"Meide amerikanische Server"

01.11.2013
Wolfgang Sander-Beuermann, Geschäftsführer des "Vereins für freien Wissenszugang" SUMA, fordert die europäischen Regierungen auf, sich im Internet von den USA unabhängig zu machen. Der Kampf gegen Google sei allerdings "David gegen Goliath".
Gabi Wuttke: Mal ehrlich, waren Sie noch überrascht, dass auch die geschlossenen, hochverschlüsselten Systeme der Internetmogule vor den Geheimdiensten nicht sicher sind? Wenn wir jetzt mal außer Acht lassen, inwiefern die Monopolisten Google und Co. sich dem Geheimdienst freiwillig oder unfreiwillig offenbart haben, dann stellt sich jetzt nur eine Frage: Müssen wir uns endgültig davon verabschieden, im Internet mit allem, was wir suchen, schreiben und ablegen, nackt zu sein?

Wolfgang Sander-Beuermann hat vor 20 Jahren an der Universität Hannover mit der Entwicklung von Suchmaschinen angefangen, inzwischen leitet er das Institut für Suchmaschinentechnologie des Vereins für freien Wissenszugang. Einen schönen guten Morgen.

Wolfgang Sander-Beuermann: Schönen guten Morgen.

Wuttke: Die Internetgiganten haben immer mit ihrer unknackbaren Verschlüsselung geworben – ist alles knackbar, wenn man nur will?

Sander-Beuermann: Im Prinzip ist alles knackbar – mit ein paar Ausnahmen, die so schwierig zu knacken sind, dass die Zeit, um es zu knacken, länger ist, als das Universum bereits existiert. Aber im Prinzip ist sonst eigentlich fast alles zu knacken.

Wuttke: Das heißt, es ist auch gar nicht mehr wichtig, ob es noch einen Schlüssel gibt, über den die Geheimdienste sowieso verfügen, sondern die Technik ist so gestrickt, dass es immer heißt, einer kann besser sein?

Sander-Beuermann: Hm, ja. Natürlich kann man da technische Gegenmaßnahmen treffen, und das aktuelle Probleme, was wir haben, dass die großen Server in den USA alle überwacht werden, das ist ja mehr ein juristisches Problem denn ein technisches. In den USA gibt es den Patriot Act seit den Anschlägen vom 11. September, und da wurden die Befugnisse der Geheimdienste durch dieses Gesetz drastisch erweitert, und da dürfen die Geheimdienste praktisch alles. Das ist da das Kernproblem.

Wuttke: Das heißt, was gestern öffentlich wurde, hat Sie mitnichten überrascht?

Sander-Beuermann: Nein, das hat mich überhaupt nicht überrascht, nein, nein. Die richtige Frage ist natürlich oder die spannende Frage ist, was können und müssen wir dagegen tun. Und darauf gibt es eine ganze Reihe von Antworten.

Wuttke: Sagen Sie eine!

Sander-Beuermann: Die erste Antwort ist: Meide amerikanische Server. Wenn die überwacht werden, ist das völlig nach US-Recht und -Gesetz. Das ist die erste einfache Antwort. Und die letzte Antwort darauf und die schwierigste, die komplizierteste, auch die teuerste ist, dass wir internetmäßig gesehen endlich aus dem Kolonialstatus herauswachsen müssen und dass wir eigene Internetstrukturen aufbauen – vielleicht angefangen bei einem deutschen Internet und dann ein europäisches Internet, eine europäische Internet-Infrastruktur. Genauso wie Europa ein Flugzeug beschlossen hat zu bauen, den Airbus, genau so was braucht man auch in der IT, und da sind wir ganz weit von entfernt.

Wuttke: Nun haben wir eine Gesetzeslage und wir hatten nie einen 11. September – das alles, was Sie sagen, unter dem Vorbehalt, dass die deutschen Geheimdienste sich an Recht und Gesetz halten.

Sander-Beuermann: Bei keinem Geheimdienst dieser Welt kann man darauf vertrauen, dass es sich immer an Recht und Gesetz hält, völlig richtig. Darum muss auch unsere Infrastruktur so beschaffen sein, dass es sehr, sehr schwer wird, da was zu knacken.

Wuttke: Sie haben ja die Suchmaschine MetaGer mitentwickelt – sagen Sie uns doch mal, was ist da sicherer, oder greifen wir das auf, was Sie gerade gesagt haben: Warum ist es so wichtig, dass man sich beim Suchen und beim Lesen und beim Schreiben und beim Ablegen im Internet weit verzweigt, also so wie jeder Banker sagen würde, streuen Sie Ihre Aktien, legen Sie nicht alles in ein Depot?

