Medienpsychologie

Schon mal gegen den Rechner getreten?

Eine Frau surft an ihrem Laptop in einem Berliner Internet-Café - und lächelt.
Eine Frau surft an ihrem Laptop in einem Berliner Internet-Café - und lächelt. © picture-alliance/ dpa
Astrid Carolus im Gespräch mit Frank Meyer · 06.05.2014
Früher standen die Menschen am Gartenzaun und unterhielten sich mit dem Nachbarn, heute sitzen sie am Rechner und tippen. Doch all das Chatten, Twittern und Posten sei weniger belanglos, als Kritiker gern behaupten, glaubt die Medienpsychologin Astrid Carolus. Deswegen seien wir bei technischen Panne auch regelrecht "sauer" auf den Computer, obwohl das eigentlich keien Sinn mache.
Frank Meyer: Die Avantgarde der Netzgemeinde, die versammelt sich jedes Jahr bei der re:publica-Konferenz. "Into the wild" ist in diesem Jahr das Motto dieser Konferenz. Über die Wildnis in uns, nämlich die Herkunft unserer Gehirne aus der wilden Steinzeit und die Eignung dieser Steinzeitgehirne für das Digitalzeitalter hat heute Nachmittag Astrid Carolus bei der re:publica-Konferenz gesprochen. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Medienpsychologie der Universität Würzburg, und sie ist jetzt direkt von der re:publica hierher zu uns ins Studio geeilt. Herzlich willkommen!
Astrid Carolus: Vielen Dank!
Meyer: Wo verhalten sich denn Menschen von heute wie Steinzeitmenschen gegenüber den modernen digitalen Medien?
Carolus: Wir verhalten uns halt grundsätzlich ganz gern wie Steinzeitmenschen, und bei den digitalen Medien fällt das insofern ein bisschen auf, als dass es so unpassend ist. Also, stellen wir uns vor, unser Computer streikt, in welcher Form auch immer, das kommt vor, stürzt ab oder so, und wir haben nicht gespeichert, dann regen wir uns wahnsinnig auf und sind verärgert, auch sauer auf den Computer, was unlogisch ist, weil es eine Maschine ist. Und trotzdem kriegen wir das nicht so richtig auseinander.
Meyer: Das tun wir ja auch in anderen Zusammenhängen, uns irrational verhalten. Was ist das Besondere beim irrationalen Verhalten gegenüber digitalen Werkzeugen, wie einem Computer zum Beispiel?
Carolus: Also das Ding bei diesen digitalen Medien ist, dass man den Anschein haben könnte, dass das intentionale Agenten sind, also dass der Computer das extra macht. So, jetzt ist er schon wieder abgestürzt, und wir unterstellen ihm eine Absicht. Und das kommt daher, weil ein Computer für uns so wahrgenommen wird, als interagierte er tatsächlich mit uns.
So Gegenstände wie ein Schrank, der macht ja nichts von alleine, ein Computer vermeintlich schon. Und heute, wenn wir überlegen, die ganz neuen Sachen, die sprechen ja auch mit uns. Die reagieren auf Sprache. All das sind Sachen, die wir evolutionär gesehen, nur von anderen Menschen, oder vielleicht ein bisschen von Tieren kennen, auf jeden Fall von Lebewesen.
Meyer: Es gab einen Film vor Kurzem, "Her" hieß dieser Film von Spike Jones über einen Mann, der sich in eine digitale Stimme verliebt und diese Stimme für eine reale Person hält und das nicht auseinander halten kann, dieses digitale Produkt und die reale Person, die er da liebt oder zu lieben meint. Ist das so ein Beispiel für so ein Steinzeitverhalten?
Eine Computerstimme hat für uns etwas Menschliches
Carolus: Tatsächlich. Weil das Besondere an dieser Stimme war ja, dass die ja nicht irgendwas spricht, sondern die antwortet ja passend und stellt Fragen und ist auf dieser Ebene wie ein Mensch. Und das hat in diesem Film eben dazu geführt, dass der Mann sich verliebt. Und er erzählt ihr viel, und sie erzählt ihm, und all das, was wir ja auch von einer hoffentlich gut funktionierenden Beziehung kennen, sehen wir eben auch da.
