Mecklenburg-Vorpommern

Ein Herrenhaus als Denkmal

Das restaurierte Barockschloss Bothmer in Klütz (Mecklenburg-Vorpommern).
Das restaurierte Barockschloss Bothmer in Klütz (Mecklenburg-Vorpommern). © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Alexa Hennings · 05.06.2015
Sieben Jahre hat es gedauert, das Barockschloss Bothmer im mecklenburgischen Klütz zu sanieren. Sein Namensgeber, Hans Caspar von Bothmer, hat es selbst nie betreten. Er machte Karriere in London – und wurde zum zweitmächtigsten Mann Großbritanniens.
Von Number 10 Downing Street nach Klütz – was für eine Geschichte. Besonders, wenn man Klütz kennt, das 3000-Seelen-Nest unweit der Ostsee, wo sich die Häuschen unter dem Kirchturm mit der Bischofsmütze zu ducken scheinen und Kopfsteinpflaster den allzu schnellen Zug der Zeit stoppt. Größer könnte der Kontrast nicht sein: Macht und Metropole auf der einen, landeihafte Beschaulichkeit auf der anderen Seite. Hans Caspar von Bothmer hat ihn gesucht, diesen Kontrast. Wie Händel lebte er vor 300 Jahren am englischen Hof. Jedoch nicht als Hofkomponist, sondern zuerst als Gesandter des hannoverschen Fürstenhofes, dann als Königsmacher und Minister von König Georg I., der hannoverscher Kurfürst und König von England zugleich war. Und weil er der Welt nichts so Unsterbliches hinterlassen konnte wie Händel, wollte Bothmer wenigstens mit einem Bauwerk für seine Unvergänglichkeit sorgen: mit einem ganz besonderen Schloss in Klütz.
Wenige Tage vor der Wiedereröffnung des Schlosses lärmten noch die Bagger im sogenannten Ehrenhof, dem repräsentativen Platz vor dem Schloss. Der Rollrasen liegt schon, die Blumenrabatten sind fertig, nun muss noch der Weg gepflastert werden. Friederike Drinkuth stapft durch den Kies, um zur sogenannten Festonallee zu gelangen.
Drinkuth: "Barock. Als man das ganze Ensemble hier errichtet hat, ist das die einzige Zufahrt zum Gelände gewesen. Und da steckt eine richtige Inszenierung dahinter, das muss man gesehen haben!"
"Sieben Jahre Rekonstruktion sind geradezu Rekordzeit"
Vorpommern. Die Kunsthistorikerin wirkte an der Restaurierung des Rokoko-Schlosses in Mirow mit, das nach 20-jähriger Bauzeit im vergangenen Jahr wiedereröffnet wurde. Da sind die sieben Jahre, die die Rekonstruktion von Schloss Bothmer in Anspruch nahmen, geradezu Rekord.
"Wir befinden uns hier in der Festonallee. Sie ist 270 Meter lang und wird von barocken Linden gesäumt. Die sehen heute aus und wirken wie Kopfweiden. Feston bedeutet Girlande. Und wenn Sie schauen, die Bäume sehen so aus, als würden sie sich an den Händen fassen. Nebeneinander. Und da es ein bisschen durchhängt, könnte es eine Girlande sein. Das ist passiert, weil man irgendwann gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr diesen barocken Kastenschnitt durchgeführt hat jedes Jahr. Und dann sind die Kronen ganz hoch aufgeschossen, was dazu führte, dass die Kronen zu schwer für den kleinen Stamm geworden sind und die Stämme gespalten sind.
Besucher, die zum ersten Mal hier sind, sagen: So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Und dann kann ich immer nur aus vollem Herzen sagen: Ja, das werden Sie auch nirgendwo anders sehen, weil es eben eine solche Besonderheit ist auch durch diese Form, die die Bäume heute haben. "
Ein barockes Spektakel
Friederike Drinkuth hat jetzt den künstlich angelegten Hügel in der Festonallee erreicht, geht noch wenige Schritte weiter und dreht sich dann um in Richtung Schloss. Ein spektakulärer Anblick.
"Es ging eben nicht nur darum, die Landschaft zu gestalten, indem man Bäume pflanzte oder Beete anlegte, sondern durchaus auch, dass man Hügel formte. Das ist ein solches barockes Spektakel, das ist wunderbar. Wir gucken hier über eine Kuppe."
