"Mein 9. November": Alfons Hutter

06.11.2009
Alfons Hutter ist 56 Jahre alt und Dekan im bayerischen Amberg. Als Militärseelsorger begleitete er Soldaten nach Afghanistan und in den Kosovo. Ausländische Städte waren ihm zum Zeitpunkt des Mauerfalls geläufiger als Orte und Regionen in der DDR.
Ich hab die Deutschlandkarte neu lernen müssen. Ich konnte italienische, spanische, österreichische, Schweizer Städte super zuordnen. Aber ich hab überhaupt kein Gefühl gehabt, wie weit ist Potsdam von Berlin weg. Oder ist Dresden zehn Kilometer von Berlin? Und wo ist Leipzig und wo ist Sachsen-Anhalt? Wie heißt das überhaupt? Das hab ich lernen müssen. Für mich war da einfach eine Mauer. Es war die Mauer im wahrsten Sinn des Wortes. Ich kann da nicht hinreisen. Ich hab das nie besucht. Wir hatten keine Verwandten drüben. Insofern war das einfach Ostzone. Das war Ostdeutschland. So hab ich das neu buchstabieren müssen. Ich hab mir wirklich täglich die Deutschlandkarte hervorgeholt, um die Städte zuzuordnen. Und ich muss heute immer noch schauen.

Mir ist zum Beispiel letzte Woche passiert, dass ich mit dem Dienstauto nach Berlin gefahren bin. Und plötzlich denke ich auf der Raststätte: Mein Gott, was hast du jetzt gemacht? Du darfst doch mit dem Dienstauto nicht in die Ostzone fahren. Das war einfach drin.

Nein, nach zwei Sekunden war mir dann schon klar, dass das Land wiedervereinigt ist. Aber es ist mir immer noch fremd. Ich fahre immer mit so einem komischen Gefühl über die Autobahn. Ich war einmal als Student dort und ich hab da dieses ganze Theater an der Grenze mitgemacht - durchleuchtet und bis man da durch kam, am Rastplatz standen schon wieder Polizeiautos und was weiß ich. Das ist einfach noch ein bisschen drin.

Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde, war der 3. Oktober 90. Das war ja der sogenannte Tag der Wiedervereinigung. Ich hab damals dem Eichstädter Domkapitel angehört als Domvikar und musste mit dem Bischof von Dresden ein Treffen vereinbaren. Das war zehn Jahre vorher schon geplant. Und die Stasi hat uns da so lang hingehalten, es waren ja alles Priester, die da rüber wollten, und das ist dann zum 3. Oktober 90 1988 genehmigt worden. Die haben uns einfach diesen Termin hingeknallt, ihr könnt da einreisen.

Und dann fuhren wir rüber. Und wir wussten nicht, müssen wir den ganzen Bürokratiekram jetzt mitführen? Können wir da rüberreisen? Ist das jetzt legal? Und das war dann auch so. Und dann war ich eben am Tag dieser Wiedervereinigung vor der Semperoper gestanden und habe mit Ossis - ich sage es jetzt so - wild gefeiert. Und wir haben uns gegenseitig die Sektflaschen zugereicht. Es war ein Event, wie man heute sagen würde. Es war einfach eine ausgelassene Feier.

Ich konnte mich erinnern, dass die tonnenweise Bananen und Ananas gekauft haben. Es ging nicht um feine Unterwäsche und Kühlschränke zunächst, sondern es ging um Bananen und Ananas. Und da sind neue Geschäfte eröffnet worden, weil die Leute einfach dort direkt hinter der Grenze das kaufen und haben wollten.