Martin Urban: "Ach Gott, die Kirche!"

Wider den religiösen Fundamentalismus

Ein Denkmal Luthers auf dem Wittenberger Marktplatz
Ein Denkmal Luthers auf dem Wittenberger Marktplatz - mit einem Buch. Der Druck ermöglichte eine weite Verbreitung seiner Schriften. © Hendrik Schmidt / dpa
Martin Urban im Gespräch mit Ernst Rommeney · 02.04.2016
Der protestantische Wissenschaftsjournalist Martin Urban will Unruhe stiften. Gern sähe er in den evangelischen Kirchen ein Bollwerk gegen religiösen Fundamentalismus. Doch dafür müssten sie sich ideologischer Selbstkritik stellen.
Ihn ärgert das menschliche Geschwätz über Gott, erst recht, wenn es behauptet, mit ihm unaufhörlich im Dialog zu sein. Für ihn bleibt das Reden über Gott Spekulation – heute wie in den letzten 2000 Jahren.
In der Schlussphase, in der sich die Protestanten auf das Jubiläum der Reformation vorbereiten, verlangt Martin Urban von den Kirchen Martin Luthers, ihren Fundamentalismus zu überwinden und zur Aufklärung zurückzukehren.
Der Widerstreit von Vernunft und Glaube, Naturgesetz und Wunder, Fakten und Deutungen hat ihn ein Leben lang beschäftigt. Er stammt aus einer evangelischen Theologenfamilie, ist mit einer Religionspädagogin verheiratet, engagierte sich in der Gemeindearbeit und leugnet sein religiöses Bekenntnis nicht.
Doch er gleicht es ab mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis - von der Quantenphysik bis zur Hirnforschung. Hat er doch Physik, Chemie und Mathematik studiert und die Wissenschaftsredaktion der "Süddeutschen Zeitung" (1968-2002) aufgebaut.
Martin Luther habe evangelischen Landen einen Bildungsimpuls gegeben und intellektuelle Aufklärung zum Merkmal der Reformation gemacht. Heute jedoch würden sich Intellektuelle von Kirche und Theologie abwenden, weil Ideologen das Sagen hätten, denn Fundamentalisten seien machtbewusst.

Aus Glauben wurde Aberglauben

Es seien die Konservativen, die Bibeltreuen, die Naiv-Gläubigen, die Pietisten, die Evangelikalen, die in Gemeinden, Gremien und Ämter den Ton angäben, je mehr sie von Mitglieder und Gottesdienstbesuchern verlassen würden.
Buchcover: "Ach Gott, die Kirche!" von Martin Urban
Buchcover: "Ach Gott, die Kirche!" von Martin Urban© Deutscher Taschenbuch Verlag München
Politisch stünden Fundamentalisten der rechten Szene nahe, theologisch lehnten sie eine historisch-kritische Exegese religiöser Texte und Tradition ab, weil sie sich als Glaubenswächter grundsätzlich den Erkenntnissen der Geschichts- und Naturwissenschaften verweigerten, also selbst Fehlinterpretationen und Fehlübersetzungen in Kauf nähmen.
Deswegen würden auch Bischöfe und Theologieprofessoren in der gesellschaftlichen Debatte keine Rolle spielen, weil sie ihre biblizistischen Erzählungen nicht auf die Höhe der Zeit brächten.
Dem Publikum werde so zugemutet, entweder sich abzuwenden, so es offenkundige Brüche zwischen Legenden und Erkenntnis nicht erträgt, oder sich in einer Gemeinschaft der Ahnungslosen zu bewegen, die ihre Botschaft an Mythen verbindlich festmacht, die sie noch dazu für wahr ausgibt, obschon sie es nicht sein könnten.
Mithin sei im Lichte der Wissenschaft aus dem Glauben ein Aberglauben geworden.

Martin Urban: Ach Gott, die Kirche! Protestantischer Fundamentalismus und 500 Jahre Reformation
Deutscher Taschenbuch Verlag München, 18. März 2016
272 Seiten, 14,90 Euro, auch als ebook

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