Max Otte: Griechenland, Portugal und Spanien sollten die Eurozone verlassen

20.08.2012
Der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte glaubt, dass sich der Euro auf Dauer als starke Währung nur behaupten kann, wenn hoch verschuldete Länder aus der Eurozone ausgeschlossen werden. Diese Länder spielten mit dem Euro und würden weitere Abwertungen einkalkulieren. Das schade dem deutschen Sparer.
Gabi Wuttke: Dass der Euro eine stabile Währung ist und bleiben wird, das ist uns allen versprochen worden. Aber in der Krise hat die europäische Gemeinschaftswährung an Wert verloren. Deutsche und internationale Wirtschaftswissenschaftler beunruhigt das nicht, ganz im Gegenteil: Sie fordern, den Euro abzuwerten, weil es den klammen Krisenländern aus der Klemme helfen würde. Sie könnten ihre Waren günstiger verkaufen und würden wieder wettbewerbsfähig – was allen helfen würde. Was hält der Ökonom Max Otte, Professor in Worms und Graz, von diesem Gedankenspiel? Jetzt ist er am Telefon, einen schönen guten Morgen!

Max Otte: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Könnte das der zentrale Teil einer Lösung sein?

Otte: Na ja, es ist schon natürlich zunächst einmal eine Lösung, es schafft zeitweilige Linderung, das müsste eigentlich auch einleuchten, wenn der Euro also abwertet, dass dann Europa insgesamt besser exportieren kann. Aber es ist natürlich ein Bruch mit der deutschen Philosophie einer starken und auch wertbeständigen Währung.

Also, die Nebenwirkung, die wir uns da einhandeln, ist zum Beispiel natürlich, dass der Euro auch intern an Wert verliert, dass die Inflation steigt. Denn es findet im Moment eigentlich auch zwischen den USA und dem Euro-Raum sozusagen auch ein kleiner Inflationswettlauf statt. Der ist zwar noch nicht wirklich ausgebrochen, aber die Geldmengenausweitungen werden da irgendwann mal hinführen.

Wuttke: Der belgische Wirtschaftswissenschaftler de Grauwe sagt, der Wunsch Deutschland nach einer teuren Währung sei rein emotional und hätte nichts mit rationaler Analyse zu tun. Diese Ansicht teilen Sie also offensichtlich nicht?

Otte: Nein, das ist riesiger Quatsch. Eine stabile Währung ist eigentlich das höchste zivilisatorische Gut. Aber wenn alle anderen auf der Welt mit der Währung rumspielen und sie verfallen lassen, um dadurch die Wirtschaft wieder anzukurbeln, dann wird es für Deutschland heutzutage tatsächlich schwer, sich diesem Trend zu entziehen. Also, uns wird da quasi eine fremde Philosophie aufgezwungen, die nicht unserer Mentalität entspricht und die letztlich auch langfristig nicht gesund ist. Aber uns wird im Moment tatsächlich nicht viel anderes übrigen bleiben, als den Weg ein Stück mitzugehen. Und dass die EZB drucken wird, das war schon vor einem halben Jahr absehbar.

Wuttke: Ihr Kollege Clemens Fuest meint ja auch, in der jetzigen Lage gäbe es nicht mehr viele Optionen?

Otte: Das ist richtig, das ist also tatsächlich so, dass diese Abwertung erst mal hilft. Sie geht natürlich – und das muss man immer wieder betonen – zulasten des deutschen Sparers. Also, es gibt natürlich auch Verteilungseffekte bei so einer Maßnahme. Es wird der Industrie helfen, es wird den Südländern helfen, es wird unter Umständen der europäischen Wirtschaft helfen, aber es schadet denjenigen, die Geld gespart haben. Und das darf man offen sagen. Also, da gibt es natürlich auch Konflikte. Natürlich gibt es schon auch Alternativen. Also, ich plädiere ja seit langem dafür, dass wir zumindest mal die zwei, drei schwächsten Länder ausscheiden lassen aus der Euro-Zone, denn die würden sonst den Abwertungswettlauf bestimmen. Und wenn wir die draußen haben, haben wir immer noch genug zu tun.

Wuttke: Das heißt also, Sie würden befürworten, wenn Griechenland jetzt die Tür nach außen sucht?

Otte: Ich habe befürwortet, dass Griechenland im April 2010 die Tür nach außen sucht, aber da hat leider …

Wuttke: … ist jetzt schon mal ein bisschen her …

Otte: … ja, da hat leider niemand drauf gehört, da wurde das auch als Populismus verschrien. Mittlerweile darf man es zumindest offen und nüchtern diskutieren.

