Martin Luther als Daumenkino

Die Reformation in fünf Sekunden

Der Reformator Martin Luther in einer Darstellung von Lukas Cranach.
So kennt man ihn: der Reformator Martin Luther, nicht im Daumenkino, sondern als Porträt von Lukas Cranach. © dpa/picture-alliance/epd-Bild Norbert Neetz
Illustrator Frank Flöthmann im Gespräch mit Joachim Scholl · 27.02.2017
Frank Flöthmann wollte die Geschichte der Reformation aufs Wesentliche zuspitzen. Herausgekommen ist ein Daumenkino, das die 95 Thesen von Martin Luther abbildet. Er nagelt sie an die Wittenberger Schlosskirche und zieht fröhlich feixend ab.
Joachim Scholl: So klingt "Luther haut rein", ein Daumenkinobändchen, und damit willkommen zur "Lesart", Frank Flöthmann!
Frank Flöthmann: Schönen guten Morgen!
Scholl: Exakt fünf Sekunden dauert es, dann hat man es durch, ihr Filmbuch, Herr Flöthmann.
Flöthmann: So ist es, ja.
Scholl: Was für einen Streifen habe ich mir denn da gerade angeguckt?
Flöthmann: "Luther haut rein" ist meine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Reformation, und ich habe versucht, so wie ich das immer sehr gerne mache, eine bekannte Geschichte auf das Wesentliche einzudampfen, und, ich glaube, bei Luther ist allen Leuten bekannt die Geschichte mit den 95 Thesen, die er an die Wittenberger Schlosskirche genagelt hat, und die habe ich hier aufgegriffen und ein bisschen frei interpretiert.
Scholl: Der Plot ist also recht einfach: Ein höchst drollig gezeichneter Martin Luther hämmert seine Thesen an die Kirchentür, dann zieht er fröhlich feixend ab, ein Bischof mit Mütze streckt den Kopf raus und dann wieder rein, am Ende bleiben die Thesen. Ich vermute, dass Sie für diese Handlung nicht so lang gebraucht haben?
Flöthmann: Ja, das ist natürlich, verglichen mit einer meiner Bücher, natürlich relativ fix geschehen. Die Frage bei dieser Geschichte war eher, wie endet sie. Ich hatte verschiedene Arten von Enden mir ausgedacht und habe dann tatsächlich auch mit dem Lektor im Verlag länger darüber diskutiert, welche jetzt am sinnvollsten, weil gerade wenn man so ein Buch macht, so ein kleines Buch, was, ich sage mal, so ein Einzelstück ist, dann möchte ich natürlich auch, dass das Ende stimmt.
Scholl: Sie hätten es natürlich auch dramatisch zuspitzen können. Sagen wir mal so, der Bischof und die Kirche explodieren.
Flöthmann: Zum Beispiel, das hätte natürlich dann vielleicht einen etwas ungewollten Unterton gehabt. Tatsächlich, meine erste Version, von der ich auch sehr überzeugt war, endet ganz anders, nämlich der Bischof guckt zur Tür raus, während Martin Luther da anklopft und annagelt und Lärm macht, und während er noch nagelt, macht er die Tür auf und guckt erst ganz entsetzt, und dann verschwindet er noch mal kurz und reicht ihm Süßigkeiten raus, weil es ist ja auch Halloween gleichzeitig.
Scholl: Oh, das wäre natürlich auch noch eine Variante gewesen. Na gut, aber so sieht man auf jeden Fall einen fröhlich feixenden Martin Luther abziehen. War das eigentlich Ihre eigene Idee, das Bändchen, so Ihr Beitrag zum Luther-Jahr?
Flöthmann: Ja, das war meine Idee. Es ist so ein bisschen aus einer Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich hatte ursprünglich die Idee, ein etwas umfangreicheres Buch über Luther zu machen. Dann wurde aber die Zeit zu knapp, und ich fand das Thema auch zu anspruchsvoll, um es schnell runterzureißen, und dann hatte ich gleichzeitig die Idee, Daumenkinos zu machen, und dann haben wir gemeinsam gedacht, lasst uns doch ein Martin-Luther-Daumenkino machen.