Meyer: Ist das, dieses Fehlverhalten sozusagen, oder dieses Missverständnis gegenüber den Maschinen, den digitalen Maschinen – ist das jetzt so eine Eigenheit der Älteren, die noch nicht in der digitalen Welt eingeboren sind, oder geht es den berühmten jüngeren digital natives, geht das denen eigentlich genauso?
Carolus: Sehr gute Frage. Man hat ja so – so reflexartig würde man ja meinen, okay, ich weiß ja, dass der Computer eine Maschine ist, ich bin ja nicht blöd, und schimpfe den aus. Tatsächlich, wenn wir Experimente machen, finden wir allerdings raus, dass das auf fast alle zutrifft. Das heißt, es sind nicht unbedingt die, die unerfahren sind. Es sind auch die Erfahrenen, es sind auch die Jüngeren. Das ist was, was so tief in uns drin ist, dass wir unbewusst so verhalten. Das heißt, selbst, wenn wir bewusst sagen, nein, mein Smartphone ist ein kleiner Computer, das ist ein technisches Gerät, da ist irgendwie ein Computerchip drin, da ist keine Seele oder so was drin, kriegen wir das trotzdem kaum ausgestellt.
Meyer: Wir haben ja als Menschen schon einige Medienrevolutionen erlebt. Im Buchdruck, wenn man mal einige Jahrhunderte zurückgeht, oder Telefon, Radio, Fernsehen – das hilft uns heute aber nicht beim Umgang mit dieser heutigen Medienrevolution?
Carolus: Das hilft uns schon beim Umgang damit. Aber was – bei der Evolution ist das Besondere, die einzelnen Schritte – also angepasst sind wir evolutionär an die Welt unserer Vorfahren ganz, ganz früher Steinzeit. Und wenn man die menschliche Evolution betrachtet, dann gibt es Medien erst seit wenigen Sekunden. Das heißt, die Anpassung passiert dann eine Zeit gänzlich ohne diese Medien – vielleicht Höhlenmalerei. Das heißt also, selbst, wenn wir jetzt irgendwie noch ein neues Medium und noch ein neues Medium, hängen wir so hinterher in der Anpassung, das kann noch ein paar Tausende Jahre dauern, bis wir das hingekriegt haben.
Meyer: Und unser Gehirn hat sich seit der Steinzeit praktisch nicht mehr verändert in seinen Strukturen?
Carolus: Es hat sich in, sagen wir mal, grundlegenden Verhaltensdingen nicht verändert. Es war einfach früher so, wenn da irgendwas war, das zu uns sprach, dann war das ein Mensch. Und das haben wir noch nicht raus aus unserem Gehirn. Das triggert bei uns automatisches Verhalten. Das hat sich noch nicht verändert, nein.
Meyer: Deutschlandradio Kultur. Wir reden über unsere Gehirne aus der Steinzeit und wie sie im digitalen Zeitalter zurechtkommen mit der Medienpsychologin Astrid Carolus. Beim Stichwort Steinzeit kann man auch gleich daran denken, dass ja das Überlebensprinzip damals wirklich noch zutraf, dass nur die Fittesten überleben. Kann man das übertragen auf unseren Umgang mit der digitalen Welt. Es geht ja nicht ums Überleben, aber dass die, die diese Anpassungsleistung schneller vollbringen, dann auch mehr Vorteile von der digitalen Revolution haben?
Ein Berufsleben ohne digitale Medien kaum noch vorstellbar
Carolus: Genau. Was Sie ja sagen, ist was ganz Wichtiges. Survival of the fittest bedeutet ja nur, dass die überlebt haben, die angepasst waren an ihre Umwelt. Das heißt ja nicht, dass irgendwie die Besten und Stärksten, sondern die, die am besten angepasst waren. Und das haben wir heute natürlich auch. Also ich meine, wenn man jetzt überlegt und man sagt nö, ich möchte nicht digitale Medien nutzen, ich möchte kein Mobiltelefon, ich möchte keine E-Mails – kann man alles machen. Wird halt ein bisschen schwierig hier und da im Leben. Und wenn man so was vor hat wie Beruf, wird es noch schwieriger. Also ja, wäre schon nicht von Nachteil, digitale Medien zu nutzen heute.
