Mediengeschichte

Vor 70 Jahren erschien die erste Ausgabe von "Le Monde"

Heute erscheint sie mit Fotos: Die französische Tageszeitung "Le Monde" vom 27. November 2014
Ausgabe der französischen Tageszeitung "Le Monde" vom 27. November 2014 © AFP / MATTHIEU ALEXANDRE
Von Ruth Jung · 19.12.2014
Eine Zeitung ohne Fotos und Schlagzeilen - heute kaum mehr vorstellbar. Doch die nüchtern aufgemachte französische "Le Monde" entwickelte sich zum meistgelesenen Blatt der intellektuellen Nachkriegsgeneration. Mittlerweile sind auch in diesem Medienhaus die Glanzzeiten vorbei.
"An unsere Leser. Eine neue Zeitung erscheint: Le Monde. Sie hat das ehrgeizige Ziel, den Leser verständlich, wahrheitsgetreu und so schnell und umfassend wie nur möglich zu informieren. Doch wir leben in Zeiten, in denen man sich nicht damit begnügen kann, nur zu beobachten und zu beschreiben.“

Der Pariser Journalist Hubert Beuve-Méry in einem programmatischen Editorial am 19. Dezember 1944. Zum ersten Mal hielten die Leser an diesem Tag jene Zeitung in den Händen, die in Frankreich zu einer Institution und weltweit zu einer der angesehensten Tageszeitungen werden sollte: Le Monde. Die erste Ausgabe bestand aus einer einzigen, doppelt bedruckten Seite. Der Gründungsherausgeber Hubert Beuve-Méry:
"Eines der wichtigsten Merkmale von Le Monde ist ihre Unabhängigkeit. Das entsprang und entspringt auch heute noch einem essentiellen Bedürfnis. Dieses Bedürfnis war 1944 gegen Ende des Weltkriegs besonders stark, denn die gesamte französische Presse hatte ja mehr oder weniger ergeben die Eingriffe während der Hitlerischen Okkupation ertragen."
Der 1902 geborene Jurist und Journalist Beuve-Méry war geprägt durch ein katholisch-liberales Milieu, er träumte von einer unabhängigen Presse. In den 1930er-Jahren war er Korrespondent der Zeitung Le Temps in Prag; aus Protest gegen das Münchner Abkommen und die Berichterstattung demissionierte er 1938 und ging in die Résistance. Als de Gaulle im August 1944 als Befreier in Paris einzog, wusste der General um die Bedeutung einer freien Presse für den Wiederaufbau des Landes und suchte integre Persönlichkeiten.
Seine Wahl fiel auf Beuve-Méry, der seine Artikel fortan mit einem Pseudonym zeichnete: Sirius. Zum Gaullisten wurde der unbestechliche Journalist dennoch nie. Vielmehr schrieb er kritische Leitartikel zu den französischen Kolonialkriegen und versuchte 1956, die Politik gegen die Folter im Algerienkrieg zu sensibilisieren.
"Die Bibel der französischen Intelligenz"
Die nüchtern aufgemachte Le Monde ohne Fotos und Schlagzeilen entwickelte sich unter seiner Leitung rasch zum meistgelesenen Blatt einer jungen intellektuellen Nachkriegsgeneration. Mit 500.000 Exemplaren war Le Monde noch Anfang der 80er-Jahre die einzige Pariser Zeitung mit wachsender Auflage. Doch auch "die Bibel der französischen Intelligenz“, wie sie genannt wurde, geriet in die Krise.
Gérard Davet: "Den gedruckten Zeitungen in Frankreich geht es nicht besonders gut, wir stehen unter einem enormen Konkurrenzdruck durch all die neuen Medien. Was Le Monde angeht, so verlieren wir Jahr für Jahr Geld, weil wir Leser verlieren."
Gérard Davet, Reporterfür investigative Recherche, deckte 2010 die Verstrickungen des damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy mit auf, dessen Wahlkampagne mit illegalen Spendengeldern finanziert worden war. In der Berichterstattung zur "Bettencourt-Affäre“ nahm Le Monde zeitweise die alte Vorreiterrolle wieder ein. Doch die schwelende Zeitungskrise führt weiterhin zur einer sinkenden Auflage von zur Zeit rund 318 000 Exemplaren. Interne Krisen, Schulden und ein Dauerstreit um die künftige Ausrichtung der Zeitung belasten die Arbeit. Gehörte Le Monde noch bis Juni 2010 zu 53 Prozent seinen Angestellten und Mitarbeitern, haben sich die Besitzverhältnisse zugunsten einer Investorengruppe verändert. Gérard Davet ist dennoch verhalten optimistisch:
"Wir haben neue Investoren bei Le Monde, sie haben Geld freigegeben, um Leute einstellen zu können, die genau das tun sollen, was der berühmte Reporter Albert Londres ‚die Feder in die Wunde legen‘ nannte. Wir bei Le Monde verstehen etwas von Journalismus, ich selbst mache das immerhin seit zwanzig Jahren. Es kommt also darauf an, Internet-Konzepte, die sich bewährt haben, mit unseren Erfahrungen und Talenten zu verknüpfen. Das erproben wir momentan bei Le Monde, was bedeutet, dass wir deutlich mehr an der Internet-Ausgabe arbeiten."
Eine verspätete Erkenntnis, meinen Kritiker. Schließlich macht der langjährige frühere Chefredakteur von Le Monde, Edwy Plenel, mit seiner kostenpflichtigen Internet-Tageszeitung "Mediapart“ seit Jahren erfolgreich vor, dass investigativer kritischer Journalismus auch ohne gedruckte Zeitung eine Zukunft hat.
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