Sander-Beuermann: Ja, was bei uns anders ist: Bei uns werden die Nutzerdaten, schon während die Suche noch läuft, anonymisiert, gespeichert werden sie sowieso nicht. Und was bei uns auch anders ist: Wir machen nicht diese perfiden Werbemethoden, dass im Hintergrund ein ganzes Werbenetzwerk das mitkriegt, was in einer Suchmaschine gesucht wird, so wie das bei den großen Suchmaschinen, bei den US-Suchmaschinen üblicherweise ist, sodass man hinterher gleich die passende Werbung oder die äußerst unpassende präsentiert kriegen kann, sondern bei uns bleibt das auf dem Server, und auf dem Server ist es anonymisiert.

Wuttke: Und diese Anonymisierung, die ist unknackbar?

Sander-Beuermann: Die ist unknackbar, weil ein wesentliches Kriterium oder ein Datum dieser Personalisierung ist ja die IP-Adresse, die Internetadresse, und wenn die gar nicht erfasst wird, dann ist sie auch gar nicht da. Also man kann nur knacken, was wirklich da ist an Daten, und die sind bei uns gar nicht da.

Wuttke: Sie beschäftigen sich ja nun schon so lange mit diesem Thema – hat eigentlich die Bundesregierung mal bei Ihnen nachgefragt: "Guten Tag, Herr Sander-Beuermann, können wir von Ihnen was lernen?"

Sander-Beuermann: Das ist eine nette Frage. Nein. Es hat vor – ah, das ist urlange her – elf Jahren, glaube ich, mal ein Hearing dazu im Bundestag gegeben, da waren wir eingeladen, und da war so was überhaupt noch gar kein Thema. Da ging es um den Monopolstatus. Es ist ja grundsätzlich ungesund, wenn es in solch einer wichtigen Branche wie der IT nur noch wenige globale Konzerne gibt, die das Ganze völlig beherrschen. Allein deswegen wäre es gut, Alternativen aufzubauen, und das war damals vor elf Jahren das Thema, da ging es noch gar nicht um Privatsphäre und Datenschutz. Aber auch daraus ist weiter nichts geworden.

Wuttke: Ist das auch eine Frage, wie viel Geld man zur Verfügung stellt? Ich gehe jetzt mal davon aus, der Etat der NSA ist nicht gering.

Sander-Beuermann: Ja, klar, das ist die entscheidende Frage, völlig richtig, und das ist auch für uns eine sehr kritische Frage. Alles, was im Internet läuft und funktioniert, muss weiterentwickelt werden, und dazu braucht man Programmierer, und Programmierer müssen irgend wovon leben, die muss man bezahlen können. Und das ist das Hauptproblem von allen. Google hat 50.000 Angestellte und wir haben ein paar studentische Programmierer eingestellt, und das ist ein David gegen Goliath.

Wuttke: Wäre uns denn in Europa – Sie sagen, es muss auch politisch was passieren – wäre uns in Europa geholfen, wenn die Politik in Brüssel diese Geschichte nicht wieder versanden lassen würde, sondern mal einen echten Plan für ein eigenes Netz und neue Suchmaschinen aufbaut?

Sander-Beuermann: Ja, ich denke, das wäre sehr richtig, das Beste überhaupt, aber wobei ich meine, wir sollten erst mal in Deutschland anfangen. Und das gleich auf eine europäische Ebene zu stellen, das sollte im Hinterkopf dabei sein, es sollte auch mit geplant werden, aber wenn man das in einer nationalen Struktur zeigen kann, dass es funktioniert, dann ist es erst mal einfacher zu machen, kostet nicht gleich so viel Geld, und man sieht, dass es funktioniert. Und wenn es in einem Land funktioniert, dann kann man das auch weiter ausdehnen. Wir sollten es sicherlich nicht gleich auf die ganze EU ausdehnen – Großbritannien ist da auch kein leuchtendes Vorbild in dieser Hinsicht.

Wuttke: Aber World Wide Web, das hat sich dann erledigt?

Sander-Beuermann: Nein, überhaupt nicht, nein, nein, nein. Das ist ja transparent, das geht ja über die Grenzen rüber, nur das world wide abhören, das hat sich dann hoffentlich erledigt.

Wuttke: Sagt Wolfgang Sander-Beuermann, Chef des Vereins für freien Wissenszugang im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank für die Erklärungen und schönen Tag.

Sander-Beuermann: Danke, gleichfalls.

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