Der Blick geht durch den von den Girlanden-Linden gesäumten Hohlweg in Richtung Schloss, von dem man, steht man kurz hinter der Hügelkuppe, wie in einem grünen Bilderrahmen nur das große Fenster des Festsaals im ersten Stock sieht und durch diesen Saal hindurch, wie auf einem Miniaturbild, ein Stück des Gartens erblickt. Darüber das Wappen von Hans Caspar von Bothmer, seine Initialen und sein Leitspruch "Bedenke das Ende".
Der Architekt der Schlossanlage samt Park und Festonallee war Johann Friedrich Künnecke. In einem umfangreichen Briefverkehr wirkte Bothmer von London aus jedoch sehr direkt auf das Baugeschehen ein und trug vor allem Sorge, dass englische und niederländische Einflüsse zur Geltung kamen. So ist die gesamte Platzierung des Schlosses und des Gartens in einer von einem rechteckigen Graben umfassten Insel niederländischen Vorbildern nachempfunden. Auch an Buckingham House - dem Vorläufer des heutigen Buckingham Palace - nahm Bothmer Anleihen.
Insgesamt umfasst das Ensemble 14 Gebäude. Bis auf zwei sind alle miteinander verbunden. Allein diese repräsentative Größe macht Schloss Bothmer zu einer Besonderheit unter den mecklenburgischen Herrenhäusern - und streng genommen ist es nicht mehr als das, denn Bothmer war nie eine Residenz.
Nach dem Krieg als Typhuslazarett und später als Alten- und Pflegeheim genutzt
Eine Zeit lang wird der Baustellenlärm Schloss Bothmer noch erhalten bleiben, denn der Westflügel wird erst am Ende des Jahres fertig. Bauingenieur Steffen Siefert ist der Projektleiter der Sanierung und von Anfang an dabei. Zuerst ging es darum, die Umbauten, die das Schloss nach 1945 erlebte, zu beseitigen. Es war nach dem Krieg als Typhuslazarett und später als Alten- und Pflegeheim genutzt worden.
"Im Prinzip haben Sie alle Umbauphasen von den 50er- bis zu den 80er-Jahren hier sehen können. Da war auch wahnsinnig viel Stahlbeton eingebaut. Das haben wir alles, die ganze Altenheim-Struktur, wieder zurückgebaut und wieder bauzeitlich große Räume geschaffen. Es gab auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg hier Umbauten, da wurden Wohnungen eingebaut. Das sind so verschiedenste Phasen des Umbaus in den 300 Jahren Geschichte, die gar nicht dokumentiert sind und die wir auch nicht nachvollziehen können."
Es gab kaum Dokumente über das Schloss, nur wenige Unterlagen fanden sich in den Archiven. Und so wurde manche Information auch auf unkonventionelle Art gefunden: Die Klützer Einwohner wurden um Fotos gebeten. Steffen Seifert zeigt zum Westflügel, dem noch unfertigen Teil des Hauses.
"Es gibt manchmal ganz lustige Sachen. So wie die Kellerfenster, die dort mit Folie zugehängt sind. Die kannte eigentlich keiner mehr. Es gab ein Foto, das als völlig unwichtig eingeschätzt wurde. Da sieht man wirklich nur einen kleinen Jungen und ein Huhn - und ein Kellerfenster. Und die Planungen sahen, weil die Kellerfenster nicht mehr vorhanden waren, auch keine Kellerfenster vor. Bis jemand mit diesem Foto ankam und sagte: Die Kellerfenster gehören hier in den Westflügel."
Ein Brunnen mitten im Schloss
In einer Brunnenbaufirma fand sich ein Foto vom Bau eines artesischen Brunnens mitten im Schloss - eine mögliche Erklärung für die schweren Bauschäden des Gebäudes.
Diese Schäden waren es auch, die einen privaten Investor, der das Schloss nach der Wende für eine D-Mark gekauft hatte, resignieren ließen. Zunächst ging die Anlage an die damit völlig überforderte Stadt Klütz zurück, 2008 übernahm das Land Mecklenburg-Vorpommern die Verantwortung. Das erste Mal nicht für eine Residenz Mecklenburger oder Strelitzer Herzöge - wie es zum Beispiel die Schlösser in Schwerin, Ludwigslust, Güstrow, Neustrelitz und Mirow sind. Sondern für ein Herrenhaus, was die besondere Bedeutung des Schlosses Bothmer unterstreicht.
