Mathematiker Alf Hester

Ein sensibler Kämpfer

Studentinnen der Justus-Liebig-Universität in Gießen gehen über den Campus für Naturwissenschaften mit seinem markanten, verspiegelten Gebäude im Zentrum.
Studentinnen der Justus-Liebig-Universität in Gießen gehen über den Campus für Naturwissenschaften mit seinem markanten, verspiegelten Gebäude im Zentrum. © picture-alliance / dpa
Von Ludger Fittkau · 02.12.2015
16 Zeitverträge in Folge hat Alf Hester von der Universität Gießen bekommen. Schließlich setzte er sich zur Wehr und klagte - nicht nur für sich selbst, wie er sagt.
In einer mit Studenten gut gefüllten Gießener Uni-Cafeteria nimmt Alf Hester mir gegenüber Platz. Pechschwarze Haare im Beatles-Retro-Look. Gefärbt, denke ich. Durchgehend schwarze Kleidung, um den Hals eine Kette mit einem großen, sternförmigen Amulett. Heavy-Metal-Outfit. Ein bisschen überraschend für 48 Jahre alten Diplom-Mathematiker, dessen zwei Kinder selbst schon Mitte 20 sind. Ich treffe Alf Hester wenige Tage nach den Terror-Anschlägen von Paris:
"Sie sprechen auf meine schwarze Kleidung an heute. Die habe ich extra angelegt wegen den Vorkommnissen in Paris. Heavy-Metal-Fan bin ich auch. Bis jetzt habe ich noch nicht gehört, dass ich einen kenne von den Leuten, die da umgekommen sind. Aber so ein glücklicher Tag ist das ja nicht nur für Paris nicht, sondern für Europa auch nicht."
Alf Hester ist ein Kämpfer, denke ich. Ein Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit. Er hat sie selbst erlebt, an der Uni. Glaubt er. Darum ist er vor Gericht gezogen. Um gegen eine endlose Kette von Zeitverträgen zu klagen, die ihm seit einem Jahrzehnt keine Sicherheit geben. Doch Alf Hester denkt dabei nicht nur an sich selbst, sagt er. Er klagt auch für viele andere wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen, die sich von einem Drittmittel-Zeitvertrag zum anderen hangeln.
Er kämpft für das gesamte akademische Proletariat
Alf Hester kämpft nicht nur für sich allein. Er kämpft auch für das gesamte akademische Proletariat. Ich nehme das dem sympathischen Schwarzgekleideten ab. Seine jahrelang unklare Arbeitsperspektive an der Uni Gießen übertrug sich auch auf seine Kinder, sagt der Wissenschaftler:
"Ja, ich habe zwar versucht, es möglichst vor ihnen zurückzuhalten. Aber sie haben halt schon mitgekriegt, wenn man etwas angespannter ist oder so etwas. Weil Kinder spüren das. Das ist so."
Alf Hester will eine Festanstellung, auch wenn er kein Beamtentyp ist. Sechzehn Zeitverträge hintereinander waren ihm genug. Deshalb klagte er gegen seinen Arbeitgeber, die Uni Gießen. In der ersten Instanz gewann er. Die zweite sah es dann anders. 5000 Euro hat ihn das Verfahren bisher gekostet. Alf Hester prüft jetzt mit seinem Anwalt, ob er weitermachen kann. Sein Ziel: Ein gültiges Gerichtsurteil gegen das Gesetz, das es Hochschulen erlaubt, wie in seinem Fall 16 Zeitverträge abzuschließen – ohne Perspektive auf Dauerbeschäftigung:
"Wenn man überlegt, das ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das ja auch Expertise produzieren soll, letztendlich daran scheitert, dass die Leute gar nicht angestellt werden können und man gucken muss, dass man wieder neue, junge Leute bekommen muss, die man wieder nach der entsprechenden Zeit gehen lassen kann."
Auch Unipräsidenten beschweren sich zunehmend darüber, dass die Länder an der Grundfinanzierung der Hochschulen sparen und stattdessen befristet Projektmittel verteilen. Doch Uni-Präsidenten ziehen deswegen nicht vor Gericht. Anders der schwarz gewandete Kämpfer Alf Hester:
"Es ist natürlich von der finanziellen Seite der Landesleitung ein geschickter Schachzug. Die Projekte sind begrenzt. Man hat es einmal zur Verfügung und dann ist es weg. Für die Universitäten ist es natürlich katastrophal, weil sie halt sehen müssen, wo sie bleiben. Können natürlich nicht planen. Und diese Unsicherheiten, die man an die Universitäten abwälzt, die werden dann ganz schnell an die Wissenschaftler und an die beschäftigten abgewälzt und die müssen dann sehen, wie sie damit klar kommen."
Sehr lange Spaß am Job gehabt
Ich lasse meinen Blick durch das studentische Café schweifen. Alf Hester schweigt. Ich frage mich: Warum hat dieser intelligente Mann mit dem großen Gerechtigkeitssinn das so lange mit sich machen lassen? 16 Zeitverträge hintereinander! Warum hat sich der diplomierte Mathematiker mit dem wertvollen Zusatzwissen eines Programmierers nicht schon längst um einen gut dotierten Job in der der Industrie gekümmert, den er mit seinen Qualifikationen sicher auch bekommt?
Der Job habe ihm einfach lange sehr, sehr viel Spaß gemacht, erklärt Hester dann auf mein vorsichtige Frage hin seine schier endlose Geduld in dieser Sache. Außerdem glaubte er wohl, als alleinerziehender Vater zweier Jugendlicher in den letzten Jahren nicht umziehen zu können:
"Man ist nicht so flexibel, wie wenn man keine Familie hat. Nicht, dass ich jetzt Familie schlecht finde, sonst hätte ich ja keine. Aber ich meine: Wenn man den Job mal eben kündigen kann und man ist halt mal ein Viertel- oder ein halbes Jahr arbeitslos und es hängt niemand davon ab und man kann sich dann auch beliebig aussuchen, wo man dann hingeht. Das ist schon wegen der Schulsysteme in Deutschland sehr verschieden. Da kann man nicht so einfach wechseln, ohne Probleme. Einmal haben das meine Kinder schon mitgemacht, nach Abschluss meines Studiums 2002 von Niedersachsen nach hier her. Und sie haben erst schwer getan, mit dem da auch in Hessen im Umbruch befindlichen Schulsystem. Da wurden gerade die Gesamtschulen wieder rückgängig gemacht und es gab wieder Realschulen und Gymnasien und so weiter."
Die Jobs in der Industrie, die für ihn mit seinen speziellen Qualifikationen infrage kommen, gibt es aber vor allem rund um Bremen, erklärt Alf Hester. Deswegen habe er jahrelang gezögert, die Uni Gießen zu verlassen. Jetzt sind die Kinder selbstständig und im Arbeitsprozess vor Gericht droht das endgültige Scheitern. Deswegen bewirbt sich Hester nun im Norden. Mit dem guten Gefühl, dass er sich gegen die Ungerechtigkeit der Ketten-Zeitverträge zur Wehr gesetzt hat. Denn Alf Hester ist eben ein – sensibler - Kämpfer.