Medizin

Wie wird man Simulationspatient?

Die Medizinstudenten Lucas (M) und Ann-Sophie untersuchen am 09.01.2016 in der Charité in Berlin während einer Übung in der "Simulierten Rettungsstelle" einen Simulationspatienten. In Fünfergruppen üben die Studenten für den Ernstfall in der Notaufnahme.
Improvisationstalent und Beobachtungsgabe sind wichtige Voraussetzungen für einen Simulationspatienten. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Bettina und Christian Conradi im Gespräch mit Cornelia Sachse · 22.12.2016
Ein Raucher, der aufhören möchte. Eine Esoterikerin, die der Schulmedizin misstraut. In solche Rollen schlüpfen Simulationspatienten − mit ihnen können Studierende das Arzt-Patienten-Gespräch üben. Bettina und Christian Conradi waren dabei.
Welche Persönlichkeitsprofile werden von den Simulationspatienten gespielt?
Von Rauchern, die aufhören wollen oder sollen, bis hin zu schwerstkranken Patienten und auch ihren Angehörigen sind sehr vielfältige Rollen für Simulationspatienten unterschiedlichster Altersgruppen dabei.
Eine Gruppe von Rollen hat zum Beispiel den Umgang mit Tabus zum Thema. Hier geht es darum, zu üben, schwierige und heikle Themen anzusprechen. Zum Beispiel wenn jemand nicht lesen und schreiben kann und deshalb seine Medikamente nicht oder nicht korrekt einnimmt. Häusliche Gewalt ist auch ein Bereich, zu dem es Rollen gibt oder auch Geschlechtskrankheiten: Angehende Ärzte üben hier beispielsweise eine Sexualanamnese zu erheben, bei jemandem, der eine sexuell übertragbare Krankheit hat und dessen Frau noch nicht über die Erkrankung informiert ist.
Die Studierenden sollen die Möglichkeit haben alle Arten von Gesprächen zu üben, die zu ihrem Berufsalltag gehören werden. Sie üben mit den Simulationspatienten also sowohl professionelle Anamnese-, Aufklärungs- und Beratungsgespräche als auch zum Beispiel schlechte Nachrichten zu überbringen. Weil die Gespräche ja in einem geschützten Rahmen stattfinden, müssen die Studierenden keine Angst haben, etwas falsch zu machen und bekommen von den Simulationspatienten immer auch konstruktives Feedback.

Programm basiert auf Fällen aus der Praxis

Wer denkt sich das Programm für die Simulationspatienten aus und wie ist es organisiert?
Das Simulationspatientenprogramm ist fester Bestandteil des Modellstudiengangs Medizin an der Charité. Innerhalb der Fakultät gibt es Planungsgruppen, die die Lernziele für die Studierenden im Blick haben und dann im Austausch mit Fachärzten die Rollen für die Simulationspatienten erarbeiten. Die Konzeption der Fälle basiert immer auch auf echten Fällen aus der Praxis, aber an der Ausarbeitung sind viele Personen beteiligt. Auch die Simulationspatienten haben im Rollentraining eine Möglichkeit, sich bei der Entwicklung der Rollen einzubringen und können anmerken, wenn ihnen beispielsweise etwas nicht stimmig erscheint.
Dem Lehrplan der Studierenden entsprechend gibt es je nach Semester unterschiedliche Anforderungen. Manchmal werden beispielsweise in einem Semester viele etwa 40-jährige Männer gebraucht. Da schauen die Mitarbeiter dann zunächst in die Kartei, ob sie genügend entsprechende Simulationspatienten haben. Wenn nein, werden neue Simulationspatienten in einem Casting ausgewählt. Inzwischen gibt es sogar dafür eine Warteliste.
Im Casting geht es noch nicht um die konkreten Rollen, sondern um verschiedene Übungen, bei denen dann für Simulationspatienten unverzichtbare Fähigkeiten wie Improvisationstalent und Beobachtungsgabe "geprüft" werden. Wichtig ist für einen Simulationspatienten auch, dass er/sie sich an Anweisungen halten kann und will. Denn in der Simulationssituation sind die Patienten dann ja allein (und die Einzigen, die das Rollenprofil vollständig kennen).
Die konkreten Rollen werden in den Rollentrainings eingeübt: Da kommen dann zum Beispiel zehn Männer oder Frauen ähnlichen Alters, die alle die Rolle von Herrn oder Frau Müller erarbeiten, trainieren und diskutieren. Im Rahmen dieser Trainings spielen die Simulationspatienten dann übrigens auch mal die angehenden Ärzte, um diese Perspektive (mit den je eigenen Schwierigkeiten) auch kennenzulernen.
Ausgewertet werden die Erkenntnisse der SimulationspatientInnen immer direkt nach jeder einzelnen Interaktion im Seminar mit den Studierenden und der jeweiligen Dozentin. Die Simulationspatienten geben nach dem Ende der gespielten Gesprächssituation Feedback aus der Perspektive der Person, die sie gespielt haben und auch die angehenden ÄrztInnen berichten, wie es für sie war, in dieser Situation zu sein. Danach sind die anderen SeminarteilnehmerInnen mit ihrem Feedback dran, das sie gemäß ihrem vorher besprochenen Beobachtungsauftrag geben. Diese Gespräche und Auswertungen bleiben im kleinen Kreis der jeweiligen Studierendengruppe im Workshop.

Man muss sich auch mal – fiktiv – pieksen lassen

Gibt es spannende Aspekte in der Arzt-Patienten-Kommunikation, auf die Sie während Ihrer Recherche gestoßen sind, die Sie nicht in der Reportage unterbringen konnten?
Um Situationen ganz realistisch zu üben, wird im Simulationspatientenprogramm auch mit plastischen Körpermodellen gearbeitet. Die Kombination aus Simulationspatient und Modell ist hier der Schlüssel für besonders realistische und praxisnahe Situationen. Ohne dass ein Patient tatsächlich belastet wird, können angehende Ärzte hier nämlich auch eine körperliche Untersuchung üben: Es gibt zum Beispiel ein Modell, das sich eine Simulationspatientin anlegen kann und anhand dessen die Medizinerin dann einen Knoten in der Brust ertasten könnte. Auch für Spritzengaben können Simulationspatienten in der jeweiligen Situation ein Modell umschnallen, damit sie sich nicht tatsächlich stechen lassen müssen.
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich auch als SimulationspatientIn zu bewerben, findet hier weitere Informationen.
Was verdient man denn als Simulationspatient?
Man wird als Simulationspatient nicht reich. Das Honorar entspricht eher einer Aufwandsentschädigung. Insofern ist für Simulationspatienten das Geld in der Regel nicht die Hauptmotivation, diesen Job anzunehmen.
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