Medizin

"Kein Grund zur Hoffnungslosigkeit"

Fünfjähriger Junge, der an Leukämie erkrankt ist, und seine Mutter. 18.11.08
Die Diagnose ist erschütternd, allerdings gibt es für Krebskranke Hoffnung auf viele Fortschritte in der Behandlung. © picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch
Moderation: Jörg Degenhardt · 02.04.2014
Vor 50 Jahren wurde das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg eröffnet. Der Vorstandsvorsitzende Otmar Wiestler ist stolz darauf, dass die Ärzte mittlerweile mehr als die Hälfte aller Patienten heilen.
Jörg Degenhardt: Krebs – die Diagnose ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen erst einmal ein Schock. Krebs, das ist für viele Menschen mittlerweile eine Krankheit, die sie aus nächster Nähe kennen, aus der eigenen Familie, von Freunden, Kollegen oder Bekannten. Und je älter man wird, um so mehr hat man das Gefühl, als nähme der Zahl der Fälle zu. Was über die Jahre wirklich zugenommen hat, das sind die Chancen, diese heimtückische Krankheit zu bekämpfen. Am Telefon begrüße ich Professor Dr. Otmar Wiestler, er ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg. Guten Morgen!
Otmar Wiestler: Guten Morgen!
Degenhardt: Anlass für unser Gespräch ist ein Jubiläum: 50 Jahre forschen für ein Leben ohne Krebs. Fünf Jahrzehnte Forschung, das ist ja doch eine sehr lange Zeit. Warum müssen aber immer noch so viele Menschen an Krebs sterben?
Wiestler: Heute sind wir immerhin so weit, dass wir jeden zweiten Patienten und jede zweite Patientin heilen können. Das ist ein erheblicher Fortschritt verglichen zu den 60er-Jahren, als das Krebsforschungszentrum gegründet worden ist. Aber natürlich bedeutet das auch: Es versterben immer noch viele Menschen an Krebs, und wir werden noch erhebliche Forschungsanstrengungen brauchen, um auch denjenigen zu helfen, die wir heute noch nicht erfolgreich behandeln können.
Degenhardt: Für viele ist diese Krankheit ja ein Rätsel. Da meint man, der Krebs ist weg, und nach zwei Jahren relativer Ruhe ist er wieder da. Wie kommt es denn immer wieder zu solchen Rückschlägen, oder anders gefragt, was macht den Kampf gegen den Krebs so kompliziert?
"Arbeiten seit vielen Jahren an neuen Behandlungsmöglichkeiten"
Wiestler: Ja, eines, was den Kampf gegen den Krebs sehr kompliziert macht, ist, dass Krebszellen in vielen Situationen widerstandsfähig sind oder widerstandsfähig werden gegenüber den üblichen Behandlungsverfahren, also vor allem der Bestrahlung oder der Behandlung mit sogenannten Zytostatika. Das ist der Grund dafür, warum wir seit vielen Jahren an neuen Behandlungsmöglichkeiten arbeiten, die sehr viel gezielter an den Veränderungen angreifen, die für die Entstehung von Krebs verantwortlich sind und die hoffentlich auch die sogenannten schlafenden Krebszellen treffen, die nach einer scheinbar erfolgreichen Behandlung im Körper liegen bleiben und nach kürzerer oder längerer Zeit zum Rückfall führen.
Degenhardt: Sie haben die neuen Behandlungsmethoden angesprochen. 50 Jahre Krebsforschung: Bei allen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die mit dieser Krankheit verbunden sind – worauf sind Sie vielleicht auch besonders stolz, weil es den Betroffenen Hoffnung machen kann?
Wiestler: Also zunächst mal muss man sagen: Es besteht überhaupt kein Grund zur Hoffnungslosigkeit. Wenn man selbst oder in seiner Familie mit der Krankheit Krebs konfrontiert ist, noch mal: Wir können heute über 50 Prozent der Patienten heilen, die krebskrank werden. Bei Frauen, die in Deutschland Brustkrebs entwickeln, ist diese Rate sogar bei fast 80 Prozent, und das hat sich über die Jahre kontinuierlich verbessert. Wir können also durchaus Erfolge vorweisen. Am DKFZ in Heidelberg sind wir natürlich stolz auf die Forschungsergebnisse, für die wir besonders bekannt sind: Die Rolle von Papillomviren für die Entstehung bestimmter Krebsarten, die zur Entwicklung eines Impfstoffs geführt hat, der mittlerweile über 200 Millionen Mädchen weltweit verabreicht worden ist.