Wuttke: Lassen Sie uns nun trotzdem noch mal auf die Abwertung zurückkommen und einen Blick in die Geschichte werfen, weil Sie sagen, vor allen Dingen würde es die Sparer treffen. Die D-Mark hat ja auch einiges überstanden und der Euro kurz nach Einführung sackte ja auch schon mal auf 85 US-Cents. Waren die Auswirkungen denn damals so gravierend, dass Sie jetzt davor warnen müssen, was zumindest den Sparer anbelangt, nicht etwa den Export und die Wirtschaft?

Otte: Nein, diese langfristigen Pendelschläge, die wir also auch nach Einführung des Euro hatten, wo er erst stieg und dann absackte, das sind einfach die heutigen Finanzmärkte auf der Welt. Es ist mir nicht recht, also, es wäre besser, wir hätten einen funktionierenden Währungsfonds, der da auch für Stabilität sorgt, dem ist aber nicht so. Deswegen haben wir den Euro ja auch geschaffen.

Aber was jetzt passiert, ist etwas fundamental anderes: Die Notenbanken auf der ganzen Welt drucken und drucken. Man nennt das Quantitative Easing, sie finanzieren Staaten, sie kaufen Anleihen auf und sind damit quasi in eine Inflationsdynamik gekommen, die zwar noch nicht zum Ausbruch gekommen ist. Und dieser Dynamik kann sich Europa und damit Deutschland nicht entziehen, sonst bleiben wir tatsächlich auf einer sehr teuren Währung sitzen und das würde der Wirtschaft auch schaden.

Wuttke: Ist es denn aber richtig, den Forderungen des spanischen Finanzministers zu folgen, dass die EZB ohne Deckelung sich sozusagen ein- beziehungsweise auskaufen kann, was die Staatsanleihen anbelangt?

Otte: Ja, das ist natürlich das Interesse der Spanier, dann sinkt der Reformdruck dort. Also, ich glaube, mittlerweile hat Frau Merkel verstanden, was für ein Spiel gespielt wird – vor zwei Jahren bin ich mir da nicht so sicher gewesen –, und spielt das mit den verringerten Optionen, die Deutschland jetzt noch hat, ganz gut.

Also, man könnte mengenmäßig unbegrenzt tatsächlich mal zulassen, aber dann bitte schön nur für einen bestimmten Zeitraum, sodass dann irgendwann die Länder auch wieder an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Denn nur Geld drucken kann es wirklich nicht sein. Wir brauchen Reformen in diesen Ländern und wir brauchen aus meiner Sicht wie gesagt auch ein Ausscheiden einiger Staaten aus der Euro-Zone. Griechenland muss raus und selbst Spanien und Portugal gehören für mich mittelfristig nicht in die Euro-Zone.

Wuttke: Sie haben gesagt, vor zwei Jahren hätte man Ihnen Populismus vorgeworfen. Teilen Sie insofern die Kritik der Opposition, dass Angela Merkel letztlich ja doch immer mitzieht, sich zu bewegen, aber zu spät?

Otte: Ja, sie hat da keine richtige Vision gehabt. Sie hat vielleicht die Übervision ihres Lehrvaters Helmut Kohl noch im Kopf, Europa um jeden Preis. Und jetzt merkt sie – sie ist eine kluge Frau –, was für ein Spiel gespielt wird, und spielt das auch ganz gut. Jetzt sind wir aber schon mitten im Spiel drin.

Also, es fehlte natürlich tatsächlich die Vision vorher, denn da waren die Handlungsmöglichkeiten am größten, wie es immer ist, wenn eine Lage im Umbruch ist. Wenn man dann genau weiß, was man tun will, dann hat man gute Karten. Also, Kohl hatte diese Vision bei der deutschen Einigung, wir haben sie jetzt leider beim Ausbruch der Euro-Krise nicht gehabt.

Wuttke: Das heißt, wenn Herr Samaras am Freitag nach Berlin kommt, erwarten Sie dann, dass in Sachen Griechenland sich tatsächlich definitive Entscheidungen anbahnen, dass sie sichtbar werden, was für ein Kurs jetzt eingeschlagen wird?

Otte: Nein, also, das Basisszenario ist das Weiter-Herumeiern. Griechenland macht ein paar kosmetische Korrekturen und wir geben wieder Geld. So war es die letzten vier, fünf Male. Aber man muss ja die Hoffnung nicht aufgeben, ich hoffe wirklich inbrünstig, dass wir jetzt irgendwann zu einem Grexit, einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone kommen werden. Denn dann wird die europäische Polit-Elite merken, dass es so schlimm gar nicht ist, im Gegenteil, wahrscheinlich haben sich die Märkte sofort wieder beruhigt.

Wuttke: Betont der Ökonom Max Otte im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Otte: Guten Tag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.