Mehr als First Lady

08.08.2007
Der Enthüller der Watergate-Affäre, Carl Bernstein, will seine Leser vor Hillary Clinton warnen - möglichst bevor sie Gelegenheit bekommen, sie zur Präsidentin der Vereinigten Staaten zu wählen. Denn Hillary Rodham Clinton, so die These seiner Biographie, verbirgt die dunkle Seite ihrer Persönlichkeit. Bernstein liefert ein Bild, das genau ist, aber nicht voyeuristisch, kritisch und solidarisch zugleich.
An einem sonnigen Frühlingstag des Jahres 1993 bemerken Journalisten, während sie mit Bill Clinton über den Rasen des Weißen Hauses joggen, dass der Präsident verletzt ist: Ein tiefer Kratzer geht quer über sein Kinn.

Trotz demonstrativ guter Laune Clintons und der eiligen Mitteilung des Pressestabes, dass es sich um eine Schnittwunde handle, die der mächtigste Mann der Welt sich beim Rasieren aus Ungeschicklichkeit selbst zugefügt habe, ist das Gerücht in der Welt: Hillary Clinton sei es gewesen, die ihrem Ehemann mit einem stumpfen Gegenstand ins Gesicht geschlagen habe, weil der es gewagt hatte, ein rauschendes Fest mit Barbra Streisand zu geben, während Hillary am Sterbebett ihres Vaters saß.

Mit dieser Anekdote will Carl Bernstein zeigen, wie das Ehepaar Clinton wirklich funktioniert. Er, der kreative Clown und geniale Unterhalter, ist nicht mehr als eine Marionette an der Hand seiner Ehefrau, die leidet, fürs Grobe zuständig ist und die Entscheidungen trifft. Sie ist die wahre Machthaberin, er nur der Präsidentendarsteller.

Carl Bernstein will seine Leser vor Hillary Clinton warnen - möglichst bevor sie Gelegenheit bekommen, sie zur Präsidentin der Vereinigten Staaten zu wählen. Denn Hillary Rodham Clinton, so die These, verbirgt die dunkle Seite ihrer Persönlichkeit. In ihrer, mit tatkräftiger Hilfe einer Riege von Ghostwritern verfassten Autobiographie stellte sich die Senatorin von New York 2003 als ehrliche Arbeiterin für soziale Belange dar, als gläubige und loyale Ehefrau im Dienst der ganzen Nation.

Bernsteins Eifer überrascht zunächst, gibt doch schon der Klappentext zu erkennen, dass er eigentlich mit Hillary sympathisiert. Er gehört wie sie zum Milieu des liberalen Bürgertums der US-amerikanischen Ostküste, ihre Wege haben sich in der Vergangenheit oft gekreuzt, nicht nur während des Watergate-Skandals, den Bernstein mit aufdeckte und Hillary als Anwältin gegen Präsident Nixon arbeitete. Sie hat mit Bernstein nie über ihr Leben gesprochen, sie scheint zu befürchten, dass ihr hier jemand Böses will, der nur vorgibt, auf ihrer Seite zu sein.

Schon in ihrer Kindheit gibt es Bernstein zufolge Geheimnisse: Da ist das konfliktreiche Verhältnis zu ihrem Vater, beschrieben als zynischer und grausamer Familientyrann, der von der Tochter kompromisslosen Ehrgeiz verlangt. Von Anfang an lernt Hillary, das Leben als eine Abfolge von Schlachten zu verstehen.

Ihre Weltanschauung passt sie den Erfordernissen an: Von einer puritanisch konservativen Jugendlichen wandelt sie sich zum Hippie mit guten Kontakten zur linken Szene. Die Linken helfen ihr bei ihrer Karriere, werden später aber von ihr fallengelassen, zugunsten eines eher konservativen Images.

Als Hillary Bill Clinton begegnet, ist sie bereits eine in Studentenkreisen bekannte Aktivistin. Viele ihrer Weggefährten glauben, dass sie auch ohne Bill eine politische Karriere hätte machen können. Dennoch entscheidet sie sich dafür, mit ihm in die Provinz, nach Arkansas zu gehen. Sie entscheidet sich also dafür, an der Seite eines erfolgreichen Mannes selbst aufzusteigen und ist damit, Bernstein zufolge, eine Art Zwitterwesen, halb noch in der vorfeministischen Zeit, halb schon in der Ära der Emanzipation angekommen.

Im Weißen Haus spielt sie nur vordergründig die First Lady, die zum Tee lädt und Kekse backt. Sie wird zur ersten Beraterin des Präsidenten und entwickelt Fähigkeiten, die sie erfolgreich machen, aber auch den Keim des Scheiterns der Clinton-Administration in sich tragen: Sie verbittert und glaubt sich bald in einer Welt von Feinden. Die Ehe der Clintons, das zeigt sich auch während der Lewinsky-Affäre, hat nicht mehr viel mit Liebe zu tun, sie ist vor allem ein Zweckbündnis, eine Seilschaft zu Erlangung von Macht.

Bernstein breitet sein Portrait der Hillary Clinton auf mehr als 900 Seiten vor uns aus: Oft muss sich der Leser über Dutzende von Seiten durch das Unterholz US-amerikanischer Tagespolitik schlagen, bevor er dafür wieder mit Anekdoten und lebendig beschriebenen Szenen belohnt wird. Er fordert einen Leser, der so ausdauernd und zäh ist, wie er selbst - und liefert dafür ein Bild, das genau ist, aber nicht voyeuristisch, kritisch und solidarisch zugleich.


Rezensiert von Andreas Baum

Carl Bernstein: Hillary Clinton. Die Macht einer Frau
Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer,
Droemer Knaur Verlag, München 2007, 959 Seiten, 22,90 Euro