Maske und Kostüm

Wie viel Karneval steckt im Alltag?

Ein Karnevalswagen zeigt am 27.02.2017 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) das Motiv "Blond ist das neue Braun". "Uns kritt nix klein - Narrenfreiheit, die muss sein" ist das Motto des Rosenmontagsumzugs im Jahr 2017.
Ein Karnevalswagen des Rosenmontag-Zugs in Düsseldorf mit dem Motto: "Blond ist das neue Braun" - in vielen Regionen Deutschlands herrscht heute Narrenfreiheit. © dpa / picture alliance / Marcel Kusch
Tilmann Allert im Gespräch mit Nana Brink  · 27.02.2017
Die Lust, ein ganz anderer zu sein - das reizt den Menschen nicht nur am Rosenmontag, sagt der Soziologe Tilmann Allert über die Faszination am Spiel der Verstellung. Verkleidung finde auch im Alltag ständig statt, meint er: "Wir brauchen immer Maske."
Nana Brink: Deutschland ist heute zweigeteilt oder sagen wir, so heute am Rosenmontag braucht man in Köln, Düsseldorf oder Mainz gar nicht erst den Versuch starten, in irgendwelchen Rathäusern oder Behörden anzurufen, da sind ja alle außer Rand und Band, auch in München und in Teilen Bayerns oder Sachsen treiben es die Menschen bunt, aber was macht der Rest der Republik: der schaut verwundert, und manchmal, ehrlich gesagt, auch ein bisschen angewidert. Tilman Allert ist Soziologe, Autor, emeritierter Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Guten Morgen! Guten Morgen, Herr Allert!
Tilman Allert: Ja, guten Morgen!
Brink: Wie deutet denn der Soziologe die Lust am Karneval, an der Maske?
Allert: Ja, das geht ja schon am Spiegel los, wenn man da morgens vorm Spiegel steht, stellt fest, du liebe Güte, es ist ja derselbe, der da steht, den du da vor dir hast, und so entsteht eine Lust, doch mal ein ganz anderer zu sein, sodass wir es eigentlich zu tun haben mit einem Spiel mit der Verstellung. Also das Ganze ist eine riesige Inszenierung eines Theaterspiels. Verstellen, mal ein anderer zu sein, das ist eigentlich die große Attraktion. Die einen sind ein bisschen angewidert, aber auch ein bisschen neidisch, weil es ja ein großartiger Wunsch ist, doch mal ganz anders zu sein.

Das große Spiel der Verstellung

Brink: Und dann brauchen wir sozusagen ein bisschen Maske im Alltag?
Allert: Ja, dann brauchen wir Maske. Wir brauchen immer Maske. Also das wird ja jetzt am Mittwoch alles vorbei sein, dieses große Spiel der Verstellung, weil die Maske natürlich auch das Vertrauen untereinander sabotiert. Also in der Maske verstecke ich mich, und ich belaste dadurch die Begegnung mit dem anderen. Weil der nicht weiß: Was ist da nun los? Ist das ein Maskierter, ist das jemand, der ein ganz anderer ist oder ist es der, mit dem ich immer schon zusammen bin und mich unterhalten habe?
Sodass man sagen kann, die Chose wird irgendwann zu Ende sein, weil die menschliche Kommunikation eigentlich auf Wahrhaftigkeit angewiesen ist. Und die Wahrhaftigkeit ist immer verbunden mit der Authentizität, sodass Maske und Authentizität, das ist eigentlich das Spiel, was gespielt wird.
Brink: Aber ist es nicht so, wie sie es beschreiben, dass nicht auch die Maske vielleicht den Blick auf das Eigentlich richtet, was man vielleicht gerne sein möchte?
Allert: Mit Sicherheit. Die Maske ist eine Projektion eigener Wünsche. Die Maske ist ein Versteck, in das man sich endlich mal begeben möchte. Die Maske ist eine Möglichkeit, endlich mal zu sagen, was man sonst sich nicht zu sagen traut. Also das ist der große Vorteil der Maske, in der ich eine Nonkonformität pflegen kann, die in den normalen, alltäglichen Beziehungen hochriskant wäre.
Deswegen ist ja das Treiben so ausgelassen: Es ist ja im Grunde eine zugelassene Nonkonformität, die da stattfindet im Karneval, und am Aschermittwoch ist alles vorbei, die Schwüre der Treue, sie brechen entzwei, alles das wird wieder neu arrangiert in der Normalität.

Die Frage nach der Echtheit einer Person

Brink: Interessant ist ja, weil Sie sagen, also man braucht die Maske, es ist ja mehr Verhüllung oder mehr Enthüllung als Verhüllung, wenn wir schon mal so ein Wortspiel irgendwie bemühen, aber ich frage mich dann immer, warum brauchen wir eigentlich noch so viele Kostüme? Denn mittlerweile ist ja eigentlich die Gesellschaft so tolerant geworden, dass sie auch viele Abweichungen akzeptiert. Also ich denke mal nur, zum Beispiel, an ganz auffällige Tätowierungen oder knallrote Haare, also dem begegne ich in Beamtenstuben, hat sich sogar schon in der Bundeswehr akzeptiert durchgesetzt. Haben sich da nicht auch die Grenzen verschoben?
Allert: Ja, aber nicht so weit, dass man sagen kann, der Alltag ist ein Karneval geworden. Also …
Brink: Schade eigentlich manchmal.

Wie Verlegenheit den Maskierten verraten kann

Allert: Ja, in gewisser Hinsicht ist das schade, aber man muss es eigentlich deswegen nicht bedauern, weil wir im Alltag ein Theaterspiel immer haben zwischen dem Maskiertsein, also der relativen oder der kleinen Verstellung und der Frage nach der Echtheit der Person oder, wie ich gesagt habe, der Authentizität der Person.
Das sehen wir eigentlich am deutlichsten daran, dass es ein untrügliches Zeichen für das Maskentragen im Alltag gibt: Das ist die Verlegenheit, eine grandiose Situation, in die wir immer wieder stürzen, und an der Verlegenheit sieht man eigentlich sehr schön, hoppla, da stimmt irgendwas nicht, da ist etwas inkonsistent, da ist etwas, was nicht mehr so ist wie eben noch, und da reagieren wir auf eine Unstimmigkeit, die etwas mit dem Maskentragen zu tun hat.
Wir können im Alltag eigentlich gar nicht anders als mit der Maske rumlaufen und gleichzeitig zu schauen, was verbirgt sich, wer verbirgt sich in der Maske, und das – haben Sie völlig recht –, das ist ein bisschen elastischer geworden als in früheren Zeiten. Man könnte sagen, die moderne Zeit ist doch ein bisschen maskentoleranter geworden als es früher der Fall war.
Brink: Vielen Dank, Tilman Allert, Soziologe, Autor und Professor für Soziologie an der Uni in Frankfurt am Main. Schönen Dank, Herr Allert –
Allert: Ich danke Ihnen!
Brink: – für das Gespräch und viel Spaß noch an diesem Rosenmontag!
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