereich.
In der Kirche bezeichnete man die Sonntage im Kirchenjahr gewohnheitsgemäß jeweils mitlateinische Namen nach dem ersten Wort oder den ersten Worten des für diesen Sonntag vorgesehenen Messetextes aus der Bibel.
Die "Okuli"-Redensart stammt aus einem Merkspruch, der klärte, wann die Schnepfen ("sie") kommen, wann man sie jagen kann, wann sie Schonzeit haben:

Reminiscere – putzt die Gewehre,
Oculi – da kommen sie
Lätare – das ist das Wahre,
Judica – sie sind noch da,
Palmarum – Lirum, Larum,
Osterzeit – wenige Beut,
Quasimodogeniti – Hahn in Ruh, nun brüten sie.

Jemanden durch den Kakao ziehen

Als Kinder sprachen wir den Namen des Schokogetränks mit Lust am Provozierenden "Kakao" aus, und damit ist man bei der eigentlichen Herkunft angelangt, denn "Kakao" nimmt die sprichwörtliche Redensart als verhüllenden Ausdruck für "Kacke". Es handelt sich also einfach um eine abgemilderte, nettere, scherzhaftere Form von "jemanden durch den Dreck ziehen", denn "Dreck" steht ja auch für "Kot" oder "Scheiße".

Für jemanden die Hand ins Feuer legen

Im Mittelalter gab es allerlei Gottesurteile, zu denen die "Feuerprobe" gehörte, bei der man mit der Hand ins Feuer griff. Verletzte man sich nicht oder verschwand die Wunde bald wieder, galt man als unschuldig oder das Behauptete als wahr.

Viel älter und extrem beliebt als pädagogische Geschichte war allerdings die Tat des Gaius Mucius, genannt "Scaevola", was wiederum "Linkshand" bedeutete. Der junge und mutige Gaius Mucius hatte sich nämlich mitten in das Lager des feindlichen Etruskerkönigs Porsenna geschlichen, um ihn, der Rom belagerte, zu töten. Er kam tatsächlich zwei Personen sehr nahe, die offensichtlich höchst einflussreich, aber gleich gekleidet waren. Gaius Mucius entschied sich dafür, dass der, der den Sold auszahlte, der König wäre und tötete ihn. Auf der Flucht wurde ergriffen und vor den König, dessen Schatzmeister er getötet hatte, geführt und nach seiner Absicht befragt. Er äußerte ohne zu zögern: "Dich zu töten!"

Der König war erstaunt von dieser Freimütigkeit und fragte, ob alle Römer so tapfer seien. Da hielt der junge Römer seine Rechte in die Flamme eines Kohlebeckens, das dort stand und ließ sie verbrennen, ohne zu schreien. So standhaft wie er seine Hand habe verbrennen lassen, so standhaft würden alle Römer versuchen, Porsenna zu töten. Das beeindruckte den König so sehr, dass er Gaius Mucius freiließ. Der erzählte Porsenna, er selbst sei nur der erste von dreihundert Attentätern gewesen, die sich unters feindliche Heer gemischt hätten. Um kein weiteres Risiko einzugehen, brach der König die Belagerung ab und Gaius Mucius wurde zum Volkshelden unter dem Beinamen "Linkshand", weil er die Rechte dem Vaterland geopfert hatte. Er hatte wahrlich für jemanden die Hand ins Feuer gelegt.

Mit dem nassen Lappen erschlagen

Die scherzhafte Wendung kommt in allerlei Bedeutungen vor, wobei diejenigen, die mit dem Haushalt zusammenhängen, besonders beliebt sind. Man sagt aber auch: "Ich bin doch nicht mit dem nassen Lappen erschlagen", wenn man etwas nicht akzeptiert oder tun will. Ursprünglich handelt es sich, wie ältere Literatur andeutet, um einen Theaterausdruck. Was heute an Geräuschen im Tonstudio von CD genommen wird, wurde bei Dramen der Wandertruppen durch die Geräuschemacher hinter der Bühne oder in den Kulissen produziert. Dazu gehört der sprichwörtliche "Theaterdonner", der mit Donnerblechen produziert wurde oder eben vernichtende Schläge mit der Faust oder der flachen Hand, deren Geräusch mit einem nassen Lappen sehr überzeugend imitiert werden konnten, indem man ihn auf ein Brett schlug. Es wurde also niemand wirklich erschlagen, man tat nur so als ob. Wie so oft emanzipierte sich die sprichwörtliche Redensart von ihrem Ursprung und kann in verschiedenen Kontexten allerlei bedeuten.