Beim Eröffnungskonzert und im Museum spielt die Musik von Georg Friedrich Händel eine große Rolle. Für das mediale Ausstellungskonzept und den Audioguide spielten Musiker aus Halle die Stücke eigens auf Barockinstrumenten ein. Der Besucher erreicht das Schloss durch einen Eingang, der ein paar Stufen hinab in den Keller führt. Zu riskant wäre es gewesen, dem historischen Vestibül im Erdgeschoß das Auf und Zu der Türen und den steten Wechsel der Temperaturen zuzumuten. Im Kellergewölbe war früher die Küche des Altenheims. An den Säulen sieht man, dass der Fußboden um 20 Zentimeter auf das historische Maß abgesenkt wurde. Das zog nach sich, dass auch der Kanal im Schlossgarten abgesenkt werden musste. Ein Riesenaufwand, doch nur so konnte man gewährleisten, dass das Gebäude endlich auf trockenem Grund steht. Denn die dauernde Nässe und das herein drückende Wasser - und nicht der artesische Brunnen - hatten zu den Rissen im Gemäuer und abgesackten Wänden geführt.
"Es gibt eben eine bauzeitliche Stelle, die wirklich eine Art Schlammloch ist. Sehr lokal begrenzt, und da ist das Haus von Anfang an versackt und hat eigentlich auch nie Halt gefunden. Wir haben also hier eine Hochdruckinjektion mit Zement vorgenommen, die ungefähr unter dem Kellerfußboden nochmal bis zu sieben Meter in die Erde reicht und haben dort jetzt einen tragfähigen Grund. Sodass das Haus jetzt Riss freisteht. Und Sie sehen hier diese ganzen kleinen Marken, die sind jetzt auch erhalten worden um nachzumessen, ob sich das Haus in seiner Lage noch verändert oder nicht. Und wir haben in den letzten Messungen nie was feststellen können. Also, es scheint jetzt gelungen!"
Bis 1945 wurde das Herrenhaus von der weitverzweigten Familie bewohnt
Drei Jahre hat es gedauert, das Haus wieder auf festen Grund zu stellen. Erst dann konnte die eigentliche Sanierung beginnen. 2010 ging es los. Nach der Restaurierung sollte jedoch die Geschichte des Hauses noch sichtbar sein: So wurden etwa schiefe Fenster oder Türleibungen belassen, die durch die jahrhundertelange Versackung des Schlosses entstanden waren. Eine Herausforderung für Handwerksmeister, die alles gern ordentlich und gerade herstellen wollen. Auch in der Eingangshalle mit dem großen Kamin und den Medaillons mit Porträts an der Wand standen die Bauleute und Restauratoren vor dieser Herausforderung.
"Tür, Kamin, alles ist hier nicht im Lot und nicht in Waage. Und Hans Caspar Gottfried mussten wir hier in der Restaurierung eine Weile von der Wand entfernen, weil dieser Bereich, der abgesackt war, war einfach so stark geschädigt, dass er einfach nicht mehr an der Wand bleiben wollte und fast runtergefallen wäre."
Hans Caspar von Bothmer hat nie selbst in diesen Räumen gewohnt. Da er keinen Sohn hatte, übertrug er das Haus einem seiner Neffen. Er legte fest, dass der Besitz nicht geteilt werden darf und immer ein männlicher Nachfahre hier wohnen soll. So sorgte er dafür, dass sein Name auf immer mit dem Haus verbunden war. Bis 1945 wurde es von der weitverzweigten Familie bewohnt. Hans Kaspar von Bothmer, ein Namensvetter seines berühmten Vorfahren – nur mit K statt C im Namen – war das letzte Familienmitglied, das auf dem Schloss lebte. Er arbeitete als Pfleger in dem 1945 eingerichteten Lazarett für Typhus- und Fleckfieberkranke und starb 1946 an Fleckfieber.
