Mehr als Michelangelo und Co.

Von Anette Schneider · 22.04.2012
Italienische Kunst besteht für viele aus Leonardo da Vinci und Michelangelo. Zeitgenössische Künstler sind hierzulande kaum bekannt. Eine Ausstellung in Kiel soll das jetzt ändern. Acht junge Künstler zeigen Videos, Skulpturen, Fotos und mehr.
Vor einigen Tagen verbrannte ein verzweifelter Museumsleiter in Neapel öffentlich ein Kunstwerk - drastische Anklage gegen eine Kunst- und Kulturpolitik, die es nur noch auf dem Papier gibt.

Überhaupt denkt, wer an italienische Kunst denkt, wohl als erstes an Renaissance und Antike. Aktuelle Kunst aus Italien ist eher unbekannt. Umso erstaunlicher ist es, dass jetzt die Stadtgalerie Kiel eine umfangreiche Ausstellung mit Werken junger italienischer Künstler und Künstlerinnen präsentiert. Anlass ist der mit 20.000 Euro dotierte Kunstpreis "Premio Fondazione VAF".

Er wird vergeben von dem in Mailand lebenden deutschen Unternehmer Volker Feierabend, der seit den 70er-Jahren aktuelle italienische Kunst sammelt, und seit 2003 alle zwei Jahre den Nachwuchspreis auslobt. Damit verbunden ist eine Wanderausstellung, die in Kiel beginnt und in Rom endet. Und auch dieses Mal ist der aus prominenten deutschen und österreichischen Museumsleuten bestehenden Jury eine Auswahl gelungen, die Lust macht auf mehr - so lebendig, bissig, ungewöhnlich sind viele der Arbeiten, die in Kiel zu sehen sind.

Der Südtiroler Bildhauer Aron Demitz bearbeitet seine überlebensgroßen, aus Holz geschlagenen Menschenfiguren auf eine Weise, die ihrem Material völlig widersprechen: Er verbrennt sie. Und so steht man gleich am Beginn der Ausstellung vor einer Figur, die einem gewaltigen Stück Holzkohle gleicht: schwarz, brüchig, fragil.

Die Skulptur lässt denken an die in Hauswänden eingebrannten menschlichen Schatten von Hiroshima, an die vom Vulkanausbruch überraschten Menschen in Pompeji, an die Folgen einer Endzeitkatastrophe.

Acht junge Künstler und acht Künstlerinnen stellt die Ausstellung vor. Sie malen, bildhauern, fotografieren, entwerfen Installationen, arbeiten mit neuen Medien - und nicht einer oder eine von ihnen flieht dabei ins Abstrakte. Sie alle reiben sich an der Wirklichkeit, an dem, was sie umgibt.

Giulia Caira beispielsweise lädt den Besucher ein, an einem großen Konferenztisch Platz zu nehmen. Auf dem Tisch stehen zwei mal 8 Monitore mit angeschlossenen Kopfhörern:

"Jeder Monitor zeigt einen von acht Teilnehmern eines Meetings: Managertypen, Karrierefrauen, eine Sekretärin. Man sieht, wie sie diskutieren, streiten, gähnen, sich langweilen. Doch wenn man die Kopfhörer aufsetzt, hört man ihre Gedanken. Es ist eine Geschichte über die Widersprüche zwischen Arbeit und Privatleben."

Julia Caira spielt alle Rollen selbst: Den gelangweilten Jungkarrieristen, die alternde Chefin, die überdrehte Kontoristin, die alles zählen muss, was ihr in den Blick gerät. Die Widersprüche zwischen der jeweiligen äußeren Haltung und den Gedanken changieren dabei zwischen Witz und Tragik, enthüllen die Abgründe zwischen der verlogenen, glatten Oberfläche der Arbeitswelt und den inneren Konflikten, Aggressionen und enttäuschten Hoffnungen.

Einer, der die Künstler und Künstlerinnen mit auswählte, ist Klaus Wolbert. Wolbert leitete viele Jahre das Institut Mathildenhöhe Darmstadt und ist jetzt Vorstand der VAF-Stiftung, deren fünfköpfige Jury aus Museumsleuten den Preis vergibt:

"Man kann sagen von Bozen bis Palermo sind wir unterwegs, denn man kann Kunstwerke nicht beurteilen wenn man nur Kataloge sieht. Man muss mit den Künstlerinnen und Künstlern reden. Man muss sich ihre Arbeiten in den Ateliers anschauen, und danach entscheiden.
Dann kommt noch ein weiterer Punkt dazu: Dass wir versuchen wollen, das zu zeigen, was junge Künstlerinnen und Künstler heute bewegt: Wie sie denken, wie sie arbeiten. Und das macht natürlich auch die Vielfalt dieser Ausstellung aus."

Luigi Gariglio etwa führt in einer Fotoserie von der Werbung geprägte typische Frauengesten vor. Luana Perilli erzählt mithilfe alter kaputter Möbel die Geschichten der Menschen, denen sie einst gehörten. Und die 32-jährige Mariana Ferratto aus Rom präsentiert einen faszinierenden, nur knapp sechsminütigen Film: Er läuft in einem taghellen, kleinen Kabinett und zeigt vor einer weißen Museumswand, wie sich die nackte Künstlerin Stück für Stück weiße Kleidung überstreift: Röcke, Hemden, Pullover, Handschuhe:

"'Wärme mich, beschütze mich' heißt die Arbeit, in der ich versuche, mich in der Ausstellung unsichtbar zu machen. Deshalb verwende ich die viele weiße Kleidung. Es ist diese Ambivalenz: Als Künstlerin gibt man immer etwas von sich preis. Dies ist die andere Seite: Manchmal möchte man auffallen, wichtig sein. Manchmal möchte man klein sein, verschwinden.""

Die letzte Einstellung zeigt, wie die Künstlerin sich eine Gesichtsmaske und eine Kapuze überstülpt, still vor der Wand hockt und - ganz weiß auf weiß - mit dieser zu verschmelzen scheint:

"Wärme mich, beschütze mich." Eine Bitte, die die gegenwärtige italienische Gesellschaft den jungen Künstlerinnen und Künstlern verweigert: Schon während der langen Berlusconi-Ära sei massiv an Kultureinrichtungen und Kunstförderung gestrichen worden, erzählt Giulia Caira. Und jetzt, in der Krise, spiele Kultur für Politiker überhaupt keine Rolle mehr. Auch Mariana Ferratto betont:

""Es ist wirklich schwer. Es gibt nichts und niemanden, der einen unterstützt. Falls man schon eine Galerie hätte, könnte die einem etwas helfen. Aber so gibt es weder Einrichtungen noch Stipendien, die junge Künstler fördern. Man muss immer wieder bei Null anfangen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern braucht man in Italien eine Unmenge Zeit, um etwas bekannter zu werden, da man wirklich alles allein machen muss. Und dann verzögert es sich noch zusätzlich, weil man ja auch Geld verdienen muss, um von irgend etwas zu leben."

So lässt sich Ferrattos Arbeit auch lesen als das Verschwinden einer ganzen Künstlergeneration, der die Gesellschaft jegliche Zukunftsaussichten verweigert.

Weiterführende Informationen:

Stadtgalerie Kiel - Italienische Kunst heute
Mehr zum Thema