Medizin

Dahin, wo es weh tut

Von Michael Lange · 07.01.2014
Dem Thema Schmerz nähert sich der niederländische Journalist Sytze van der Zee mithilfe sorgfältiger Beobachtung und umfassender Recherchen. Auch Betroffene und Ärzte kommen zu Wort, das Phänomen wird vielschichtig beleuchtet.
Starke Schmerzen lassen sich nicht in Worte fassen. Und wer nicht darunter leidet, möchte am liebsten auch nichts von Schmerzen hören oder lesen. Aber es lohnt, die Abscheu zu überwinden, denn dieses Buch enthält umfassende Informationen, die sich auch für Nichtleidende mit Gewinn lesen lassen.
Statt zu versuchen, den Schmerz in Worte zu fassen, beschränkt sich der niederländische Journalist Sytze van der Zee auf sorgfältige Beobachtung, umfassende Recherchen und interessante Gespräche mit Betroffenen und Ärzten. Er erklärt, warum die Schmerzwahrnehmung für den Körper überlebenswichtig ist, und wann chronische Schmerzen mehr sind als ein Symptom.
In jedem zweiten Kapitel erteilt er außerdem Menschen das Wort, die etwas zum Thema "Schmerz“ zu sagen haben: Etwa einem Radrennfahrer, einem Rheumapatienten oder einem Extremsportler. Dabei bleiben die Erfahrungsberichte unkommentiert, auch wenn sie den Ansichten und Rechercheergebnissen des Autors widersprechen. So gelingt es dem Autor, das Phänomen Schmerz von verschiedenen Seiten zu beleuchten.
Dabei wird klar, dass die Behandlung von Schmerzen auch von Medizinern lange verdrängt wurde und zum Teil immer noch wird. Schmerzpatienten werden als Simulanten diffamiert, weil man zwischen körperlichen und psychischen Ursachen unterscheidet, anstatt den Menschen als Ganzes zu verstehen, und den Schmerz als Teil des Lebens.
Allheilmittel gegen Schmerzen nicht zu erwarten
Das bedeutet aber nicht, dass jeder Leidende Schmerzen klaglos ertragen muss. Es gibt Medikamente und Methoden, die in bestimmten Situationen leidenden Menschen helfen können. Ein Allheilmittel gegen Schmerzen allgemein gibt es allerdings nicht, und die Mehrzahl der zitierten Experten bezweifelt, dass es das jemals geben kann. Denn die Entstehung von Schmerz hat viele Ursachen und die Behandlung muss entsprechend unterschiedlich ausfallen.
Wunderheilern und alternativen Methoden begegnet der Journalist van der Zee mit Skepsis. Dennoch lässt er Einzelpersonen zu Wort kommen, die von überaschenden Heilerfolgen berichten. Aber für ihn ist klar: Um nachweisbar vielen Menschen mit Schmerzen zu helfen, brauchen wir mehr spezialisierte Ärzte und Kliniken. Leider gibt es viel zu wenige davon. Um Hoffnung zu machen, stellt er nachahmenswerte Ansätze vor, wie sogenannte "schmerzfreie Krankenhäuser“ und die "schmerzfreie Stadt“ Münster.
Die meisten Beispiele in diesem Buch stammen aus den Niederlanden, einige aber auch aus Deutschland, wo van der Zee lange als Korrespondent gearbeitet hat. Die gelungene Übersetzung von Christine Burkhardt nennt neben den Zahlen aus den Niederlanden stets auch die aus Deutschland.
So ist ein Buch entstanden, das vielen Schmerzpatienten helfen kann, ihre Situation neu zu betrachten. Aber auch Menschen, die nicht unter ständigen Schmerzen leiden, können von diesem Buch profitieren, denn es hilft, chronisch Kranke besser zu verstehen. So entsteht keineswegs Mitleid, sondern Respekt oder sogar Bewunderung für ihren Kampf gegen den Schmerz.

Sytze van der Zee: Schmerz. Eine Biografie
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Jürgen Osterbrink
Knaus Verlag, München 2013
384 Seiten, 22,99 Euro

Mehr zum Thema