Mehr als rosa

Von Carolin Pirich · 02.01.2009
Singen allein ist ihnen zu wenig. Die Frauen vom Münchner Chor Melodiva verpacken ihre Auftritte immer in eine Geschichte. Sie schreiben neue Texte auf bekannte Melodien, schneidern Kostüme und entwerfen Choreografien. Gerade proben sie "Alice im Wunderland".
Ein hellgelb gestrichener, schmaler Raum im Haus der Jugendarbeit in München. In einem Holzrahmen hängen Regeln an der Wand: "Wir hören dem anderen zu", steht da. Oder: "Wir trinken und essen nicht in diesem Raum."

Wo tagsüber Jugendliche sitzen, treffen sich jeden Mittwochabend um halb acht die Frauen vom Melodiva-Chor. Von 25 sind heute Abend sechzehn zur Probe gekommen; Winterzeit ist Zeit der Heiserkeit. Aber wenn es irgendwie geht, versucht jede, immer dabei zu sein.

Umfrage unter den Sängerinnen:

"Viele Frauen machen etwas für ihren Körper, stählen sich, machen etwas für ihren Geist. Und ich finde: Singen ist einfach etwas für die Seele, es gibt ein Gänsehautgefühl."

"Die Proben bringen Leichtigkeit und Freude im Alltag. Das ist ein Ausgleich zum Beruflichen."

"Für mich bedeutet er, Frauen treffen, Freundinnen treffen und Spaß am Singen, ja, auch Spaß am Auftritt, weil wir auch Show machen."

Die Frauen haben mit routinierten Handgriffen ein elektrisches Klavier und eine Bonbonschachtel aus einer großen Holzkiste ausgepackt. Sie stehen im Halbkreis, rechts die Soprane, links die Altstimmen. Sie proben ihr neues Bühnenstück, das gerade entsteht.

Arbeitstitel: "Alice im Wunderland". Angelika Gradl, braune Hose, Kapuzenpulli, kräftiges kinnlanges Haar, restauriert tagsüber Möbel und trifft sich einmal in der Woche zusätzlich zur Probe mit anderen Frauen aus dem Chor, um Songs für das Programm auszusuchen und neue Texte zu schreiben.

Angelika Gradl: "Alice lehnt sich an Alice im Wunderland an, insofern, dass wir kleine Handlungsteile herausnehmen und umarbeiten in dem Sinn, dass Alice eine Figur ist, die als Stellvertreterin für Frauen oder für lesbische Frauen steht. Und so muss sie verschiedene Situationen durchlaufen."

Und die sind nicht immer angenehm, sondern ziemlich paradox, wie in der Buchvorlage von Lewis Carroll. So hat sich Alice gewünscht, schlank zu sein, wird aber ganz dick. Sie wünscht sich ihre Freundin zurück, aber es kommt die falsche.

Oder sie sehnt sich nach einem Leben ohne Ängste und bekommt, wie es Elke Amberg formuliert, Mann, Kind und Haushalt verpasst.

Elke Amberg ist seit zweieinhalb Jahren dabei. Sie hat schon vorher in Chören gesungen, aber Mitglied der Melodien zu sein, ist für sie auch eine Möglichkeit, ihr Lesbischsein zu leben. Öffentlich.

Elke Amberg: "Das ist ja das höchste der Gefühle, dass ich mit meiner Freundin Hand in Hand gehen kann, aber bei allem anderen muss ich vorsichtig sein. Dass du dein Begehren nach Frauen ausdrückst oder Flirten oder Eifersucht, alles was dazu gehört, das findet alles bei uns im Chor statt. Die Stories drehen sich um diese Sachen.

Für mich war es ein großartiges Gefühl, bei einem Auftritt singend auf der Bühne zu stehen; mit so vielen Frauen und mit meinem Lesbischsein auf der Bühne zu stehen. Ich war high."

Zu jedem Lied, jeder Szene entwickeln die Frauen eine eigene Choreografie. Da werden Arme in die Luft gereckt, es wird getanzt und die Hüften geschwungen. Die Revuenummern entstehen schon in der Probe. Chorleiterin Alexandra Ziegler achtet darauf, dass die Choreografie so früh wie möglich beim Singen eingeübt wird.

Alexandra Ziegler: "An sich sind die Lieder nicht so schwer zu singen, weil man sie schon oft gehört hat im Radio. Aber dann kommt der Moment, wo der Gesang steht, und dann sollen sie Bewegungen machen und der Gesang fällt um Monate zurück."

Die Frauen schneidern auch die Kostüme. In "Alice im Wunderland" singen eine Teekanne und ein Keks im Duett, um sie herum wirbeln Frauen in weiß und rosa über die Bühne.

Vor den Auftritten bekommen manche Frauen noch immer ganz weiche Knie, manche haben ihr Coming-out gerade erst hinter sich. Wenn im Publikum dann Verwandte oder Kollegen sitzen, ist das nicht immer ganz einfach.

Elke Amberg: "Die Eltern von einer aus dem Chor sind ganz konservative Leute, sie haben dann hinterher gefragt: Sind das alles Lesben? Auch die, die so hübsch und schlank auf der Bühne stand, auch die mit den langen Haaren? Ja, das sind alles Lesben. Das wirkt in dieser Vielfalt, in dieser Masse."

Im Stück ist Alice in paradoxen Situationen gefangen, noch weiß sie nicht, ob ihre Wünsche auch die richtigen waren. Und was sie sich überhaupt wünschen soll. Die Lösung würden die Frauen zwar verraten. Aber...

Angelika Gradl: "Wir wissen noch nicht, wie es ausgeht."

Jede Woche sitzen sie zusammen und verwerfen Ideen, nehmen alte wieder auf oder haben ganz neue Einfälle, über die erst einmal in Ruhe nachgedacht werden muss. Eines zumindest ist sicher:

Angelika Gradl: "Wir hoffen,(…) dass sie bei uns zum Schluss glücklich werden wird."