Shakespeare war am kompliziertesten

Scholl: Sie haben die anderen Großen schon erwähnt, Frank Flöthmann. Sie sind schon berühmt für diese zeichnerisch wortlose Gestaltung von bedeutend historischen Stoffen oder Figuren eben. Es gibt allseits gefeierte "Grimms Märchen ohne Worte", "Die Weihnachtsgeschichte", ebenso bekanntes Personal, und dann sogar "Shakespeare ohne Worte". Was reizt Sie denn an diesen großen Geistern?
Flöthmann: Nun, bei Shakespeare hat mich natürlich sozusagen … der Höhepunkt dieser Bücher gewesen, weil das fand ich am kompliziertesten, weil Shakespeare allgemein als der Großmeister des geschriebenen Wortes gilt, und ich habe mir das erst nicht so richtig zugetraut, habe gedacht, da verhebst du dich, und ich musste mich erst so ein bisschen von den Originalvorlagen lösen, und fand das dann hinterher sehr interessant, da eine völlig neue Variante raus zu machen, also Geschichten so zu erzählen, sodass die eigentlichen Worte, für die sie so berühmt sind, keine Rolle mehr spielen, sondern dass die Geschichte auf das runtergebrochen wird, was den Leuten auch bekannt ist. Viele Motive von Shakespeare, die findet man ja auch heute in Filmserien, in Filmen, in Populärliteratur immer wieder, und ich glaube, dass deswegen viele Leute das auch erkennen und die Geschichten auch lesen und genießen, also meine Comics lesen, ohne dass sie die Originale kennen.
Scholl: Das ist natürlich dann der Trick, dass man praktisch selber einen Anschluss bilden kann, bei Shakespeare, wenn dann kommt, "kingdom for a horse" oder so, "ein Königreich für ein Pferd", das hat man einfach im Kopf. Im Zweifelsfall weiß man es gar nicht, dass es von Shakespeare ist, und dann sagt man, ah, ja, richtig.
Flöthmann: So ist es.
Scholl: Genau. Nun kennt ja aber trotzdem dann jeder die Geschichten eigentlich zumindest in Motiven, in Grundzügen, darauf bauen Sie auf. Ist es dann aber nicht auch schwierig, sich dann was Neues auszudenken, was dann doch wieder überrascht?
Flöthmann: Das ist ja genau das, was mich daran reizt, dass ich diesen Stoff nehme, von dem jeder am Anfang glaubt, ja, kenne ich, ist vielleicht auch ein bisschen langweilig, und ich versuche dann natürlich immer da überraschende Wendungen reinzubringen und die Perspektive zu ändern oder die Geschichte in eine andere Zeit zu versetzen. Bei Shakespeare habe ich das so gemacht, dass ich einige der Geschichten ein Happy End verpasst habe, obwohl die im Original durchweg alle genau das Gegenteil haben. Bei mir schaffen es auch Romeo und Julia am Schluss zu überleben und noch eine Familie zu gründen.
Scholl: Ich habe gerade überlegt, was wäre denn vielleicht das Happy End von Luther gewesen, aber Sie haben ja schon vorhin gesagt, mit den Süßigkeiten, das wäre eine Idee gewesen.
Flöthmann: Ja, genau, das wäre auch ein schon fast zynischer Ansatz gewesen, und ich habe dann am Ende überlegt, ich fänd es ganz schön, wenn Luther wirklich … ich fände es ein bisschen klarer, dass Luther als Held aus dieser Geschichte hervorgeht, denn darum geht es bei dem Ding auch, deswegen heißt es ja auch "Luther haut rein".

