"Mein 9. November": Hans Reimann

04.11.2009
Hans Reimann wurde im November 1955 in Berlin-Mitte geboren – sein Vater, Max Reimann, leitete damals die im Westen gerade verbotene KPD und war in die DDR übergesiedelt, um sich einer Verhaftung wegen des KPD-Verbots zu entziehen. Hans Reimann wuchs in der DDR auf – und blieb mit der Großmutter auch dann, als sein Vater im Herbst 1968 in die Bundesrepublik zurückkehrte. Er studierte an der Humboldt-Universität Philosophie und arbeitete bis zum Ende der deutsch-deutschen Teilung für die FDJ.
Die Verwunderung darüber, dass es eine Grenzöffnung kommen muss, war bei mir nicht so groß. Aber die Art und Weise, wie das dann passiert ist, da war für mich eigentlich klar, dass mit dieser Entwicklung die Chance auf eine demokratische sozialistische Neuorientierung der DDR an dem Abend eigentlich quasi verloren ist. Das hat mich eher zum Nachdenken angeregt, als dass mich das persönlich in irgendeine Euphorie versetzt hätte. Das hat mich auch mit einer gewissen Furcht, muss ich schon sagen, begleitet, die ich auch lange, lange nicht losgeworden bin.

Wir sind dann mit der Familie auch nicht irgendwohin gefahren. Das hat mich auch viel zu sehr aufgerührt, irgendwo jetzt hinfahren zu müssen und mit den Leuten zu feiern. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass es wirklich für mich was zu feiern gab. Ich hatte eher den Eindruck, dass auch ein Stück dessen, wofür meine Eltern, mein Vater, gekämpft haben, im KZ gewesen sind - und, und, und -, sicherlich für falsche Ideale, mit falschen Mitteln und so, aber dass ein Stück von so einer Chance für eine neue, für eine andere Welt eben auch mit einer Rasanz unterzugehen drohte, die für mich völlig unnachvollziehbar war.

Das war für die, die beteiligt waren, die irgendwie mit dem System sich identifiziert haben, die das System trotz aller seiner Probleme, die waren ja jedem offenkundig, immer noch als Alternative zu der damaligen Bundesrepublik Deutschland betrachtet haben, der helle Wahnsinn, wie dieses System wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt ist und niemand da war, der eine Vision hatte oder der das irgendwie in die Hand genommen hat.