Mehrfachbehinderte Kinder

Der Kita-Besuch als Therapie

Ein Teilnehmer eines Flashmobs zur Inklusion malt mit Kreide einen Rollstuhl auf den Boden.
Mit dem Rollstuhl in die Kita: Für schwerstmehrfachbehinderte Kinder gibt es nur wenige geeignete Plätze. © dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen
Von Axel Schröder · 09.01.2016
Betreuung, Heilbehandlung, Sozialkontakte: Kitas für schwerstmehrfachbehinderte Kinder sind für deren Eltern eine große Entlastung. Doch es gibt nur wenige Einrichtungen dieser Art. Eine Hamburger Familie erzählt, wie ihr eine solche Kita im Alltag hilft.
Morgens früh um halb acht ist der Küchentisch gedeckt. Matilde und David Senger und ihre drei Kinder, Rafael, Magdalena und Carlota starten in den Tag. Im Januar wird Magdalena fünf Jahre alt. Das Mädchen mit den hellen Locken und wachen Augen ist schwerstmehrfachbehindert. Magdalena sitzt in ihrem Spezialstuhl, aus dem sie nicht herausfallen kann.
Matilde Senger:"Magdalena hat mehrere embolische Hirninfarkte nach einer Operation. Und seitdem kann sie eigentlich sehr wenig. Sie kann gucken und lachen und sich freuen. Aber was kann sie noch, Rafael? Sie kann gut atmen. Da sind wir ganz froh, dass sie kein Beatmungsgerät braucht. Das ist das, was sie kann."
Ein bisschen mehr Freiheit für die Eltern
Magdalena schaut rüber zu ihrem großen Bruder, schickt ein Lächeln über den Tisch. Jahrelang hat ihre Behinderung das Leben der ganzen Familie auf den Kopf gestellt. Eine Kita für sie zu finden, schien aussichtslos. Zwar gibt es im Hamburger Raum viele integrative Kindergärten. Aber keinen, in dem eine so intensive und qualifizierte Betreuung möglich ist, wie Magdalena und die anderen Kinder sie dort brauchen. Möglich ist das seit zwei Jahren in der Kita Sonnengarten, einem Modellprojekt der evangelischen Kirche.
David Senger: "Das ist wirklich ein Superprojekt. Aber das ist auch wirklich Glück gewesen, dass wir den Platz bekommen haben, weil es eben eine Neugründung war und die Gruppe noch nicht voll war. Ich weiß nicht, wie das sonst gewesen wäre."
Seit sie in der Kita Sonnengarten betreut wird, können beide Eltern wieder arbeiten, haben ein bisschen mehr Freiheit dazugewonnen. Unten vor der Tür hält der kleine Bus, holt Magdalena ab. Ihre Mutter winkt zum Abschied, das Mädchen lächelt.
Frühstück per Magensonde
Groß und hell ist der Gruppenraum. Eine breite Polsterbank an der Wand, Regale mit Spielzeug, Kuscheldecken, Musikinstrumenten. Sieben Kinder werden hier von sechs Erzieherinnen betreut. Besser gesagt: von Heilerzieherinnen oder Kinderkrankenschwestern mit pädagogischem Fachwissen. Jeden Morgen werden die Kinder erst gefüttert, einige bekommen ihr Frühstück in flüssiger Form über eine Magensonde. Dann beginnt der Morgenkreis, das tägliche Ritual zum Ankommen in der Kita.
Gesang: "Und jetzt geht's los! Ich bin da, Du bist da, wir sind alle da! Ist denn auch die Magda da? Die Magda, die ist da! Ich bin da, Du bist da, wird sind alle da ..."
Nach dem Morgenkreis zieht Julia Roman eine Schublade auf, holt bunte Glaswürfel heraus, legt sie vor Magdalena auf den Tisch, hält sie ihr vors Gesicht. Licht fällt durch die lila, roten, gelben Steine, Magdalena folgt ihnen mit den Augen.
Das Mädchen kommuniziert mit ihrem Lächeln und Glucksen
Roman: "Man braucht ein bisschen, bis man jedes Kind, jede Eigenart auch entdeckt hat und das Kind versteht. Es läuft viel über Mimik und Gestik, immer individuell. Bei Magdalena ist das ein bisschen einfacher. Magdalena hat einfach gelernt oder zeigt uns ganz klar, wenn wir zwei verschiedene Dinge zeigen, dass sie länger auf eine Sache guckt und dann einfach strahlt oder lacht oder gluckst, ein Geräusch macht. Dann wissen wir, das ist jetzt ihr Wunsch."
Jetzt sitzt Magdalena hellwach vor dem kleinen Tisch. Julia Roman baut vor ihr einen kleinen, bunten Turm aus den Würfeln. Die beiden schauen sich an, das Mädchen lächelt, ein bisschen verstohlen.
Roman: "Jetzt kannst Du's umstoßen. Willst Du's umstoßen? [Klappern] Ja! Super! Super!"
Die Steine purzeln durcheinander, Magdalena hat ihren Spaß. Von acht Uhr morgens bis vier Uhr am Nachmittag können Eltern ihre Kinder in der Kita Sonnengarten betreuen lassen. Vom Stammteam der Kita und von Logopäden, Physiotherapeuten und ehrenamtlichen Helfern.
Die Kinder machen dank der Kita Entwicklungsfortschritte
Roman: "Das schätzen die Kinder sehr. Es ist hier nicht nur ein reines Spielen und Beschäftigen, sondern die Therapien, die sonst zuhause stattgefunden haben, werden hier weitergeführt. Und das ist ganz wichtig. Wir haben tatsächlich viele, viele, viele Kinder, von denen wir sagen können, dass sie einfach Entwicklungsfortschritte gemacht haben."
Nachmittags bringt der Fahrdienst Magdalena und die anderen Kita-Kinder wieder nach Hause. Ihre Eltern, Matilde und David Senger sind schon da, nehmen das Mädchen in Empfang.
David Senger:"Das darf man ja niemandem erzählen, was das kostet. Eine Betreuung im Kindergarten kostet den Träger 1.000, 1.200 Euro. Das ist bei Magdalena locker mal das Fünffache. Da kann man sagen: Wir freuen uns an der Stelle, dass die Gesellschaft das für uns als Familie einfach mitträgt, dass es diese Möglichkeiten gibt."
Die ganze Familie ist dankbar, mit der Kita Sonnengarten einen Platz für Magdalena gefunden zu haben. Einen von insgesamt sieben Betreuungsplätzen in Hamburg für Kinder wie Magdalena, die der Familie ein halbwegs normales Leben ermöglichen.
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