Meeresdruck soll Turbinen antreiben

    Von Michael Braun · 27.04.2011
    Horst Schmidt-Böcking ist Kernphysiker. Zusammen mit seinem Saarbrücker Kollegen Gerhard Luther will er eine neue Idee zur Energiespeicherung mithilfe einer Hohlkugel am Meeresboden umsetzen.
    Der Mann ist Kernphysiker. Als Professor an der Universität Frankfurt hat er sich viel mit der Vielfachionisation von Atomen und Molekülen durch Ionen- und Elektronenstrahlen befasst. Jetzt, schon einige Jahre nach der Emeritierung, ist Horst Schmidt-Böcking noch einmal auf eine ganz elementare Fragestellung zurückgekommen: auf den hohen Druck in tiefen Gewässern. Er hatte die Auseinersetzungen um die Pumpspeicherwerke im thüringischen Goldisthal und am Schluchsee im Schwarzwald im Kopf, die Kosten, die langwierigen Genehmigungsprozesse, den Widerstand von Teilen der Bevölkerung. Und wenn ein Physiker nachdenkt, kann es einfach und kreativ zugleich werden:

    "Dann haben wir physikalisch darüber nachgedacht, was ein Pumpspeicherwerk eigentlich ist. Die ganze komplizierte Anlage mit zwei Becken erzeugt an der Turbine nur eine Druckdifferenz, am Eingang der Turbine einen hohen Druck, am Ausgang den normalen Luftdruck. Durch diese Druckdifferenz kann man erreichen, dass durch die Turbine Wasser strömt und Strom erzeugt. Ein Ingenieur wäre damit zufrieden. Aber der Physiker fragt sich natürlich: Wo kann ich diesen Mechanismus "Druckdifferenz" umsonst schon in großen Massen in der Natur vorgegeben finden?"

    Da kam er aufs Meer.

    "Da hat die Natur in unbegrenzter Menge ganz hohen Druck schon vorbereitet."

    In 2000 Meter Tiefe sind es 200 bar, in 4000 Meter Tiefe 400 bar. Der Druck lässt sich allerdings nur nutzen, wenn sozusagen gegenüber ein Bereich mit niedrigem Druck besteht.

    "Und das kann ich durch eine relativ kleine Kugel erreichen, sprich 100 Meter Durchmesser aus Stahlbeton, die kann ich innen praktisch weitgehend evakuieren. Und dann kann ich zwischen dem Innenraum der Kugel und dem Außenbereich, also dem Meer, bei hohen Drücken, ständig Wasser durch Turbinen reinlaufen lassen oder wieder rauspumpen. Dann habe ich praktisch ein Pumpspeicherwerk mit viel höheren Drücken, ohne Röhren, ohne großen Aufwand."

    Leer pumpen ließe sich solch eine Betonkugel in großer Tiefe mit überschüssigem Strom einer Windkraftanlage oben an der Wasseroberfläche. Und wenn kein Wind weht, läuft das Wasser eben in die Kugel, treibt eine Turbine an und dann produziert die Strom. So ließe sich vielleicht von der Ursache her mildern, was jetzt bei abgeschalteten Kernkraftwerken nötig war: Stromimporte aus ökologisch unerwünschter Quelle. Matthias Kurth, der Chef der Regulierungsbehörde:

    "Aus Frankreich, Tschechien, Polen, weil Regenerative nicht kontinuierlich verfügbar."

    Der Frankfurter Physiker und sein Saarbrücker Kollege Gerhard Luther sind Wissenschaftler genug, um zu wissen, dass es den Stein der Weisen nicht gibt. Aber eine Vorstellung von den energiepolitischen Möglichkeiten einer Hohlkugel im tiefen Meer hat er schon:

    "Also, wenn ich in der Biskaya, die 4000 Meter tief ist, an der Nordseite Spaniens, eine 200-Meter-Kugel hätte, das ist natürlich schon ein größeres Ding, dann könnte ich in einer Kugel für zehn Stunden lang vier Gigawatt Leistung bringen. Also ich könnte vier Kernkraftwerke zur Spitzenzeit an einem Tag ersetzen. Und dann könnte ich es natürlich wieder laden. Wenn ich das 200-mal im Jahr mache, dann könnte ich mit solch einer Kugel 1,5 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfes speichern."

    Bislang, so sagt Schmidt-Böcking, sei das nicht mehr als eine "verrückte Idee" eines Physikers. Aber ein Patent hat er immerhin angemeldet. Und:

    "Unser Wunsch ist, das Ding zu realisieren."