Martin Schulz und seine Agenda-Pläne

Sozialdemokratischer Gerechtigkeitswahlkampf

Die Angst vor sozialer Armut und Arbeitslosigkeit macht die SPD aktuell zu ihrem Wahlkampfthema
Mensch mit Plastiktüten © dpa / Wolfram Steinberg
Von Frank Capellan  · 25.02.2017
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will Teile der "Agenda 2010" ändern und die soziale Gerechtigkeit wieder zum Markenkern der SPD machen. Doch Ein Beleg dafür, dass die SPD damit wirklich nach links steuert, ist das noch nicht.
Schulz' Agenda ist die Agenda. In dieser Woche hat er sich ganz auf die "Agenda 2010" konzentriert. Alles unter der Überschrift "Kampf für soziale Gerechtigkeit". Der Kandidat rückt nach links und verschärft die Tonlage. Während die Sozialdemokraten bisher mit Blick auf die Schröder-Reformen vom notwendigen "Nachjustieren" sprachen, geht es Schulz nun um das "Korrigieren von Fehlern".
Der Applaus ist ihm sicher: Bei der Arbeitnehmerkonferenz in Bielefeld ließ sich der Sozialdemokrat am Montag feiern, die Partei ist im Rausch und folgt ihrem neuen Hoffnungsträger bedingungslos. Die Gewerkschaften machen endgültig ihren Frieden mit den Genossen, selbst Linkspartei und Grüne müssen eingestehen: Martin Schulz fährt gerade die Meriten für das ein, was wir doch schon lange fordern.

Der politische Gegner ist beunruhigt und überrascht

Keine Frage, der baldige SPD-Vorsitzende trifft einen Nerv, wenn er seine Partei wieder auf ihren Markenkern zurückführt. Wer, wenn nicht Sozialdemokraten sind es, die sich um soziale Gerechtigkeit im Lande kümmern? Arbeitslose sollen nach Jahrzehnten der Beschäftigung keine Angst vor Hartz IV haben müssen, Rentner mit ihren Altersbezügen nicht auf Sozialhilfe-Niveau landen dürfen, junge Menschen nicht länger mit befristeten, schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen leben müssen. Forderungen, mit denen er sich gerade als Kanzler eines rot-rot-grünen Bündnisses empfiehlt. Wie sehr das beim Wähler zieht, zeigt der gestrige Deutschlandtrend der ARD einmal mehr.
Das beunruhigt und überrascht den politischen Gegner. Denn tatsächlich reden wir mehr über gefühlte als über tatsächliche Ungerechtigkeit im Lande. Die Deutschen bekunden in Umfragen, dass es ihnen so gut gehe wie nie zuvor, immer weniger haben Angst vor Arbeitsplatzverlust, Altersarmut ist in erster Linie für die ein Thema, die sich darüber heute noch keine Sorgen machen, die Jungen.
Und selbst die von Schulz beklagten befristeten Beschäftigungsverhältnisse sind in der Generation der unter 34jährigen nicht so verbreitet, wie es der neue Arbeiterführer glauben machen möchte. Peinlich, dass er zunächst mit falschen Zahlen operierte, sich dafür entschuldigen musste: Nicht 40 Prozent der Menschen in dieser Altersgruppe haben keinen unbefristeten Job, sondern deutlich unter 20 Prozent.

Bald wird sich für Schulz die Glaubwürdigkeitsfrage stellen

Ist das Problem also kleiner als er es darstellt? - Die Sorge ist berechtigt, und allzu sehr an den Reformen Schröders herumzuschrauben, könnte gefährlich für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland sein. Das weiß auch Martin Schulz, und deshalb bleibt er mit seinen Ankündigungen vage. Will er tatsächlich länger Arbeitslosengeld zahlen? Wie hoch soll das Rentenniveau sein? Sollen Zeitverträge auch dann verboten werden, wenn sich die Tarifparteien anders entscheiden? Der Kandidat bleibt Antworten bisher schuldig.
Wenn Schulz bessere Qualifizierung für Arbeitslose fordert und einen Bezug zum Arbeitslosengeld herstellt, verschweigt er eines: Wer in einer Fort- und Weiterbildung ist, kann schon heute länger als ein Jahr Arbeitslosengeld I erhalten.
"Sozialpopulismus" wirft ihm Unionsmann Michael Fuchs vor. Tatsächlich spielt Martin Schulz gerade erfolgreich mit seinem Thema, ernst wird es, wenn er konkret werden muss. Als Parteilinker ist Schulz bisher nicht in Erscheinung getreten, seit 1999 sitzt er im SPD-Präsidium und hat auch die Agenda-Politik Schröders stets mitgetragen.
Es könnte sich also bald die Glaubwürdigkeitsfrage stellen, wenn er weiter allein auf "Gerechtigkeit" setzt. Beim Thema "Managergehälter" etwa bieten die Sozialdemokraten gerade eine offene Flanke, weil sie gemeinsam mit Gewerkschaftern und Betriebsräten ganz gerne astronomische Boni und Abfindungen abgesegnet haben. Und sollte sich herausstellen, dass er als EU-Parlamentspräsident eigene Mitarbeiter allzu sehr begünstigt hat, könnte auch das Martin Schulz in Bedrängnis bringen. Bis zum 24. September ist es noch lang: An seiner Agenda muss er noch arbeiten!
Mehr zum Thema