Matína Kontoléontos schneidert Taschen

Ein neues Leben für Rettungswesten

Taschen aus Rettungswesten der griechischen Unternehmerin Matína Kontoléontos
Taschen aus Rettungswesten der griechischen Unternehmerin Matína Kontoléontos © Deutschlandradio Kultur / Tabea Grzeszyk
Von Tabea Grzeszyk · 11.02.2017
Immer wieder haben Künstler die Schwimmwesten der abertausenden Flüchtlinge, die das Mittelmeer überqueren, für Installationen benutzt. Die Griechin Matína Kontoléontos ist Unternehmerin, keine Künstlerin. Auch sie arbeitet tagtäglich mit den zurückgelassenen Westen - doch auf eine gänzlich andere Art.
"Hier ist unser Katalog mit allen Taschen, wir haben neun verschiedene Designs. Im Moment kann man nicht online bestellen, aber wenn Du eine Mail an Lesvossolidarity schickst, erreicht uns die Bestellung und wir schicken die Taschen in Dein Land."
Matína Kontoléontos ist Unternehmerin. Sie produziert knallbunte Umhängetaschen – hergestellt aus Rettungswesten. Auf Lesbos gibt es davon Hunderttausende, jede einzelne hat eine Geschichte.
"Wir hatten diese ganzen Rettungswesten, Berge davon. Wir waren der Meinung, dass wir damit etwas tun müssten. Wir haben uns gefragt: Was können wir tun? Wir machen daraus Taschen! Jeder braucht eine Tasche."

Moralische Bedenken regen sich

Zwei Griechen und fünf Flüchtlinge arbeiten in der kleinen Schneiderwerkstatt im Zentrum der Inselhauptstadt Mythilene. Dass alle versichert sind und für ihre Arbeit Geld bekommen, ist Matina sehr wichtig. Von einem "Hilfsprojekt" möchte sie nichts hören, die gelernte Designerin wollte ein Produkt auf den Markt bringen, das sich auch verkauft.
"They almost look like Hipster-bags, very colorful."
Matina: "Of course, we are fashion-people!"
Fashion-Bags aus Flüchtlingswesten? Da regen sich moralische Bedenken. Hat sich das grell leuchtende Material nicht längst in unser visuelles Gedächtnis eingeschrieben? Als Mahnmal für die menschliche Tragödie im Mittelmeer? Als Anklage an ein Europa, das sich zunehmend abschottet?
YouTube-Video Ai Weiwei "F-Lotus": "Wir hatten das Gefühl in der EU, in Europa stehen jetzt Menschen und sie werden so behandelt, als wären sie keine Menschen."

Diese Interpretation legen die spektakulären Installationen des chinesischen Künstlers Ai Weiwei nahe. Vor dem Wiener Schloss Belvedere arrangierte er im Sommer 2016 über tausend Rettungswesen zu schwimmenden Lotusblüten. In Prag hatte er zuvor einen Tierkreis mit Wärmeschutzwesten verhüllt. Bei Ai Weiwei werden Rettungswesten zum Symbol für hochpolitische Kunst. Eigentlich.
Gründlich schief lief eine Aktion während der "Cinema for Peace"-Gala in Berlin. Für die Veranstaltung verkleidete Ai Weiwei im Februar 2016 die Säulen des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt mit Rettungswesten. Während der Gala wurden die prominenten Gäste aufgefordert, nach einer Wärmeschutzdecke unter ihrem Stuhl zu greifen. Was möglicherweise als aufrüttelnde Kunstaktion gemeint war, wurde zum Instagram-Motiv für Stars. Ein Debakel.

Ein Unternehmen, kein Kunstprojekt

Schon im Oktober 2015 gab die australische Hilfsorganisation RISE einen Leitfaden für Künstler heraus. Ihre Zehn-Punkte-Liste mit Empfehlungen für die künstlerische Zusammenarbeit mit Flüchtlingen beginnt mit einer Klarstellung: "Wir sind keine Ressource für dein nächstes Kunstprojekt. Wer und welche Institutionen profitieren von diesem Austausch?"
Auch an Matina treten Künstler oder Designer heran, die mit ihrer Werkstatt kooperieren wollen. Doch sie versteht sich nicht als Kunstprojekt.
"Es ist ein Job-Projekt mit Bezahlung und Versicherung, alle Griechen und Flüchtlinge arbeiten unter den gleichen rechtlichen Bedingungen. Meiner Meinung nach 'helfe' ich nicht, mir ist wichtig, dass wir alle gleichberechtigt sind. Egal ob du eine griechische Person bist, eine Deutsche, ein Inder oder Pakistani, das ist egal."
Matina möchte ihren Mitarbeitern eine Perspektive auf ein normales Leben bieten. Jenseits einer Ästhetik des guten Willens.
Echtzeit - die ganze Sendung zum Nachhören.
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