Mediziner warnt vor Blutkonservenmangel

Andreas Greinacher im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.09.2008
Der Transfusionsmediziner Andreas Greinacher von der Uni Greifswald sieht schwarz für Bluttransfusionen in der Zukunft. Allein in Mecklenburg-Vorpommern würden durch den Rückgang der Geburtenrate in zehn Jahren bei den unter 30-Jährigen nur noch die Hälfte der Blutspenden gewonnen werden können. Auf der anderen Seite steige der Bedarf durch höhere Lebensalter. Im Jahr 2030 könnte es einen Mangel an Blutkonserven in ganz Deutschland geben.
Liane von Billerbeck: Blut ist ein ganz besonderer Saft, das wissen wir aus Goethes "Faust". Nur leider wächst die Gefahr, dass wir davon nicht mehr genug haben werden. Die Geburtenrückgänge haben dazu geführt, dass immer weniger junge Spender zur Verfügung stehen, während eine immer älter werdende Gesellschaft auch mehr Blut für mehr Operationen braucht. Aus dem nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern kam während der Jahrestagung der Europäischen Transfusionsmediziner die Warnung, dass in ein paar Jahren nicht mehr ausreichend Blut zur Verfügung stehen könnte, wenn nicht JETZT gehandelt wird.

Aber von der dortigen Universität Greifswald kommen auch Lösungsvorschläge. (…) In Greifswald bin ich jetzt mit Prof. Andreas Greinacher verbunden. Er leitet die Abteilung Transfusionsmedizin am Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums in Greifwald. Ich grüße Sie!

Andreas Greinacher: Guten Morgen!

von Billerbeck: Noch gibt es keinen Blutnotstand, auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Warum warnen Sie dennoch schon jetzt?

Greinacher: Weil wir in den letzten zwei Jahren uns die Altersstruktur unserer Patienten und die Altersstruktur unserer Blutspender genauer angesehen haben und dabei hat sich deutlich gezeigt, dass über zwei Drittel der Blutkonserven an Menschen transfundiert werden, an Patienten transfundiert werden, die über 60 Jahre alt sind, während die allermeisten Blut spenden unter 40 Jahren.

von Billerbeck: Und von diesen jungen Menschen haben wir schlicht zu wenig?

Greinacher: Es sind im Moment noch genügend junge Menschen da. Aber die Bevölkerungsverteilung ändert sich. Hier gab es nach 1990 einen dramatischen Rückgang der Geburtenrate um zirka 50 Prozent, sodass im Laufe der nächsten zehn Jahre ungefähr die Hälfte der Menschen in der Altersgruppe unter 30 Jahren fehlen wird.

von Billerbeck: Das heißt, uns fehlen eigentlich einfach in den kommenden zehn Jahren ausreichend Blutspender für eine älter werdende Gesellschaft?

Greinacher: Genau. Und dieses wird dadurch verstärkt, dass immer mehr Menschen das höhere Lebensalter erreichen und damit geht die Schere in zwei Richtungen auf. Auf der einen Seite steigt der Bedarf, auf der anderen Seite sinkt die Anzahl der Blutspender, die vorhanden sind. Und wenn man nun davon ausgeht, dass pro Altersgruppe die gleiche Menge an Blut weiterhin gespendet wird bzw. anders gesagt, genauso viele Menschen motiviert werden können, dann werden in zehn Jahren bei den unter 30-Jährigen nur noch die Hälfte der Blutspenden gewonnen werden können.

von Billerbeck: Wie ist denn nun das Blutspendewesen organisiert? So ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern, knapp 1,7 Millionen Einwohner, das die Überalterung schneller spürt und auch den Mangel durch den Geburtenrückgang nach 1990, könnte ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern nicht von anderswo Blutkonserven bekommen?

Greinacher: Mit Sicherheit. Ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern ist relativ klein. 1,5 Millionen Bevölkerung sind natürlich durch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Blutspendediensten aus ganz Deutschland zu versorgen. Wenn man sich jedoch die Bevölkerungsveränderung in Mecklenburg-Vorpommern heranzieht und diese vergleicht mit der Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen oder in den gesamten westlichen Bundesländern, dann wird in einen Zeitraum von in etwa zehn Jahren die Bevölkerungsentwicklung in den westlichen Bundesländern genauso dramatisch sich verändert haben wie in den neuen Bundesländern. Das heißt, das, was bis zum Jahr 2020 im Osten Deutschlands sich zum richtigen Problem entwickeln wird, wird bis zum Jahre 2030 sich im Westen Deutschlands auch zum Problem entwickelt haben.

von Billerbeck: Das heißt, Mecklenburg-Vorpommern ist hier so eine Art Vorreiter. Rechnen wir doch mal das Ganze auf Deutschland hoch. Deutschland hat 82 Millionen Einwohner. Wie viel Blutspenden gibt es derzeit und wie viel Blutspenden müssten eigentlich zur Verfügung stehen?

