Medikamente für seltene Krankheiten

Teuer, aber wirksam

Eine Arzthelferin zieht eine Spritze auf.
Das sehr teuere Medikament gegen die Stoffwechselerkrankung LPL wird einmalig mit einer Spritze verabreicht. © dpa / picture alliance / Klaus Rose
Von Stefan Maas · 27.02.2017
Medikamente für Menschen mit extrem seltenen Krankheiten sind oft überdurchschnittlich teuer - weil es für die Pharmafirmen nicht sehr lukrativ ist, ein Medikament für so wenig Patienten zu entwickeln. Da kann eine einzige Spritze schon mal 900.000 Euro kosten.
Die Leiterin der Lipidambulanz an der Charité in Berlin sitzt hinter einer grauen Tür am Ende eines langen Ganges in einem schmucklosen Behandlungsraum, trägt einen dunkelblauen Hosenanzug und eine hellblaue Bluse mit einer auffälligen weinroten Schleife.
"Mein Name ist Elisabeth Steinhagen-Thiessen, ich bin Professorin für Innere Medizin an der Charité. Ich habe natürlich wie wir alle Spezialgebiete. Das sind zwei: Das eine ist die Altersmedizin und das andere Spezialgebiet ist der Stoffwechsel. Und da insbesondere interessiere ich mich für Fettstoffwechsel."
Es ist diese Spezialisierung, die auch Miriam Klein zu ihr geführt hat. Damals hat die junge Frau bereits eine wahre Odyssee hinter sich, um eine Linderung ihrer ständigen, heftigen Schmerzen zu finden, erzählt sie im vergangenen Jahr dem rbb-Fernsehen.
"Also ich war 45-mal im Krankenhaus gewesen wegen der Entzündung der Bauchspeicheldrüse, zweimal die Woche war ich zu einer Blutwäsche gewesen, wo das Fett eben aus meinem Blut herausgewaschen werden sollte."

Extrem seltene Stoffwechselerkrankung

Dauerhaft helfen tut das nicht. Denn die junge Frau leidet unter Lipoproteinlipase-Defizienz – kurz LPL. Das bedeutet, dass bei den Betroffenen ein Enzym nicht gebildet wird, dass zur Aufspaltung von Fetten während der Verdauung benötigt wird. Deshalb sind die Blutfettwerte dieser Patienten bis zu 100-mal so hoch wie bei gesunden Menschen:
"Und wenn man ihnen Blut abnimmt, dann kann man schon an der Spritze sehen, mit der man Blut abnimmt, dass dieses Blut weiß und milchig ist. Und wenn sie das Blut stehen lassen, dann setzen sich bestimmte Dinge ab. Und dann ist unten das Röhrchen rot und oben und oben haben sie eine dicke Schicht als ob Sie Sahne auf den roten Blutkörperchen haben."
Eine Erkrankung, die extrem selten ist. Wie viele Menschen in Deutschland davon betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen. Zunächst einmal müssen die Ärzte ja die richtige Diagnose stellen. Um einen Überblick über die Patientenzahl zu kommen, hat Elisabeth Steinhagen-Thiessen gemeinsam mit Kollegen eine europaweite Datenbank aufgebaut:
"Und der derzeitige Stand in unserem Register ist, dass wir in Europa 37 Patienten haben, die dort von ihren Ärzten angemeldet wurden, die diese Erkrankung haben."

Kein lukratives Geschäft für Pharmafirmen

Für Pharmafirmen ist es nicht sehr lukrativ, ein Medikament für so wenig Patienten zu entwickeln. Deshalb gab es lange Zeit keine wirksame Therapie gegen diese Stoffwechselkrankheit. Dann hörte Steinhagen-Thiessen von einer kleinen Firma in den Niederlanden:
"Und dann gab es diese Firma auf einmal nicht mehr, dann gab es andere Firmen, dann wurde das verkauft. Und ich bin dann immer dem Medikament hinterhergereist. Schlussendlich ist es jetzt so, dass eine Firma in Parma in Italien dieses Medikament gekauft hat. Und dass es jetzt zur Verfügung steht. Weltweit."
Nach dem detektivischen Teil, folgt für die Ärztin der bürokratische. Der ist nicht weniger aufwendig. Denn es geht um die Zulassung des Medikaments in Deutschland.
Ein weiteres Problem kam hinzu: Die Therapie ist ungewöhnlich teuer.
"Dieses Medikament ist so teuer, dass ich es mich fast immer schäme zu sagen, aber ich verrate es Ihnen trotzdem. Es hat 900.000 Euro gekostet."
900.000 Euro für ein Medikament, das einmal verabreicht wird, per Spritze.
"Naja, dann erschrickt jeder erstmal", erzählt Harald Rebscher. Er war bis Ende des vergangenen Jahres Vorstandsvorsitzender der DAK. Der Krankenkasse von Miriam Klein.
"Das ist ja ein ganz generelles Problem, nämlich sehr, sehr seltene Erkrankungen, für die es ein erstmals zugelassenes Medikament gab, da gibt es keine Vergleiche. Weder wie teuer darf es denn sein, weder sind die Akteure alle miteinander vernetzt, noch wissen wir um Verläufe, die Studienlage war natürlich sehr dünn. Es gab zu dem Zeitpunkt gerade einmal 20 Therapieversuche dieser Art."
Rebscher sagte dennoch zu, die Kosten für die Therapie zu übernehmen.
Fast eine Million Euro für eine einzige Spritze, ist das vertretbar? Wenn die Patientin nicht behandelt würde, könnte das für die Krankenkasse teurer werden, rechnete Elisabeth Steinhagen-Thiessen dem Kassenchef damals vor. Ein nachvollziehbares Argument, meint Harald Rebscher:
"Zum Beispiel wenn jemand jährlich zwei bis dreimal ins Krankenhaus kommt auf Intensivstation. Dann addieren sich diese Kosten auch schnell auf hundert, zweihunderttausend Euro pro Jahr. Und wenn das vermeidbar wäre, dann würden sich auch solche Größenordnungen von ein paar Hunderttausend sehr schnell amortisieren können."

Gemeinsamer Fonds der Krankenkassen zur Finanzierung

Dennoch plädiert er dafür, einen gemeinsamen Fonds der Krankenkassen zu bilden, um so teure Behandlungen zu finanzieren. Denn es bleibt ja immer ein Restrisiko, dass sie am Ende doch nicht anschlagen und das Geld in den Sand gesetzt war.
Bei ihrer Patientin jedenfalls war die Behandlung ein voller Erfolg, erzählt Elisabeth Steinhagen-Thiessen
"Seitdem wir ihr diese Injektion gegeben haben, ist sie kein einziges Mal wieder krank gewesen, war nicht mehr im Krankenhaus. Sie arbeitet wieder. Sie hat sogar geheiratet.
Und Elisabeth Steinhagen-Thiessen verhandelt derzeit mit einer anderen Krankenkasse über einen neuen Patienten.
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