Kräftig und deftig

Der Volksmund liebt es zu reimen und in Zwillingsformeln zu sprechen, man denke an "Rat und Tat", "wie der Herr so das Gscherr", "Hiebe statt Liebe", "mit Saft und Kraft". Die werbenden Worte "kräftig und deftig", die an Buden Hausmannskost versprechen, verdanken sich dieser Tradition. Wahrscheinlich wurde Form und Bedeutung des Wortes "deftig" sogar durch das Wort "kräftig" beeinflusst, denn von alters her hieß es soviel wie "schicklich" oder sogar "geziemend", später "anständig, vornehm" oder "belangreich, gewichtig". Die Bedeutung "derb" ist dagegen erst in der norddeutschen Umgangssprache entstanden. Also heißt "kräftig und deftig" "kraftvoll und gewichtig", was für eine Suppe oder einen Eintopf sehr lobende Worte wären.

Anhaltend gutes Wetter

Das ist zwar kein Sprichwort, keine Redensart, aber nachdem es ein Hörer wissen wollte, erkläre ich gern, warum das anhaltende Wetter keines ist, das stoppt oder aufhört, sondern eines, das so bleibt. "Anhalten" kann einfach beides bedeuten "stehen bleiben" oder "dauern", es kommt nur auf den Bezug an. Das einfache Wort "halten" hieß ursprünglich "hüten, weiden", woraus sich weitere Bedeutungen wie "heben", "festhalten", "meinen" (ich halte dich für ...) oder "dauern" entwickelten.

Das langt dick
Das Verb "langen" hat viel mehr Sinn, als man so annimmt. Vor allem in der Umgangssprache kann man es aber erfahren. Wenn man "jemandem eine langt", dann haut man ihm eine runter, was mit der Bedeutung "greifen" zu tun hat, man greift gleichsam in jemandes Gesicht. Wenn man dagegen stöhnt "jetzt langt's mir" bezieht man sich auf die Bedeutung "genügen", wozu das "auslangen" gehört. Man könnte auch sagen "es reicht mir". Genau daher kommt dann auch die Verwendung wie in der Hörerfrage, denn "das langt dicke" heißt "es reicht mir vollkommen". Beide Formen von "langen" kommt von der Bedeutung "eine bestimmte Länge haben". Das Wort "dick" als Verstärkung ist dagegen eine Art Joker und kann überall eingesetzt werden, ob es nun im genauen Sinn passt oder nicht (wie hier), man denke nur an "Ach, du dickes Ei!".

Jemand gibt an wie eine Tüte Mücken
Der Ausdruck lässt sich leicht mit der sehr alten Wendung verbinden "aus einer Mücke einen Elefanten machen", was ja aufbauschen, aber auch angeben heißt. Hat man nun eine ganze Tüte voller Mücken, so ist das zwar eine Menge, was die Zahl betrifft, aber eben doch nichts, was zählt, Gewicht hat, höchstens summt da etwas. Der gleiche Vokal macht den Ausdruck noch geläufiger.

Jemandem einen Tort antun
Wenn einem Torturen einfallen, ist man schon auf der richtigen Spur. Wie der Tort geht beides zurück auf das lateinische Wort "torquere", das "drehen, quälen, plagen" heißen kann und im Französischen zu "tort" wurde, was "Kränkung, Unrecht" bedeutet. Man tut mit dem "Tort" jemandem also ein Unrecht an, fügt ihm eine "Kränkung" zu. Es gehört zu den vielen französischen Ausdrücken, die in Deutschland heimisch wurden, weil die Sprache sehr lange die der Gebildeten war, sich durch die hugenottischen Flüchtlinge und später die napoleonischen Soldaten verbreitete.

Das Gras wachsen hören
Ja, wer das könnte, der hörte auch die Krebse niesen oder die Spinnen weben. Alle drei Wendungen beziehen sich auf extrem feine Ohren, denn natürlich ist es schlicht unmöglich, so etwas wahrzunehmen. Wie so oft verwendet man den Ausdruck in vielen Bewertungsnuancen, mal als Lob, mal als Tadel, mal als Feststellung.