"Vielfach wurde gefragt: Warum dauert das jetzt so lange? Ich finde nicht, dass es eine lange Zeit ist. Es wird 1726 bis 1732 gebaut, also sechs, sieben Jahre. Wir sind jetzt auch sechs, sieben Jahre mit der aktiven Sanierung und Restaurierung dabei. Ich finde es schwierig, etwas Vorhandenes, was kaputt ist – das muss man erst zurückbauen und wieder aufbauen. Und das sieht man eigentlich sehr schön an dem Raum, der früher das Heimleiterzimmer war: Dass die Täfelung erstmal einen guten Eindruck gemacht hat, da hätte man gedacht: Na ja, da gibt's einen Maler und einen Restaurator. Aber als wir sie abgenommen haben, gab es dahinter furchtbare Risse, sodass man erstmal von der Statik her sagen musste: Da hält nichts mehr! "
EU finanziert Restauration mit
80 Prozent der Aufträge für Schloss Bothmer wurden an Firmen und Restauratoren aus Mecklenburg-Vorpommern vergeben. Wie schon in Mirow wurde auch die Restaurierung von Schloss Bothmer mit Mitteln des Landes und der Europäischen Union finanziert. Damit fließt der Großteil der Landesmittel, die für die Sanierung von Gutshäusern, Herrenhäusern und Schlössern ausgegeben werden, in die Sanierung von landeseigenen Schlössern. Ein Segen für diese Leuchtturm-Bauwerke - doch in der Fläche fehlt nach wie vor Geld, um Gutshäuser vor dem Verfall zu retten.
"Wenn wir das Jahr abschließen, werden wir knapp 36,5 Millionen Euro ausgegeben haben. Das ist dann das, was wir wirklich gerechnet haben. Das ist nicht mehr, sondern etwas weniger, was wir ausgeben werden. Denn es ist in verschiedene Bauabschnitte eingeteilt und im ersten Bauabschnitt haben wir rund zehn Prozent der Kosten einsparen können. Das ist auch eine Frage der Kostensteuerung: Was kann man sich leisten? So ein Schloss verträgt auch immer mehr Geld, aber es ist auch die Frage, ob man sich selber zügelt und sagt: Das haben wir gerechnet, das ist genehmigt und dabei bleiben wir. Man kann immer noch mehr Geld gebrauchen aber dann reicht es auch mal. Und man sagt: Das ist der Stand, den wir erreichen, und ich denke, der ist auch gut."
Sparsam sein und sich bescheiden- das ist ein Standpunkt, den der Bauherr Hans Caspar von Bothmer durchaus nicht vertrat. Beim Bau der Anlage musste er sich keinerlei Zügel anlegen. Friederike Drinkuth hat das Leben dieses außergewöhnlichen Menschen erforscht und für so interessant befunden, dass sich die neue Ausstellung fast ausschließlich mit dem Bauherren des Hauses befasst.
"Man muss sagen, sein Gehalt hätte das niemals finanziert. Wir haben tatsächlich ungefähre Vorstellungen, was er auf der Spitze seiner amtlichen Karriere verdient hat. Wenn er allein daraus den Ankauf der großen Ländereien und das Schloss hätte bezahlen müssen, hätte er 100 Jahre dafür arbeiten müssen. Das war natürlich nicht möglich, auch einem solchen Genie wie ihm nicht. Und deshalb weiß man, dass ein großer Teil seines Vermögens aus Geldgeschenken und Zuwendungen hat stammen müssen. Er war darüber hinaus ein äußerst geschickter Investor. Man hatte das Gefühl, das alles, was er anfasste, zu Gold wurde. Was ihm natürlich auch sehr viele Neider eingebracht hat. Die zeitgenössischen Stimmen aus England über Hans Caspar von Bothmer sind sehr kritisch - um es mal diplomatisch auszudrücken."
Baukosten entsprachen den Jahreseinkünften ganzer Kleinstaaten
Allein für den Ankauf der Ländereien rings um das Schloss - immerhin 5000 Hektar - gab er eine viertel Million Reichstaler aus, das entsprach den Jahreseinkünften ganzer Kleinstaaten. Wie konnte ein Mann aus einfachem niedersächsischen Landadel - von dessen Geburtshaus in Lauenbrück es kein Zeugnis mehr gibt - eine solche Karriere machen? Friederike Drinkuth steht in einem Raum, dessen Wände im Stil historischer Tapeten eine Europakarte der damaligen Zeit und zwei Frauenbildnisse zeigen: die englische Queen Anne und die hannoversche Kurfürstin Sophie. In der Mitte ein moderner Spieltisch. Der Aufstieg des Hans Caspar von Bothmer wird als Spiel inszeniert.
"In diesem Raum kann man jetzt schon sehr gut sehen, wie wir die moderne Ausstellung in die barocke Raumhülle integrieren. Wir haben überhaupt keine Möbel oder Wandtapeten, Vorhänge etc. Das, was erhalten geblieben ist aus der Zeit des Barock, sind die Böden, die aufwendigen und wirklich tollen Paneele der Wände und die phantastischen Stuckdecken und Kamine. Wir konnten keine Inventare finden, die es uns ermöglichten, Beispielräume einzurichten. Weswegen wir also mit einer komplett modernen Ausstellung hier reingehen."
