Mehr Schrift denn je

Von Marietta Schwarz · 16.05.2013
Das geschriebene Wort ist in Zeiten des Internets lebendiger denn je. Und damit hat auch das Aussehen der Schrift an Bedeutung gewonnen. Aber welche Trends werden die nächsten Jahre bestimmen? Darüber fachsimpeln derzeit rund 1200 Marketingleute, Designer, Wissenschaftler und Künstler auf der "Typo" in Berlin.
Die Welt der Serifen, Laufweiten und Satzspiegel ist – noch mehr als alle anderen Bereiche der Gestaltung - eine große Unbekannte für den Laien. Und natürlich eine zu Unrecht missachtete. Zumal das geschriebene Wort in Zeiten des Internets – ganz anders als vorausgesagt – lebendiger denn je ist. Meint jedenfalls Jürgen Siebert, Programmdirektor der "Typo":

"”Mehr SMSe, Twitter, Social Media. Tatsache ist, dass heute eigentlich mehr geschrieben wird als vorher. Das geschriebene Wort ist unbeeinträchtigt von all diesen technischen Entwicklungen ein unglaublich wichtiges Kommunikationsmittel. Es kamen die Blogs dazu. Das geschriebene Wort hat an Bedeutung gewonnen und damit auch die Art und Weise, wie es aussieht und wo es erscheint.""

Bei der Typo geht es viel um Schrift. Aber es geht auch um viel mehr. Der Blick über den Tellerrand ist Prinzip, und er zieht in diesem Jahr wieder über 1200 angemeldete Besucher an. Vor allem junge Menschen – Gestalter und Studierende aus ganz Europa.

Auf der Bühne stehen Idealisten wie erfolgreiche Geschäftsleute, Wissenschaftler ebenso wie kreative Freaks. Ken Garland zum Beispiel, britischer Design-Hippie, der schon vor 50 Jahren ein Manifest gegen die Konsumgesellschaft formulierte und seither die Anti-Atomwaffen-Bewegung mit Visuals unterstützt. In seinem Eröffnungsvortrag bezog er sich auf das große Thema der Konferenz, "Touch":

"Wir müssen anfassen, wir müssen uns auf unser Gefühl verlassen. Wir können nicht auf die bloße Abbildung auf dem Bildschirm vertrauen", so Ken Garlands Botschaft, die mit allzu viel Händchen- und Babyfußfotos bebildert war und etwas peinlich mit der ersten Berührung seiner Frau vor 60 Jahren endete.

Bemerkenswert trotzdem, denn diese Grundskepsis gegenüber unserem Verhältnis zum Digitalen und unserer Abhängigkeit vom modernen Kommunikationsgerät zog sich wie ein roter Faden durch diesen ersten Tag der Typo.

Gemischte Gefühle hat auch Reto Wettach, der mit Nancy Birkhölzer auf der Bühne stand. Beide beschäftigen sich in ihrer Firma IXDS mit dem Verhältnis Mensch-Maschine und entwickeln Zukunftsperspektiven.

"Wir befinden uns in einer von Ingenieuren dominierten Phase", so Wettach weiter. Die große Herausforderung sei jetzt, dass sie, die Designer, das Ruder übernehmen, das Analoge stärker machen, die Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen und nicht die Technik.

Wettach stellt Gadgets und Prototypen vor, mit denen das Digitale fassbar gemacht werden soll: Ein Smartphone, das dicker wird, wenn das E-Mail-Fach überläuft. Einen Kreditkartenleser, der das Durchziehen der Karte erschwert, je mehr Geld bezahlt wird. Oder den Thumbkiss, eine App, mit der sich Paare in Fernbeziehungen über das Smartphone küssen können. Raunen im Publikum.

In einem Nebenraum sitzen 20-Jährige beim Kalligrafiekurs und lernen, wie man von Hand Schriftzüge vergrößern und verkleinern kann – komplizierter als ein Klick auf dem Rechner. Und Typo-Gründer Erik Spiekermann hat Druckerschwärze an den Händen.

Spiekermann: "Ich hab hier ein paar Holzbuchstaben mitgebracht und so ne kleine Micky-Mouse-Druckmaschine, dass man das alles anfassen kann, die Farbe anfassen, das Papier anfassen, das alles, was man am Computer nicht mehr kann."

Spiekermann schuf Schriftklassiker wie die "Meta" oder "Officina". Jeder kennt seine Schrift für die Deutsche Bahn. Er entwickelte Logos – fürs ZDF, Audi oder VW. Vieles entstand am Computer. Jetzt druckt der Grandseigneur der Typografie. Ganz analog.

Spiekermann: "Ich werde mit Sprache arbeiten, Sprache visualisieren, was ja mein Beruf ist. Aber es geht schon darum, dass man den Gegenstand, mit dem man arbeitet, in die Hand nimmt."

Dass die Szene sich wieder mit dem Handgemachten beschäftigt, habe kaum mit Nostalgie zu tun, sagt Spiekermann. Es werde so viel Datenmüll produziert, dass sich allmählich da eine Konsumkritik durchsetze. Zum anderen gebe es eben auch wieder so etwas wie ein Bedürfnis nach echter Erfahrung.

Spiekermann: "Natürlich als Gegenbewegung, sowie man auch wieder mit der Hand schreibt, wieder mit dem richtigen Füller. Oder wie die Bücher, die es noch gibt, die werden richtig schön gedruckt, der Billigdreck wird elektrisch und was wir noch haptisch zum Anfassen analog machen, muss dann richtig gut sein."
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