Meyer: Wenn Sie jetzt auftreten bei so einer Konferenz wie der re:publica und dort darüber reden, was für Missverständnisse möglich sind aus der Struktur unseres Hirns heraus, Steinzeitgehirn, und gegenüber den digitalen Medien – welche Konsequenzen hat das eigentlich? Was kann man damit anfangen, mit dieser Erkenntnis?
Carolus: Ach wissen Sie, wir Wissenschaftler, wir machen ja auch viel, wenn der Tag lang ist. Nein, also tatsächlich ist ja die Frage bei der re:publica jetzt gerade, das ist ja für uns ganz spannend als Psychologen: Wir laufen da durch, und da sind ganz viele coole Leute, die coole Sachen machen und an Handys permanent, an ihren Smartphones und Tablets zugange sind, und da kann man sich natürlich fragen, was soll das, warum machen die nicht irgendwas Ordentliches, irgendwas Gescheites.
Für uns als Psychologen ist das insofern sehr gescheit, als dass da wahnsinnig viel passiert. Also wir sehen, warum verhalten sich Menschen so. Sie verhalten sich beispielsweise so, weil Kommunikation für uns wahnsinnig wichtig ist. Wir sind soziale Wesen. Für uns ist das so wichtig, mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Das kann man albern finden, aber so sind wir nun mal als Menschen. Und früher, als es noch keine Handys, Telefone gab, da hat man das halt über den Gartenzaun gemacht, aber inhaltlich passierte da das Gleiche. Auch da wurden eigentlich belanglose Dinge ausgetauscht, so wie heute online. Nur, online kann man es natürlich nachlesen – in Facebook kann man nachlesen, was gepostet wurde. Was früher über den Gartenzaun gesprochen wurde, das können wir nicht mehr nachlesen. Aber es war bestimmt nicht qualitativ wertvoller als heute.
Meyer: Man könnte sich ja auch als Ableitung aus Ihrem Vortrag, aus Ihrem Nachdenken vorstellen, um das Aggressionspotenzial zwischen Mensch und digitaler Maschine herabzusenken. Zum Beispiel, dass man vorschlägt, man macht immer ein Schild oben dran: Achtung, dies ist eine Maschine. Nur mal als Beispiel.
Carolus: Ja, das stimmt, dann hätten wir es bewusst im Kopf. Es würde wahrscheinlich dennoch nichts ändern, weil diese Dinge unbewusst ablaufen und wir sie gar nicht so recht kontrollieren können.
Meyer: Die ganze Konferenz re:publica hat ja eben dieses Motto, wir haben es schon erwähnt, "Into the Wild". Haben Sie da noch andere Ansätze gefunden, wo Sie auch aus Ihrer Sicht als Psychologin fanden: Interessant, da gibt es diese Bezüge zwischen Wildnis und digitaler Welt?
Carolus: Der Aufhänger der re:publica ist so ein bisschen – sind so ein bisschen die Snowden-Enthüllungen, und dass dieses Netz, so wie man es vor seinen Enthüllungen verstanden hat, so wahrscheinlich gar nicht existiert. Und jetzt wird halt diskutiert, was bedeutet das, auch netzpolitisch, was ist zu tun? Das ist für uns insofern sehr spannend, als dass das ja eine sehr spezifische Zielgruppe dort ist. Das sind ja Menschen, die sich sehr viel damit auseinandersetzen, und wir schauen dann natürlich immer auf alle User und merken halt, dass diese Brisanz, die dort bei den re:publica-Besuchern zu spüren ist, bei dem breiten Userfeld gar nicht ankommt. Da ist immer noch so ein bisschen – ja, die Leute klicken sich so durchs Netz und sind da noch nicht so auf der Hut. Das ist ganz interessant, ja.
Meyer: Wie passen unsere Gehirne aus der Steinzeit in die digitale Welt. Das haben wir besprochen mit Astrid Carolus vom Lehrstuhl für Medienpsychologie der Universität Würzburg, aus Anlass der gerade stattfindenden re:publica-Konferenz. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Carolus: Vielen Dank für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.