Das erste von 17 Kindern
Als Hans Caspar von Bothmer 1656 geboren wurde, war gerade der Dreißigjährige Krieg durch das Land gezogen und hatte Not und Armut auch bis in Adelsfamilien gebracht. Hans Caspar ist das erste von 17 Kindern, besucht mit seinen Brüdern die Ritterakademie in Lüneburg und möchte Soldat werden. Der Vater, der wohl andere Talente seines Ältesten erkannt hatte, zum Beispiel seine außergewöhnliche Sprachbegabung, verbot ihm, zum Militär zu gehen. Er sollte eine Universität besuchen. Doch auf dem Weg dorthin trifft er seinen Patenonkel, der ihm einen Platz in der diplomatischen Gesandtschaft in Nimwegen vermittelt.
"Und so geht er das erste Mal mit 21 Jahren ins Ausland. Und gleich und direkt als Mitglied einer diplomatischen Mission. Und das ist der entscheide Wendepunkt und die Weichenstellung in seinem Leben. Er wird nie eine Universität besuchen und sich selbst in der Folge soweit aus- und fortbilden, dass er diese wahnsinnig steile Karriere machen konnte."
Bothmer vertrat den hannoverschen Hof in Wien, Berlin, Den Haag, Paris und ab 1711 in London. Doch das Leben als Gesandter war zur damaligen Zeit durch die ständigen Reisen nicht ganz ungefährlich.
Auf Geschenke angewiesen
"Und das Gehalt war nicht verlockend, deswegen hat niemand den diplomatischen Dienst angetreten. Zusätzlich mussten die Gesandten in den Orten, in die sie entsandt wurden, einen sehr exklusiven Lebensstil führen, mit Dienern, Karossen größeren Häusern, die sie niemals von ihrem Gehalt, das sehr bescheiden war, hätten bezahlen können. Was zeigt, dass sie alle auf Geldgeschenke angewiesen waren. Und es gehörte zur absoluten Normalität, solche anzunehmen. Es gehörte einfach dazu."
Der Aufstieg des hannoverschen Gesandten vollzog sich parallel zum Aufstieg seiner Brotgeber. Er befand sich in Diensten der Fürsten von Braunschweig-Lüneburg. Denen gelang es 1692, die Standeserhebung zum Kurfürsten zu erhalten. Ein sehr ungewöhnlicher Umstand, da es eine festgelegte Anzahl von Kurfürstentümern gab.
"Und dann tat sich um das Jahr 1700 eine neue Chance für die jetzigen Kurfürsten, die Hannoveraner, die auch Welfen genannt werden, auf. Es war absehbar, dass der englische Thron vakant werden würde. Da die Mutter des amtierenden Kurfürsten eine geborene Stuart gab, war klar, dass es durch familiäre Verbindungen bereits einen Anspruch gab. Und man musste an allen verschiedenen Fronten erreichen, das auch diese Hannoversche Succsession, wie sie heute genannt wird, auch akzeptiert wurde und dass kein Krieg ausbricht."
Der Vertreter des neuen deutschen Königs in England
Hans Caspar von Bothmer ebnet die Wege für seinen Herrn, Kurfürst Georg Ludwig. Als dann 1714 die hannoversche Kurfürstin Sophie und kurz darauf die viel jüngere, kinderlose englische Königin Anne stirbt, schlägt die große Stunde des Diplomaten.
"Und in dem Moment ist er, wenn man es salopp ausdrückt, in der Poleposition. Denn er ist der Vertreter des neuen deutschen Königs in England. Und jeder, der sich von der neuen Regierung etwas erhofft, weiß, dass der Mittelsmann in Verantwortung Hans Caspar von Bothmer ist. Und alle kommen zu ihm. Er hat vorher schon enge Kontakte in die englische Politik geknüpft, die ganz, ganz anders ist als die deutsche, kurfürstliche der Welfen. Als dann der König schließlich nach England kommt, ist er einer seiner wichtigsten Berater, weil er die Befindlichkeiten kennt."
