Max Liebermann und der Sport

Die Überschätzung des Bizeps

Max Liebermann: Pferderennen (in den Cascinen), 2. Fassung, 1909
Die zweite Fassung von Max Liebermanns "Pferderennen (in den Cascinen)" von 1909. © Kunstmuseum Winterthur, Geschenk von Georg Reinhart, 1924 / © Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Jean-Pierre Kuhn
Von Almuth Knigge · 26.03.2017
Sport durchdringt heute nahezu alle Lebensbereiche: Er gehört zum modernen Lifestyle, er wird zum populären Massenspektakel oder verleiht elitäres Prestige. In Deutschland begann der Siegeszug des Sports vor über hundert Jahren: Max Liebermann war der erste deutsche Künstler, der sich in zahlreichen Gemälden mit diesem Thema auseinandersetzte.
Steile und lang gezogene Dünen, ein heller Sandstrand, über allem spannt sich ein stahlblauer weiter Himmel. So ungefähr, muss sich Max Liebermann das Panorama eröffnet haben – an seinem Lieblingsurlaubsort, dem niederländischen Scheveningen. Damals war das kleine Dorf noch ein mondäner Badeort. Aber Liebermann malte hier vor allem das Volk, hart arbeitende Bauern – oder aber die einheimischen Fischerkinder beim Baden. Bis er dann um die Jahrhundertwende anfing das Strandleben zu beobachten: Die gut betuchten Sommergäste beim Ausritt am Strand, beim Tennisspiel auf dem Rasen von einem Hotel.
Die Bremer Kunsthistorikerin Dorothee Hansen, eine Liebermann-Expertin dazu: "Also das ist wirklich so eine Art Blickwechsel von der arbeitenden Bevölkerung hin zu der Freizeitbeschäftigung des Großbürgertums." Ihr sind die veränderten Motive im Werk von Max Liebermann aufgefallen: "Und dann habe ich natürlich geguckt - wo gab es das sonst noch. Haben die französischen Impressionisten das gemalt? Die haben zum Beispiel Pferderennen gemalt. Künstler wie Manet oder Edgar Degas, die haben Liebermann mit Sicherheit inspiriert."
Mehr als das: Man fühlt das Vorbeisausen der Pferde, sagte Max Liebermann bewundernd über eine grobe Schwarz-weiß Skizze von Edouard Manet. Aber auch die Werke von Liebermann sind beeindruckend. Als einer der Ersten zeichnete er den richtigen Bewegungsablauf der Tiere im Galopp. Bilder von Polospielen hatte bis dahin sogar noch kein Künstler auf die Leinwand gebracht. "Diese Gruppe von Sportmotiven bei Liebermann ist etwas ganz Besonderes in der deutschen Malerei aber auch in der Kunst überhaupt", sagt Hansen dazu.
Seine sportliche Tochter Käthe mag ihn inspiriert haben. Er malt sie als elegante Reiterin im Damensitz, beim Tennisspielen. Die umzäunten Plätze wurden als "Verlobungszwinger" verspottet - denn das Spiel war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sich Männer und Frauen ungezwungen kennenlernen konnten.

Boxen war verboten, weil es als "undeutsch" galt

"Liebermann hat selbst erzählt, in seiner Jugend sei er auch geritten, gerudert, geschwommen und Schlittschuh gelaufen aber alles nur zum Spaß." Aus Faszination an der Bewegung - an der frischen Luft. Nicht in stickigen Hallen.
Nach dem ersten Weltkrieg war es vorbei mit den Sportarten des begüterten Bürgertums. Die jüngeren Künstler interessierten sich für andere Sportarten. Boxen zum Beispiel. Aber das war in Deutschland bis 1908 verboten. Es sei undeutsch, Kämpfe fanden aber dennoch statt – im Verborgenen. Das änderte sich erst, als Kaiser Wilhelm II sich 1912 als Boxfan outete.
Der Boxsport wurde immer populärer – in allen Bevölkerungsschichten – trotz oder gerade wegen seines verruchten Images. Die Kulturzeitschrift "Querschnitt", so schreibt der Verleger Alfred Flechtstein, hält es für ihre Pflicht, den Boxsport auch in deutschen Künstlerkreisen populär zu machen. Das war 1921 – und die Begeisterung für den Leistungssport wurde dadurch auch bei den kunstinteressierten Intellektuellen geweckt.
Der mittlerweile 80-jährigen Liebermann gefiel diese Wende zum körperbetonten, schweißtreibenden Wettkampf gar nicht. "Ich glaube ganz bestimmt, dass die durch den Krieg hervorgerufene Überschätzung des Bizeps der Grund für die Verwilderung der Jugend ist", schrieb Max Liebermann fast resigniert 1927.
"Ich bin nicht gegen den Sport, aber er soll den Leuten nicht sozusagen aufoktroyiert werden. Sport zu Erholung, schön. Aber nicht zum Selbstzweck. In meiner Jugend sind wir auch geritten, geschwommen und gerudert, aber nur zum Vergnügen. Jetzt ist das Ganze eine forcierte Angelegenheit."
Nach dem 1. Weltkrieg fuhren die Liebermanns auch nicht mehr nach Holland in die Sommerfrische - das Interesse des Malers am Sport war erloschen. Er malte Schlittschuhlaufende Kinder, Reiter in einer Allee – doch es war die Landschaft, die im Vordergrund stand. Liebermanns Lust an der Bewegung – die war vorbei. Aber der Sport hatte in der Kunst Einzug gehalten.
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