Faszination Daumenkino

Scholl: Und diese Form des Daumenkinos, um noch mal drauf zurückzukommen, was ist daran interessant?
Flöthmann: Ich finde es sehr faszinierend. Also ich bin jemand, der sich eigentlich schnell langweilt, wenn ich das Gefühl habe, ein Film oder eine Serie wiederholt sich was, aber bei Daumenkinos, auch wenn da fast nichts passiert, habe ich bei mir gemerkt, das ist wie eine Manie. Ich kann die immer, immer wieder anschauen, selbst wenn überhaupt keine richtige Geschichte erzählt wird. Das ist ja so ähnlich wie mit den animierten gifs im Internet, die nur zwei, drei Sekunden dauern. Das ist irgendwie so ein Reiz. Ich glaube, das hat sowas Hypnotisches, und in einem Daumenkino setzt man das fort, weil das eben … Ich glaube, das spricht auch die Leute an, die so ein bisschen bibliophil veranlagt sind, die gerne was in der Hand haben und das manuell machen.
Scholl: Sie sind ja schon seit Langem als Illustrator erfolgreich, Frank Flöthmann, zeichnen für große Magazine, machen Animationsfilme, es gibt etliche Bücher, wie gesagt. Ihre Figuren, die haben alle so diesen unverwechselbaren Flöthmann-Strich, so kleine lustige Figuren mit großem Kopf und breitem Lächeln. Wie haben Sie eigentlich diesen Stil entwickelt?
Flöthmann: Das war so ein Prozess, der hat sich über Jahre so entwickelt. Zu Anfang meiner Laufbahn habe ich ganz anders gezeichnet, und vor allem habe ich noch mit der Hand gezeichnet, und habe aber immer schon sehr stark vereinfacht, und irgendwann habe ich versucht, diese Art der Figuren, die auch immer nur aus ganz einfachen Formen bestanden haben, am Computer nachzuzeichnen, überlegt, wie sehen die wohl aus, wenn ich die am Computer zeichne und war überrascht, dass ich – ich hatte Computer bis dahin noch nicht so richtig intensiv genutzt –, und war sehr überrascht, ich war sehr zufrieden mit dem, was dabei rauskam und fand das total inspirierend, und seitdem arbeite ich halt mit diesen Figuren weiter. Das ist sozusagen mein … Ich betrachte die so ein bisschen wie mein Ensemble, was ich …
Scholl: Das ist wirklich interessant. Wissen Sie, als ich zum ersten Mal Ihre Bilder gesehen habe, habe ich irgendwie bei den Köpfen immer an so ein altes Computerspiel denken müssen, an den Pac-Man mit dem runden Kopf, der dann immer so den Mund aufmacht, also das ist 30, 40 Jahre her. Jüngere werden sich gar nicht mehr daran erinnern, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sozusagen das mit Computern was zu tun hat, weil ich dachte, das ist so eine klassische Zeichnerhandarbeit irgendwie so, da malt einer auf Papier und paust es durch oder so.
Flöthmann: Ja, es ist tatsächlich, also es entsteht zu 99 Prozent am Computer. Ich mache, wenn ich so grobe Ideen habe, die skizziere ich mir unterwegs in mein Skizzenbuch, aber die Geschichte an sich entsteht fast ausschließlich am Computer.
Scholl: Sehr populär geworden ist Ihre Serie "Männer ohne Worte" – als Buch, als Comicstrip, das Geschlechterstereotyp schlechthin: Männer reden nicht. Ein dankbares und unendliches Thema.
Flöthmann: Kann man sagen, ja. Ich fand das sehr interessant, und was mich daran besonders gereizt hat, das sind ja im Gegensatz zu den "Grimms Märchen ohne Worte", die ich gezeichnet habe, Geschichten komplett von mir. Da merke ich einfach so, da spielen eigene Erfahrungen eine Rolle oder Sachen, die ich beobachtet habe, und das ist ja auch wieder ein ganz eigenes Format, das ist immer nur eine Seite, "Männer ohne Worte", mit circa fünf, sechs Bildern.
Scholl: Da wird Ihnen der Stoff, glaube ich, nie ausgehen. Ich meine, da müssen Sie sozusagen eigentlich nur morgens selber vielleicht mal durch die Wohnung gehen und da mit Ihrer Frau und Ihren Kindern was machen. Da geht Papa wieder zurück ins Arbeitszimmer und hat eine neue Seite.
Flöthmann: So ist es.
Scholl: Und die weiblichen Betrachter, die Leserinnen, die könnten, wie ich glaube, begeistert sein, oder?
Flöthmann: Ich hoffe. Also ich habe auch von Frauen sehr viel positive Rückmeldungen gekriegt!
Scholl: Ich wollte Sie gerade drauf ansprechen, weil ich denke, die müssten eigentlich geflutet werden und sagen, der Mann weiß genau, wie es ist.
Flöthmann: Ich werde gelegentlich angesprochen von Freundinnen, von Freunden, die mich dann fragen, ob nicht eine von den Geschichten, ob ich die vielleicht mal als Poster ausdrucken könnte, weil diese Begebenheit hat es original bei denen mal in der Beziehung gegeben, und sie möchte das gerne verschenken.

Nächste Idee: ein Buch über Helden

Scholl: Gut, einen scharfen Protest der katholischen Kirche brauchen Sie, glaube ich, jetzt aber nicht zu fürchten bei "Luther haut rein". Haben Sie schon jemanden wieder im Visier, einen anderen Großen, bei Frank Flöthmann schlägt wieder zu?
Flöthmann: Ja, was mich gerade sehr beschäftigt, ich würde ganz gerne ein Buch machen über Helden, also Helden ohne Worte, und ich bin noch nicht so ganz sicher, wen ich da alles mit reinnehme. Also auf jeden Fall die klassischen Sagen- und Legendenhelden.
Scholl: Siegfried.
Flöthmann: Siegfried, Odysseus, Herkules, aber auch Robin Hood und Zorro finde ich interessant oder Wilhelm Tell.
Scholl: Wie wäre es denn mal mit amerikanischen Präsidenten ohne Worte? Ist vielleicht ein bisschen zu platt momentan.
Flöthmann: Da müssen sich die Gemüter erst mal noch ein bisschen abkühlen, glaube ich.
Scholl: "Luther haut rein", die Reformation zwischen Daumen und Zeigefinder. Frank Flöthmann hat dieses Daumenkinobüchlein gezeichnet. Circa 90 Seiten in fünf Sekunden in natürlich handlichem Format für sechs Euro. Frank Flöthmann, danke schön, dass Sie bei uns waren!
Flöthmann: Ich habe zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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