Greinacher: Derzeit gibt es in etwa 4,5/4,6 Millionen Blutspenden pro Jahr in Gesamtdeutschland. Und das deckt in etwa den Bedarf, der in Deutschland auch vorhanden ist. Zwischen 2020 und 2030 wird aufgrund der älter werdenden Bevölkerung der Bedarf um in etwa 25 Prozent ansteigen, während gleichzeitig die Anzahl der Blutspenden um etwa 25 Prozent sinken wird. Das heißt, wir rechnen bis zum Jahr 2030 in Gesamtsdeutschland mit einem Mangel an Blutkonserven, der irgendwo in der Größenordnung zwischen 30 und 50 Prozent des Bedarfes liegen wird.

von Billerbeck: Nun werden ja die Gründe für mangelnde Blutspenden in vielen Punkten gesucht. Es wird von Medizinern auch immer beklagt, dass es in Deutschland sehr restriktive Regelungen gibt. Wer darf denn in Deutschland kein Blut spenden?

Greinacher: In Deutschland dürfen diejenigen kein Blut spenden, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie durch ihren Lebenswandel in irgendeiner Form Krankheitserreger in sich aufgenommen haben, die sie dann an den Patienten weitergeben können. Eine sehr offensichtliche Situation ist jemand, der drogenabhängig ist, darf kein Blut spenden. Aber es können auch sehr banale Dinge sein wie ein Zahnarztbesuch oder eine Erkältung in der letzten Woche, weil durch diesen Zahnarztbesuch Bakterien ins Blut geraten können, durch die Erkältung Viren oder auch Bakterien ins Blut geraten können. Und es versuchen alle Ärzte, die in diesem Bereich tätig sind, alles daran zu setzen, um die Übertragung von Krankheitserregern mit Blut zu vermeiden.

von Billerbeck: Wie oft darf denn ein Mensch eigentlich pro Jahr spenden?

Greinacher: In etwa sechsmal pro Jahr, bei Frauen etwas weniger als bei Männern. Der limitierende Faktor ist der Eisengehalt des Blutes, der nur langsam durch die Nahrung wieder ausgeglichen werden kann, sodass als grobe Regel gilt, Männer können in etwa alle acht bis zehn Wochen Blut spenden, Frauen sollten eher alle zehn bis zwölf Wochen zum Blutspenden kommen. Aber hier gibt es natürlich sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur. Über den in Zukunft drohenden Mangel an Blutkonserven sprechen wir mit dem Greifswalder Transfusionsmediziner Andreas Greinacher. Nach Katastrophen, Herr Greinacher, wie beispielsweise dem großen Zugunglück von Eschede, da war die Spendenbereitschaft sehr groß, auch Blut zu spenden. Wie können denn wieder mehr Menschen gewonnen werden, Blut zu spenden?

Greinacher: Das ist wahrscheinlich der allerwichtigste Punkt, den es gilt, in den nächsten Jahren zu adressieren. Selbstverständlich besteht in der Bevölkerung bei akuten Katastrophen eine manchmal überwältigende Bereitschaft zu helfen. Aber das ist nicht das Problem, was sich langfristig entwickelt. Sondern langfristig benötigen wir eine insgesamt etwas höhere Bereitschaft zum Blutspenden, nicht kurzfristig ein großes Spendenaufkommen, sondern langfristig eine moderate Steigerung der Spendenbereitschaft.

Und dieses kann aus meiner Sicht nur dadurch gelingen, dass alle Beteiligten an diesem Prozess, zum einen die Ärzte, die sich um diese Thematik der Transfusionsmedizin kümmern, zum anderen die Gesundheitserziehung, die Öffentlichkeitsarbeit, zum Dritten die Medien, zusammenarbeiten, um hier eine höhere Bereitschaft zu erreichen.

Ein gutes Beispiel ist diese Region hier im fernen Nordosten Deutschlands, in der Greifswalder Region. Wir haben Mitte der 90er Jahre bis Ende der 90er Jahre eine wirkliche Blutversorgung in der Region relativ autark aufbauen müssen aufgrund der geografischen Randlage. Und mittlerweile ist es so, dass in einer Stadt mit etwa 60.000 Einwohnern im Jahr knapp 25.000 Blutkonserven gespendet werden.

Wenn eine solche Blutspendebereitschaft im Rest Deutschlands erreicht werden könnte, wäre das Problem des Blutmangels sicherlich weitaus geringer, als es sich bei den jetzigen Spendehäufigkeiten in anderen Regionen Deutschlands abzeichnet.

von Billerbeck: Nun sagt man ja immer, in Mecklenburg-Vorpommern kommt alles 100 Jahre später. In dem Fall kommt es alles früher, wie wir jetzt hier feststellen, nicht nur die Probleme, sondern eben auch die Lösungen. Wie haben Sie es denn nun geschafft, dass Sie so viele Blutspenden in Greifswald, einer Stadt mit knapp 60.000 Einwohnern, bekommen haben?

Greinacher: Eine kombinierte Aktivität von Medizinern, von Menschen, die sich hier in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert haben, einem sehr engagierten Mitarbeiter innerhalb der Abteilung, dessen Hauptaufgabe Öffentlichkeitsarbeit und Spenderwerbung darstellt; enge Zusammenarbeit mit den regionalen Betrieben, die sich an verschiedenen Werbeaktionen beteiligen; die Einbindung der regionalen Schulen, die ihre Klassenausflüge regelmäßig in den Bereich der Blutspende machen, um sich einfach mal anzusehen schon als Jugendliche, was hier passiert; und dazu die Unterstützung der Honoratioren der Stadt, die eben auch versuchen, über die lokalen Medien die Bevölkerung immer anzusprechen. Und viele kleine Tropfen und viele kleine Aktivitäten zusammengenommen führen dann zum entsprechenden Erfolg.