Mein 9. November: Günter Bohnsack

02.11.2009
Günter Bohnsack, heute 69 Jahre, war Offizier beim Ministerium für Staatssicherheit. In der Abteilung X war er für psychologische Kriegsführung und Desinformation im Bereich der West-Medien zuständig. In den 1990er-Jahren veröffentlichte er zwei Bücher, in denen er sich von seiner Stasiarbeit distanziert. Der ehemalige Geheimdienstmann wird deshalb immer noch von damaligen MfS-Kollegen als Verräter beschimpft.
Die Leute rannten völlig hysterisch durch die Gegend, hatten ihr Auto stehen lassen und rannten alle Richtung Bornholmer Brücke. Dort wohnte ich damals. Ich wusste, dass damit alles, meine politische oder auch soziale Stellung durchgestrichen wurde. Das war mir sofort klar, dass ein völlig neues Zeitalter begonnen hatte.

Ich habe natürlich vorher die Aktivitäten sowohl der Bürgerbewegung, aber auch die Aktivitäten der Gegenseite, also in dem Falle des Ministeriums, miterlebt. Ständige Übungen, Verdunklungsaktionen, Vernichtung von Unterlagen. Es war gespenstisch, wie im Führerhauptquartier in diesen Wochen vor dem Mauerfall, sodass die Maueröffnung auch wie so eine Ventilfunktion hatte. Es war die Luft eben raus, auch die Spannung raus und auch die Angst war von mir gewichen, schießen zu müssen. Denn wir sind ja ständig mit Maschinenpistolen nachts in dem Haus herumgegeistert, im Hauptquartier des MfS, also durchgeladen, es war also kein Kinderspiel, was wir da veranstaltet haben. Und die meisten hatten damals Angst, dass der Schießbefehl kommen könnte.

Und wie durch ein Wunder ist dieser Befehl ja nicht ergangen. Mit der Öffnung der Mauer klar, jetzt kommt der auch nicht mehr. Jetzt sind die Fronten klar und die Waffen werden also schweigen. Wir haben ja speziell den "Gegner", so wie es früher hieß, bekämpft mit psychologischer Kriegführung, haben also den Gegner diskreditiert, diskriminiert, Rufmord begangen. Und das habe ich mir eigentlich auch letztlich dann vorgeworfen, weil der Fall der Mauer ja bewiesen hat, dass dieser ganze Unsinn vorher sinnlos war.