Ein Forschungsergebnis, für das mein Vorgänger Harald zur Hausen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde; wir haben viele Neuerungen eingeführt in der Strahlenbehandlung von Krebs; wir haben in letzter Zeit wichtige Beiträge geleistet zur Frage, welche Rolle spielen Stammzellen für die Entstehung und für den Verlauf von Krebserkrankungen; und im Moment beschäftigt uns am meisten die Frage: Wie können wir die Behandlung von Krebspatienten in Zukunft sehr viel besser auf den individuellen Bedarf des einzelnen Patienten einstellen? Da ist das Stichwort personalisierte Behandlung oder individualisierte Krebsmedizin.
Degenhardt: Und die Frage ist ja auch: Wie kommen die Krebskranken an die neuen Erkenntnisse, an die neuen Heilungsmöglichkeiten?
"Gebiet, wo es sehr viele Neuerungen gibt"
Wiestler: Ja, das ist eine wichtige Frage auf einem Gebiet, wo es sehr viele Neuerungen gibt. Es gibt ja kein Gebiet in der Medizin, auf dem so viele neue Medikamente eingeführt worden sind in den vergangenen Jahren, wie in dem Krebsgebiet, und da stellt sich jeder Betroffene zu Recht die Frage: Bekomme ich die richtige Behandlung und wo bekomme ich die richtige Behandlung? Da kann ich immer zwei Empfehlungen geben. Die eine Empfehlung ist: Das DKFZ betreibt seit vielen Jahren einen hochkarätigen Krebsinformationsdienst, der an sieben Tagen die Woche von 8 bis 20 Uhr dauerhaft erreichbar ist unter der Nummer 0800 4203040.
Außerdem haben sich in Deutschland in den letzten Jahren Zentren für die Behandlung von Krebskranken entwickelt, die besonders viel Erfahrung haben, auch mit besonders neuen Behandlungsverfahren aufwarten können, das sind sogenannte Comprehensive Cancer Centers oder Onkologische Spitzenzentren. Ich würde jedem Kranken, der in einer schwierigen Situation ist, raten, sich an ein solches Zentrum zu wenden.
Degenhardt: Herr Professor Dr. Wiestler, 50 Jahre Forschung: Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre – dass vielleicht auch mehr Menschen zur Vorsorge gehen? Manche sagen ja auch, die werde überbewertet.
"Nicht rauchen, auf seine Ernährung achten"
Wiestler: Also das in der Tat ein Wunsch, den ich habe, denn wenn man sich an so einem Punkt wie 50. Geburtstag des Zentrums mal fragt, wo sind eigentlich unsere größten Herausforderungen, dann sind es wirklich zwei. Die eine Herausforderung ist: Wir müssen dem Patienten, dem wir im Moment keine erfolgreiche Behandlung anbieten können, in Zukunft neue Therapieoptionen entwickeln. Das zweite Problem, was wir haben, ist aber das Problem, dass Krebs eine Erkrankung ist, auf die man erst sehr spät aufmerksam wird als Kranker, und fast jeder zweite Krebspatient wird überhaupt erst dann zum Arzt gehen, wenn die Krankheit schon relativ weit fortgeschritten ist und im Körper sich ausgebreitet hat.
Da gibt es eigentlich nur ein Mittel dagegen: Wir müssen viel besser die Instrumente nutzen, die es erlauben, den Krebs früh zu erkennen oder im Rahmen der Vorbeugung die Entwicklung überhaupt zu verhindern. Stichworte sind Lebensgewohnheiten, nicht rauchen, auf seine Ernährung achten, Stichworte sind weiterhin, regelmäßig an Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen, für Brustkrebs, für Darmkrebs, für Hautkrebs, für Gebärmutterhalskrebs, Stichworte sind auch, von den aktiven Vorbeugungsmaßnahmen Gebrauch machen, also vor allem, seine Töchter früh gegen Papillomviren impfen lassen, um sie vor Gebärmutterhalskrebs zu schützen.
Da ist unser Problem: Wir haben relativ viele Möglichkeiten für Früherkennung und Vorbeugung, leider machen viel zu wenige Menschen Gebrauch davon. Obwohl viele dieser Maßnahmen unzweifelhaft helfen, werden sie unseligerweise oft in der Öffentlichkeit, auch von der Presse, noch besonders kritisch dargestellt. Das ist in meinen Augen überhaupt nicht gerechtfertigt.
Degenhardt: Vielleicht hat ja unser Gespräch dazu beigetragen, hier eine kleine Korrektur einzuleiten. Professor Dr. Otmar Wiestler war das, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg. Für dieses Gespräch, Herr Wiestler, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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