Matchball Steffi Graf

Von Jessica Sturmberg · 02.07.2013
Am 2. Juli 1988 setzte die 31-jährige Altmeisterin Martina Navratilova alles daran, als erste Tennisspielerin zum neunten Mal die All England Championships in Wimbledon zu gewinnen. Aber die zwölf Jahre jüngere Stefanie Graf schaffte es, ihre hartnäckigste Konkurrentin zu besiegen.
Es war ein wechselhafter Tag in Wimbledon. Immer wieder durchbrachen Sonnenstrahlen die Wolkendecke, als das Damenfinale auf dem Centre Court begann. An diesem 2. Juli 1988 setzte die 31-jährige Altmeisterin Martina Navratilova alles daran, als erste Tennisspielerin zum neunten Mal die All England Championships in Wimbledon, das bedeutendste aller Tennisturniere, zu gewinnen.

Ein Jahr zuvor hatte sie die zwölf Jahre jüngere Steffi Graf noch deutlich in zwei Sätzen bezwungen. Zwar führte Steffi Graf inzwischen schon die Weltrangliste an, doch auf Rasen schien Navratilova noch die stärkere zu sein. Auch an diesem Tag hatte Graf den ersten Satz knapp verloren, im zweiten lag sie bereits 0:2 hinten.

"Also, die Chancen, dass ich noch gewinne, waren nicht sehr groß. Nachdem ich meinen Aufschlag verloren hatte, und dann 5:5 und 5:6 stand, dann war ich sehr enttäuscht eigentlich und habe immer wieder gedacht, Mensch verrückt, dass Du den Satz verloren hast, und mir immer wieder Vorwürfe gemacht, dass ich einfach nicht aggressiv genug war."

Erzählte die damals 19-Jährige den Reportern anschließend. Es war aber noch nichts verloren, Steffi Graf fing plötzlich an mehr zu riskieren, nach vorne zu gehen ans Netz, sich von der Grundlinie zu lösen. Sie fand nicht nur ihr Spiel, sie drehte das Match komplett. Steffi Graf beherrschte fortan die Psychologie auf dem Platz, ließ die US-Amerikanerin verzweifeln. Eine Regenpause wurde für die bis dahin gefeierte Wimbledon-Königin Martina Navratilova endgültig zur nervlichen Belastung. Den zweiten Satz gewann Graf 6:2, im Dritten stand es 5:1, ARD-Reporter Gerd Szepanski:

"Erneut Doppelfehler, und da heißt es mit einem Mal nach 40:0, 40 beide Einstand, und plötzlich trennen Steffi nur noch zwei Punkte vom großen Sieg hier in Wimbledon. Zwei Doppelfehler von Martina Navratilova sind eindeutig ein Beweis dafür, dass – wie sagt man so schön – die Amerikanerin mit den Nerven zu Fuß ist."

Es folgte ein erstklassiger Vorhand-Return von Steffi Graf und schließlich:

"Nach einer Stunde und 33 Minuten, Matchball Steffi Graf. Jetzt schlägt Martina auf von der linken Seite und dann … mit einem Netzroller gewinnt Steffi Graf, reißt die Arme hoch, Shakehands der beiden, die 16.000 Zuschauer erheben sich."

Es war der endgültige Triumph über die hartnäckige Konkurrentin. Danach schien Steffi Graf unschlagbar zu sein. Zuvor hatte sie schon Melbourne und Paris gewonnen. Im September folgten noch die US Open und gleich danach das olympische Tennisturnier in Seoul mit dem Finale am 1. Oktober:

"Wir haben, ja vielleicht einen geschichtlichen Moment vor uns hier, denn Steffi Graf hat zwei Mal Matchball. Zweiter Aufschlag, Aufschlag kommt, auf die Vorhand von Steffi, die spielt einen wuchtigen Vorhand-Return. Das Spiel ist vorbei. Steffi Graf gewinnt, sie gewinnt nicht nur dieses Spiel, sie gewinnt auch olympisches Gold mit diesem Erfolg im Finale über Gabriela Sabatini. Es ist das Jahr der Steffi Graf."

Und der Eintrag in die Geschichtsbücher. Als bisher einzige Tennisspielerin gewann Steffi Graf den Golden Slam, also alle vier Grand-Slam-Turniere in einem Kalenderjahr plus olympisches Gold. Die Fachwelt war sich einig: Sie würde auf Jahre hin das Welt-Damentennis dominieren. Am Ende waren es zusammengenommen insgesamt 377 Wochen oder 7 einviertel Jahre, die Steffi Graf Nummer Eins war.

"Es ist auch für mich immer wieder ein verrücktes Gefühl, einfach danach dazusitzen und dann diese Fragen zu beantworten, wie hast Du es geschafft, weil ich, ich hab keine Ahnung, wie ich es immer wieder hinkriege, muss ich ehrlich sagen."

Sie war ein Naturtalent und: Sie wollte die Beste sein. Dafür hat Steffi Graf alles getan, mit nahezu akribischer Disziplin. Von frühester Kindheit eng geführt von ihrem Vater Peter Graf.

Inszenierungen und Shows auf und neben dem Platz waren nicht ihre Sache. Während die Politik ihre Bodenständigkeit lobte, vermisste die Presse, vor allem der Boulevard, von Steffi Graf nach außen demonstrierte Emotionen – wie man es vom letztlich weniger erfolgreichen Boris Becker gewöhnt war. Schon früh sprach sie davon, "am liebsten nach Amerika zu verschwinden". Öffentliche Auftritte gibt es von ihr inzwischen zumeist nur noch in Verbindung mit ihrer Wohltätigkeits-Stiftung Children for tomorrow. Dem Publikum hat sie bis 1999, mit ihrem letzten Grand-Slam-Sieg in Paris und dem später folgenden Rücktritt viele Jahre großes Tennis beschert.