"Mein 9. November": Wolfgang Ruske

03.11.2009
Wolfgang Ruske, heute 69 Jahre alt, war im Herbst 1989 Leiter der Schutzpolizei der Dienststelle Eschwege in Hessen. Diese liegt ca. 1,5 km von der Grenze entfernt. In den Dörfern des Eichsfelds blieb es am 9. November relativ ruhig, der Ansturm setzte erst am nächsten Tag ein. Heute ist er Vorsitzender des Arbeitskreises Grenzinformation e. V., der das Grenzmuseum Schifflersgrund in Asbach-Sickenfeld betreibt.
Ich erinnere mich hier an ein Abschleppunternehmen in Eschwege, die nun ständig mit den Abschleppwagen unterwegs waren von den Grenzorten in Richtung Eschwege oder Richtung Kassel, wo Trabis liegenblieben, Zweitakter, die keinen Sprit mehr hatten, weil unsere Tankstellen so was ja gar nicht führen. Das musste also jetzt beigemengt werden, Öl und alles - also, diese Hilfsdienste, dass man die nun kostenlos transportiert hat. Oder die Automobilverbände brachten an die Straßen Karten, damit die Menschen sich zurechtfanden. Denn für den DDR-Bürger war das Gebiet hinter ihrer Grenze weiß. Keiner wusste, wo nun Nesselröden oder Dudenrode oder Ortschaften sind. Völlig hilflos standen sie dann da. Da konnten wir weiterhelfen.

Aber als die Kolonnen nun so stark waren, weil das nicht voranging, hatten wir auch gesehen, dass Hausfrauen aus den nahen Ortschaften mit Kaffee und Kuchen an die Straße kamen und unsere Nachbarn aus dem Osten bewirteten. Es war ein heilloses, fröhliches Durcheinander.

Und dann zeichnete sich eben auch: Wie könnte sich so etwas wie eine Wiedervereinigung vielleicht abspielen? Was uns da berührt hat, war, dass wir nun plötzlich auch nach drüben konnten in das Grenzgebiet, dass wir dann mit den Fahrrädern von hier losgefahren sind in die nächsten Nachbargemeinden. Was uns da berührt hat, war, dass wir eben spontan hier eingeladen worden sind von wildfremden Menschen zum Schlachtfest. Hier drüben im Eichsfeld wird also kräftig geschlachtet. Und wir waren also jetzt Gäste dort. Wir wurden jetzt bewirtet in diesen Tagen. Dieses Aneinanderrücken war eben das sehr Schöne dabei und gemeinsam jetzt Tränen in den Augen haben und die Zukunft jetzt vor Augen zu sehen, dass das doch jetzt das Signal für ein wiedervereinigtes Deutschland ist.