In einem weiteren Ausstellungsraum auf Schloss Bothmer ist eine kleine Bühne aufgebaut. Darin eine Medienstation, auf der ein Film über die deutsche Kanzlei in England läuft - die politische Bühne, auf der Hans Caspar von Bothmer in London agiert. Es ist die Schnittstelle zwischen der deutschen Vertretungsregierung in Hannover und dem englischen König, der mit Hilfe der deutschen Kanzlei und den dort tätigen Ministern in der Lage ist, beide Reiche zugleich zu regieren.
"Hans Caspar steht nicht sofort an der Spitze. Der damalige hannoversche Premierminister, ein Herr von Bernstorff, ist zunächst Leiter der Deutschen Kanzlei. Der begann um 1719 zu fordern, dass doch auch die deutschen Politiker aus dem Gefolge von Georg I. einen Platz im Parlament haben sollten. Und das war ein absoluter Fauxpas, der letztendlich zum Fall Bernstorffs führte, der 1720 wieder auf den Kontinent geschickt wurde. Und dann war der Posten des Leiters der Deutschen Kanzlei, des ersten Ministers - also des Premierministers für die deutschen Angelegenheiten - vakant. Und das wurde Hans Caspar von Bothmer. Er ist damals 64 Jahre alt und damit auf dem Zenit seiner Karriere angelangt. Und man kann sagen, dass er nach dem König der mächtigste Mann in seinem Geburtsland und in einem der damals mächtigsten Länder der Welt geworden ist. Und das ist schon eine ganz, ganz beeindruckende Karriere."
Eine Karriere, an die man sich in England bis heute nicht erinnern mag – jedenfalls hängt an seinem Wohnhaus kein Schild mit einem Hinweis auf ihn.
Wohnsitz: Downing Street 10
Es gibt natürlich Historiker und Experten, die erinnern sich sehr gut. 2014 war ja das 300-jährige Jubiläum der Personalunion und da gab es auch ein paar Ausstellungen. Aber man merkt, dass gerade das moderne England gar nicht so erpicht auf diese deutsche, doch auch sehr lange Episode auf dem englischen Königsthron ist. Und auch nicht gerade nach deutschen Politikern, die Einfluss genommen haben, sucht. Es ist ganz interessant: Als Hans Caspar all dies schafft, lebt er in einem Gebäude, das heute zu den bekanntesten in der Welt gehört: Er lebt in Downing Street 10. Die ist ihm auf Lebenszeit von Georg I. zugestanden worden. Und sei heißt damals nicht Downing Street 10, sondern Bothmer House. Und das hieß sie auch lange danach noch. Und ein wirklich hochgebildeter Engländer sagt:
"Oh yes, Bothmer house. (lacht) Nein, die Engländer würden mit Sicherheit keine Plakette für Hans Caspar von Bothmer anbringen. Aber wir könnten das ja mal vorschlagen, ist eigentlich ein sehr charmanter Gedanke!"
"Hans Caspar liebt es, in die Oper zu gehen, Theateraufführungen, er ist ein richtiger Großstädter. Er feiert anscheinend brillante Feste. Jemand hat über ihn geschrieben: Hans Caspar verstand die Kunst, Großartigkeit mit Sparsamkeit zu verbinden, indem er weniger Geld ausgab als andere, aber viel mehr darstellt. Und er kannte eben nicht nur Politiker, sondern auch viele Künstler, er kannte Händel und war mit den Akademiedirektoren befreundet. Er muss da wirklich einen sehr mondänen Haushalt geführt haben, der natürlich auch viel kostete. Und er hat nicht einen Abstrich machen müssen, als er diese riesige Investition hier in Mecklenburg begann. Da gab nicht plötzlich keine Festivitäten mehr oder dass er in irgendetwas zurückstecken musste. Und das zeigt ja nochmal, wie reich er tatsächlich geworden sein muss."
Die Kuratorin fand keinen Beweis dafür, dass Hans Caspar von Bothmer irgendwann einmal sein mecklenburgisches Anwesen betrat – oder gar die Absicht hatte, jemals von London in ein Dorf namens Klütz zu ziehen.
"Er wäre überhaupt nicht der Mensch gewesen, der von seinem Amt losgelassen hätte, der dieses Spektakel London vermissen wollte. Er tut es für seinen Nachruf. Wir kennen einen Brief, in dem der Baumeister Johann Friedrich Künnecke Bothmer schreibt, dass solange an diesem Haus Stein 'Stein' genannt wird, das Andenken an ihn unsterblich sein würde. Und das ist aufgegangen."
Mehr zum Thema