Medienkritik

Talkshow-Terror mit Trump-Effekt

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Nora Illi, Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", und Wolfgang Bosbach (CDU) bei der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Mein Leben für Allah" am 6.11.2016. © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Von Bodo Morshäuser · 24.01.2017
Flüchtlinge, Islam, Terror, Integration: Mit möglichst hohem Erregungsspiegel beackern Politik-Talkshows vor allem einen Themenkomplex, kritisiert Bodo Morshäuser. So arbeiteten sie vor der Bundestagswahl an einem deutschen Trump-Effekt, warnt der Schriftsteller.
Neulich sonntagabends, kurz nach halb elf: Anne Will fragt ihre Gäste, ob man "in dieser aufgeregten Stimmung" noch die richtigen Fragen stellen und ob man noch nüchtern diskutieren dürfe. Dürfe! Hatte ich die Einführung einer Diktatur verpasst? Leben wir im Notstand? Und welche "aufgeregte Stimmung" meinte sie?
Es war am Ende einer Talkshow-Woche mit diesen Themen: Erstens: "Neues Deutschland: Bringt Härte gegen Zuwanderer mehr Sicherheit?" Zweitens: "Terror mit Ansage – was tun mit den Gefährdern?" Drittens: "Bürger verunsichert – wie umgehen mit kriminellen Zuwanderern?" Unablässig wird von Angst geredet, und sie verbreitet sich desto schneller, je mehr von ihr geredet wird. Ob Maybrit Illner, Anne Will oder Frank Plasberg – alle haben an dieser Eskalation geschraubt.
Und was haben sie geschraubt. Eine knappe Talkshow-Bilanz des Jahres 2016 zeigt: Diskussionen über die vorvergangene Silvesternacht auf der Kölner Domplatte, die neue Balkanroute, das Abkommen mit Erdogan, die Anschläge von Nizza, Würzburg, München, Ansbach und Berlin. Gern dazwischengeschoben: Themen wie das Burkaverbot. Insgesamt ging es in der Hälfte aller Talkshows um den Mix Flüchtlinge - Islam - Terror - Integration. Das Jahr 2017 begann dann wieder mit Köln, gefolgt von der Nachbearbeitung des Anschlags von Berlin.

Ist es Absicht oder Ungeschick?

All das präsentieren die Sendungen als Gemisch der Themen Islam, Terror, Flüchtlinge und Integration. Gesprochen wird dann weder über den Islam noch über Terror, schon gar nicht über Flüchtlinge und auch nicht über Integration. Vielmehr wird ein Erregungsfeld inszeniert, auf dem die Diskussionsleiter das Wort von einer Position zur anderen weitergeben.
Ihr Kriterium ist der Erregungspegel, den es zu halten gilt. Ist es Absicht oder ist es Ungeschick, dass diese Art von sogenannter Diskussion eine der besten Wahlkampfhilfen für unsere neue, auf Erregungspegel spezialisierte Rechtspartei ist? Abgesehen davon, dass Migrationsthemen sowieso ihr Spielfeld sind.
Ganz sicher werden Terror und Sicherheit die Wahlkampfthemen des Jahres werden. Wirtschafts- oder sozialpolitische Themen dagegen – wie unterbezahlte Jobs, sieben Millionen Empfänger von Transferleistungen, Armut bei jedem sechsten Kind, die absurd ungerechte Vermögensverteilung, die permanente Euro-Krise oder der unglaubliche Abgasbetrug – sind offenbar nicht erregend genug.

Das Sprechen über Politik wird nur simuliert

Wirklich politische Fragen wären Fragen danach, wie das Zusammenleben und der Zusammenhalt einer Gesellschaft organisiert sein sollen. Seit über einem Jahr aber geht es nur noch darum, wie man auf irgendwas Aktuelles reagieren müsste. Zu besten Sendezeiten wird nicht über Politik gesprochen, sondern das Sprechen über Politik wird simuliert.
Von einem Islam-Terror-Flüchtlinge-Integration-Wahlkampf, auf den es in diesem Jahr hinauslaufen wird, werden allein Resonanzvirtuosen und populistische Affektmanager wie Höcke oder Petry profitieren. Sie sind die Spezialisten des Hasses, der sich unangreifbar zu machen versucht, indem er sich als Angst verkleidet.
Werden sich vielleicht am Morgen nach der Wahlnacht ahnungslose Demoskopen und aufgeschreckte Wähler fragen müssen, wie es so weit kommen konnte? Wenn, dann natürlich in einer Serie von Brennpunkten und Talkshows.
Werden angeblich Ahnungslose sich mit großen Augen fragen, wie das hatte passieren können? Erlebt Deutschland unter Anleitung seiner letzten Fernsehshows, die vorgeben, sich mit Politik zu befassen, im September vielleicht seinen Trump-Effekt?

Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus.

© M. Maurer
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