Mecklenburg

Das kann ja mal vorpommern

Menschen hinterlassen feine Spuren im Sand des Strandbades Eldena bei Greifswald
Viel Sand und Strand an der Küste in Mecklenburg-Vorpommern - aber manchmal verlieren sich dazwischen auch ein paar Stiefel © dpa/picture alliance/Stefan Sauer
Von Thilo Schmidt · 10.12.2014
Wenn nicht gerade Badesaison ist, wird es ruhig an der Küste. Man kann dann recht ungestört auf Bernsteinsuche gehen. Oder sich mit Neonazis rumärgern.
Eine Liebeserklärung an Mecklenburg-Vorpommern! Endlich mal wieder was ohne Nazis aus Meck-Pomm – ein bisschen wie Urlaub, da steigt die Stimmung.
Die Ostseeautobahn, Straße der Urlaubsträume, der Weg auf den Darß, zur schönen Insel Hiddensee. Karge und doch vielfältige Landschaft. Leuchttürme. Lange Nächte. Sanddorn. Das ist Liebe! Und: maulfaule Sturköppe - Klischee Nummer eins.
Klischee Nummer zwei: Man kann bei Pasewalk die Hand an die Stirn legen und bis zur Ostsee gucken. Darum ist mein erstes Ziel der Helpter Berg, die höchste Erhebung des Landes.
Die Dorfkneipe im Dornröschenschlaf, die Vorgärten gepflegt. Es ist heimelig in Helpt, so liebt der Städter das Landleben.
- "Guten Tag. Sagen Sie, hier soll irgendwo in der Nähe der höchstgelegene Punkt Mecklenburg-Vorpommerns sein. Wissen Sie das, kennen Sie den?"
- "Ja, das ist der Helpter Berg. Wenn se praktisch immer geradeaus fahren, dann kommen se praktisch direkt drauf zu."
Hier ist nicht viel los, um es freundlich zu sagen. Gerade hält der Verkaufswagen einer Bäckerei in der Ortsmitte.
- "Heut ham wir wieder die drei Brötchen und die Bild-Zeitung dabei ... Sonst noch einen Wunsch?"
- "Nee, danke."
In Helpt hält zwei Mal am Tag ein Bus, wenn Schulferien sind, keiner. Der Verkaufswagen vom Bäcker ist die Lebensader. Stolz sind die Helpter darauf, dass sie an der Spitze des Landes stehen. Topografisch zumindest.
- "Hoffentlich kommt mir nicht der Almabtrieb in die Quere jetzt, ne?"
- "Nein, nein."
- "Wird auch kein Druck inne Ohren entstehen, bei 179 Meter ist wahrscheinlich nicht ganz so schlimm. Mit der Höhenkrankheit wird nicht vorkommen."
Also Auto abstellen und den Aufstieg wagen. Durch den schönen Laubwald, die heruntergefallenen Blätter schimmern rot-bräunlich auf dem Waldboden und zaubern eine Atmosphäre, fast wie im Mittelgebirge.
Wo sind die Zuzügler?
Ganz schön vielseitig, der Nordosten.
Oben auf dem Berg: Das Gipfelkreuz auf 179 Metern Höhe.
Gipfelbuch und Bibel in einem schwarzen Blechkasten vor Witterung geschützt.
Abstieg nach dem Eintrag ins Gipfelbuch.
Weiter geht's, nächstes Ziel: Zingst. In dieser menschen- und gottverlassenen Gegend Zuzügler finden. Wo doch ein weiteres Klischee sagt, dass alle wegziehen, vor allem kluge Frauen. Und nur die dümmlichen Kerle bleiben.
Bei Gerd und Beate, alten Freunden, die vor Jahren aus Ostfriesland hier her kamen.
"Ja, das hat uns ja im Prinzip hergebracht. Also in erster Linie die Landschaft. Und auch das ganze Naturerlebnis, was man hier haben kann. Ja. Du hast hier tausende an Kraniche, zusammen mit den Seeadlern, je nach Beobachtung, fährste dann zum Darßer Ort: haste gleichzeitg die Hirsche, samt Wildschwein, und Adler, ist also manchmal überwältigend."
Gerd ist ein echter Naturbursche. Sammelt und findet unglaubliche Mengen Bernstein am Strand, wo andere nur braune Glasscherben finden und glauben, es wäre Bernstein.
Meine schönste Zeit fängt jetzt so fing Ende Oktober an, also so November, Dezember. Je nach Witterung .. solang es nicht zu kalt wird, schneit, oder vereist, kann ich halt so oft sammeln gehen, wie es meine Frau halt mir erlaubt.
Den selbstgemachten Bernsteinschmuck verkauft Gerd in seinem Laden im Zingster Museumshof. Darum liebe ich Meck-Pomm, weil es Künstler und Lebenskünstler anzieht.
20 Neonazis und der Saal ist halbvoll
Und das vielleicht populärste Vorurteil: Die sind hier alle dumm oder rechts oder beides. Da halte ich entgegen: Es gibt Menschen, die wollen diesen Fleck lebenswerter machen, wollen Demokratie etablieren. Also auf Richtung Vorpommern, nach Löcknitz bei Pasewalk. Annett Freier und Tina Rath vom Demokratieladen Anklam laden zu einer Veranstaltung. Es wird ein Film über Nazi-Strukturen auf dem Land gezeigt, man will darüber mit den Löcknitzern ins Gespräch kommen.
"Wenn man's ganz natürlich betrachtet, ist einfach die Region an sich von der Natur sehr schön, aber es gibt eben auch einfach viele engagierte Leute und motivierte Leute, die nicht nur die Region lieben, sondern auch mit Menschen zusammenrücken wollen. Und für jeden sozusagen einen guten Platz hier schaffen wollen."
Doch es wird unruhig. 20 Neonazis nehmen Platz – das ist der halbe Saal.
"Es ist jetzt schon so, dass Deutsche - Essen, Duisburg, Frankfurt am Main, Köln - sich nicht mehr durch Stadtteile bewegen können. Wollen Sie das auch in Löcknitz? Jetzt ma' angenommen, jetzt kommen tausend Vietnamesen hier her. ... Ja, sie lachen."
Tausend Vietnamesen in Löcknitz, ja nee, is klar. Der Abend ist leider versaut, der Wortergreifungsstrategie der Neonazis und ihrem das-Boot-ist-voll-Geschwurbel sei Dank. Beste Voraussetzungen für eine Liebeserklärung. Na ja, kann ja mal vorpommern.
Aber nein, halt. So machen wir jetzt nicht Schluss. Es ist ein gutes Zeichen, dass immer mehr Menschen im Land sich gegen die Rechten engagieren. Gut, das zu sehen. Denn dieses Land ist viel zu liebenswert, um es den Rechten zu überlassen. Allein dafür hat sich der 800-Kilometer-Tagestrip gelohnt.
Ansonsten gilt: Hiddensee, ich komme!
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