Medien

"Zwei völlig unterschiedliche Kulturtechniken"

Eine Ausgabe der Münchner "Abendzeitung": Die traditionsreiche Zeitung hat am 5.3. 2014 einen Insolvenzantrag gestellt.
Eine Ausgabe der Münchner "Abendzeitung": Die traditionsreiche Zeitung hat am 5.3. 2014 einen Insolvenzantrag gestellt. © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Hans-Jürgen Bucher im Gespräch mit Nana Brink · 17.06.2014
Auflage, Reichweite: Was für Print gilt, ist noch lange kein Indikator für ein erfolgreiches Online-Angebot, sagt Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher. Online müssten viel stärker "Interaktionsindikatoren" wie Likes und Retweets bewertet werden.
Nana Brink: Die "Süddeutsche Zeitung" überlegt, das Online-Portal von der insolventen "Münchner Abendzeitung" zu kaufen. Warum will sie das tun? Ganz einfach, weil die "süddeutsche.de" und die Boulevard-Plattform zusammen ausgewiesen werden, also ihre Besucher werden zusammengezählt, und ohne die "Abendzeitung" würde die "Süddeutsche" ein Drittel ihrer Online-Besucher verlieren.
Wie weitgehend diese Nachricht wirklich sein könnte, das weiß Hans-Jürgen Bucher - er ist Medienwissenschaftler an der Uni Trier - einzuschätzen. Schönen guten Morgen, Herr Bucher!
Hans-Jürgen Bucher: Guten Morgen, Frau Brink.
Brink: Was bedeutet denn diese Nachricht für die "Süddeutsche Zeitung" und ihren Online-Bereich?
"Eine komplementäre Unterstützung"
Bucher: Den wichtigsten Grund haben Sie ja schon genannt. Natürlich sieht es von außen zunächst seltsam aus, wenn eine Boulevard-Zeitung und eine seriöse überregionale Tageszeitung sich dann auf der Ebene zusammenfinden. Aber für die "Süddeutsche" macht es durchaus Sinn. Man kann hier sagen, die "Süddeutsche" mit ihrer nationalen, internationalen, überregionalen Kompetenz im Online-Bereich und die "Münchner Abendzeitung" als sehr renommierte Lokalzeitung, das ergänzt sich, und wenn man sich die Online-Angebote anguckt, dann sieht man auch auf den Einstiegsseiten schon relativ deutlich, dass es die beiden Ausrichtungen sind, von der vermutlich sich die "Süddeutsche" eine komplementäre Unterstützung erwartet.
Brink: Ist denn das Online-Portal der "Süddeutschen" nicht so erfolgreich?
Bucher: Doch. Ich meine, es liegt ja immerhin an Platz vier oder fünf in den Rankings der deutschen Online-Zeitungen. Aber man muss ja sehen: Die "Süddeutsche" ist ja von ihrem Verbreitungsgebiet her im Grunde genommen so etwas wie eine Regionalzeitung. Die meisten Käufer der "Süddeutschen", Leser der "Süddeutschen" sind ja in Bayern angesiedelt, und von daher macht es schon Sinn, denen dann online quasi ein lokales Ergänzungsangebot anzubieten.
Brink: Dann ist es ja offenbar schwierig, Online als Geschäftsmodell durchzumessen. Kann man überhaupt den Erfolg dann bemessen und wenn ja wie?
Online andere Kriterien ansetzen
Bucher: Wir sind es ja gewohnt, bei den klassischen Massenmedien nach Reichweite, Auflagenzahl und so weiter zu verfahren. Es macht zumindest gewisse Schwierigkeiten, diese quantitativen Werte automatisch auf Online zu übertragen. Man muss ja sehen: Viele Online-Seiten werden ja über Suchmaschinen gefunden. Das sind nicht die Nutzer, die sich eigentlich eine Tageszeitung, eine Online-Tageszeitung wünscht, denn die bleiben ja nur kurz da, rufen vielleicht mal eine Seite auf.
Insofern, denke ich, muss man online andere Kriterien ansetzen, und da haben wir ja viel stärker sogenannte Interaktionsindikatoren: Was an den Beiträgen wird weitergeleitet, was wird kommentiert, was wird geliked, wo kommen Links in Tweets und Statusmeldungen vor? Und ich denke, insofern kann sich der Erfolg eines Online-Angebotes nicht ausschließlich an Abrufzahlen bemessen lassen.
Insofern glaube ich, dass für Online andere Qualitätskriterien zu entwickeln sind, als das für die klassischen Medien bislang der Fall war.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher © picture alliance / dpa / Birgit Reichert
Brink: Was wären die denn und inwieweit konkurrieren dann Print und Online miteinander? Oder vielleicht befördern sie sich ja auch, könnte ja auch sein?
Online-Angebote werden anders gelesen
Bucher: Ich glaube, was man lange Zeit übersehen hat, dass wir es eigentlich mit zwei völlig unterschiedlichen Kulturtechniken zu tun haben, wenn wir Print und Online vergleichen. Die Meinung war ja lange Zeit die, Online ist so etwas wie ein zusätzlicher Verbreitungskanal für die Texte, die sowieso für die Zeitung schon geschrieben waren.
Inzwischen hat sich aber bei einigen Blättern schon die Einsicht durchgesetzt, dass es sowohl von der Produktion als auch von der Nutzung her zwei völlig verschiedene Dinge sind, Print und Online. Online-Angebote werden anders gelesen, sie müssen anders produziert werden, und wenn man die Unterschiede nicht berücksichtigt, dann verschenkt man eigentlich die Stärken des einen und des anderen Mediums.
Ich glaube, dass dieser Bereich der Interaktion ganz wichtig ist für Online-Medien, dass mit Online-Medien so etwas wie eine Community aufgebaut werden kann. Online-Medien sind natürlich deutlich viel multimodaler, als das gedruckte Medien sind. Insofern bieten sich ganz andere Darstellungspotenziale. Und vor allen Dingen Online-Medien, Online-Zeitungen in unserem Fall, sind ja viel stärker in der Lage, so etwas wie eine kontinuierliche Chronologie von Ereignissen zu liefern - denken Sie an die Rettung aus der Riesending-Höhle oder die Fußball-Weltmeisterschaft.
Das wird völlig anders gegecovert von einem Online-Medium als von einer Tageszeitung, die ja viel stärker analytisch, ergebnisorientiert und hintergrundorientiert arbeiten muss.
Brink: Tut sich denn so eine Zeitung wie die "Süddeutsche" schwer, das zu unterscheiden, zu differenzieren?
Getrennte Vorgehen von Print und Online
Bucher: Die "Süddeutsche" tut sich ja insofern nicht schwer, als sie relativ frühzeitig schon eine eigenständige Online-Redaktion gehabt hat, und dass es in der klassischen Print-Redaktion gewisse Vorbehalte gegenüber der Online-Redaktion gibt, hat man jetzt ja auch bei der Regelung für die neue Chefredaktion gesehen, wo es ja nicht ohne Weiteres üblich war oder akzeptiert war, dass der Leiter der Online-Redaktion dann Mitglied der Chefredaktion geworden ist. Aber ich glaube, die "Süddeutsche" hat früh dieses getrennte Vorgehen von Print und Online verstanden und von daher auch den Online-Bereich ganz anders entwickelt als den Print-Bereich.
Brink: Insofern mag es dann auch nicht verwundern, dass sie dann Teile der insolventen "Münchner Abendzeitung", eben das Online-Portal, vielleicht kaufen wollen. Schönen Dank! Hans-Jürgen Bucher war das, Medienwissenschaftler an der Uni Trier. Schönen Dank!
Bucher: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema