Marsexpedition

Der Mann, der für immer auf dem Mars leben will

Stephan Günther im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.12.2013
200.000 Menschen bewerben sich um einen Platz in einer Kapsel, die ab 2022 zum Mars fliegen soll. Nur 40 werden ausgewählt. Ob die Mission "Mars-One" tatsächlich stattfindet, sei noch unsicher, sagt Stephan Günther, der unbedingt mit will. Es gebe noch viele Hürden, etwa die Finanzierung und die Technik. Die Mission wolle herausfinden, warum der Mars ein lebensunfreundlicher Planet geworden ist.
Liane von Billerbeck: Stephan Günther wollte schon als Kind ins All. Er hat mit Pappkartons Raumschiff gespielt, später alles gelesen über die Mondlandung und das Weltall. Mit 16 konnte er Segelfliegen, aber bei der Lufthansa nahmen sie ihn später dann nicht. So wurde er zuerst Finanzberater und begann dann später, Computersoftware zu programmieren, darunter auch solche, mit der man die Mondlandung simulieren kann. Außerdem ist er Fluglehrer.
Und dann erreichte ihn voriges Jahr ein Newsletter über die sogenannte Mars-One-Mission. Ein niederländisches Medienunternehmen suchte 40 Laienastronauten, die ab 2022, finanziert von Sponsoren und Medien, auf den roten Planeten fliegen. Und da wollte er mit. Stephan Günther ist jetzt am Telefon – ich grüße Sie!
Stephan Günther: Hallo erst mal, ich grüße Sie!
von Billerbeck: Was bitte zieht Sie ausgerechnet zum Mars?
Günther: So weit ich zurückdenken kann, habe ich das Ziel, irgendwann Astronaut zu werden. Klar, vorher Pilot, was ich mir schon erfüllt habe, das sehe ich als Zwischenschritt. Aber irgendwann ins All zu fliegen, ist mein ultimatives Ziel für dieses Leben, und ich arbeite halt dahin, um das auch irgendwann zu erreichen. Und als die Mission Mars One dann aufkam, war das einfach die Gelegenheit, die ich am Schopfe packen musste und mich bewerben.
von Billerbeck: Wozu denn ausgerechnet den Mars besiedeln? Was gibt es da Begehrenswertes?
Günther: Es geht jetzt weniger um die Besiedelung des Mars. Es geht grundsätzlich um den Schritt, den man macht oder den die Menschheit macht als nächstes, der notwendig ist aus meiner Sicht, um uns auch weiterzuentwickeln. Und auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die man dabei gewinnen kann, die stehen natürlich mit im Vordergrund. Aber ich denke, der wahre Grund, zum Mars zu fliegen, ist der, den wir eigentlich alle in uns tragen. Dieses Entdecker-Gen oder dieses etwas machen, was zuvor noch nie ein Mensch gemacht hat. Ich denke, das ist das Entscheidende, was uns dazu antreibt, zum Mars zu fliegen.
von Billerbeck: Nun ist es ja gerade kein Planet, der besonders menschenfreundlich ist.
"Der Mars ist ein Planet der Extreme"
Günther: Absolut nicht. Also der Mars ist kein klassischer Urlaubsplanet, wie man ihn sich vorstellen würde, wenn man irgendwo zum Urlaub hinfliegt. Aber man fliegt ja auch nicht hin, um dort Urlaub zu machen. Der Mars war irgendwann mal lebensfreundlich. Und herauszubekommen, warum sich das verändert hat, ich denke, das ist auch sehr, sehr wichtig für uns selbst auch auf der Erde, um den Klimawandel aufzuhalten und dergleichen.
Der Mars ist sehr, sehr spannend als ein Planet der Gegensätze und der Extreme. Die Landschaften sind sehr extrem. Der größte Vulkan des Sonnensystems befindet sich auf dem Mars, der Olympus Mons, der einen Durchmesser von über 300 Kilometern hat. Das kann man sich hier gar nicht vorstellen. Der größte Canyon befindet sich auf dem Mars, also um ein Vielfaches größer und tiefer als der Grand Canyon auf der Erde.
von Billerbeck: Was wissen Sie denn nun schon über die Reise, die da ab 2023 für Sie losgehen könnte, wenn Sie denn ausgewählt werden unter diesen vielen Bewerbern? Wer wird das Raumschiff bauen? Wie wird das ablaufen?
Günther: Das Raumschiff ist relativ klar, wie das aussehen wird, weil es besteht aus bestehender Technik, die wir heute schon haben. Es wird ein Transfermodul geben, in dem sich die Crew aufhalten kann bei Sonnenstürmen. Wir reden hier von einer doppelwandigen Röhre, die mit Wasser in der Wand gefüllt ist, um uns vor harter Strahlung zu schützen. Zwei Triebwerke werden montiert, zwei mit entsprechenden Tanks. Also so soll das Transfer-Raumschiff aussehen. Aber es werden ja vorher schon fünf Kapseln zum Mars geschickt mit der gleichen Technik, die einfach beweisen sollen, dass die Technik funktioniert und erprobt ist, bevor überhaupt Menschen losgeschickt werden.
von Billerbeck: Wie stellen Sie sich denn Ihr Leben und Überleben auf dem Mars dann vor?
Günther: Es wird nicht einfach, es wird stressig werden, weil – Sie müssen immer dafür sorgen, dass die Lebenserhaltenssysteme funktionieren. Die ersten Crews werden damit zu tun haben, die Basics oder die Grundlagen sicherzustellen und aufzubauen und den Weg zu bereiten für weitere Crews, die dann irgendwann kommen sollen. Sollte das Ganze wirklich so funktionieren, wie es jetzt geplant ist. Man muss natürlich auch ehrlich sagen und als Realist sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich stattfindet, ist aus jetziger Sicht noch relativ gering, weil es müssen auch noch einige Hürden genommen werden.
von Billerbeck: Welche?
Günther: Es muss die Finanzierung sichergestellt werden, die Technik muss zusammengebaut werden. Die Aufzucht der Pflanzen, die dann als Nahrung dienen sollen und dergleichen. Die Strahlungsabschirmung ist aus meiner Sicht auch noch nicht zu 100 Prozent gelöst. Man muss erst mal ausgewählt werden, durchs Training kommen, um wirklich am Ende in der Kapsel zu liegen.
"Mein Maximum bisher war der Mond"
von Billerbeck: Da sind ja 200.000 Menschen, die sich dafür bewerben. 40 sollen dann am Ende ausgewählt werden. Stephan Günther will dazugehören und bei der sogenannten Mars-One-Mission zu den ersten Mars-Betretern und Mars-Besiedlern gehören. Ihre Familie, Herr Günther, bleibt ja auf der Erde zurück. Denn als Marspionier kommen Sie nicht wieder her. Wie haben die denn darauf reagiert, dass Sie dahin wollen und quasi weg von ihnen?
Günther: Also natürlich, erst mal waren sie geschockt. Das ist auch ganz logisch. Ich weiß auch nicht, wie ich mich verhalten hätte, wenn meine Lebenspartnerin mir gesagt hätte, du, in zehn Jahren verlasse ich den Planeten für immer. Aber sie wissen auch alle in meiner Familie, dass das natürlich schon immer mein Thema war, und den meisten war auch klar, dass ich mich irgendwann mal für solch eine ähnliche Mission bewerben würde. Dass es natürlich ein "One-Way-Ticket" ist, war natürlich schwierig zu vermitteln, und es gab eine Menge Diskussionsbedarf deswegen. Aber mittlerweile muss ich ehrlich sagen, stehen alle hinter mir, und auch nur so funktioniert es, sonst könnte ich das Ganze nicht weiter betreiben.
von Billerbeck: Aber hat Ihre Frau nicht gesagt, wenn du dich trennen willst, dann mach es doch gleich und nicht erst in zehn Jahren?
Günther: Ja klar, das war die erste Aussage. Also, wenn du vorhast, in zehn Jahren den Planeten zu verlassen, dann können wir das auch jetzt sofort hier beenden. Aber das war die erste Reaktion, aber letztendlich haben wir dann sehr, sehr lange und intensiv darüber gesprochen und sie verstand natürlich dann auch, warum ich das machen muss. Weil es einfach das I-Tüpfelchen auf meinem ganzen Lebensweg ist. Und ich tue alles dafür, um wirklich auch irgendwann ins All zu kommen. Mein Minimum-Ziel war bis jetzt immer die Erdumlaufbahn, die Erde von oben zu sehen, und das Maximum-Ziel war der Mond. Das wurde dann allerdings upgegraded, als letztes Jahr dann Mars One auf den Plan kam.
von Billerbeck: Nun sollen, habe ich gelesen, zur ersten Crew zwei Männer und zwei Frauen gehören. Das heißt ja, man will da vielleicht auch Paare bilden dann auf dem Mars. Das sind ja dann aber möglicherweise Zwangspaare, ausgewählt nach anderen Kriterien, als dass sie als Partner taugen. Wie stellen Sie sich das denn vor?
"Kinder auf dem Mars - vielleicht in 50 oder 100 Jahren"
Günther: Na ja, also diese Paarbildung ist nicht beabsichtigt.
von Billerbeck: Aber auch nicht unwahrscheinlich.
Günther: Nein, das hat mehr psychologische Gründe, dass man Männer und Frauen schickt. Also, es hat sich auch auf den vergangenen Missionen bei der ISS gezeigt oder bei Space-Shuttle-Missionen, dass einfach die ganze Atmosphäre viel entspannter ist, wenn Sie eine gemischte Crew schicken. Aber es ist nicht beabsichtigt, auf dem Mars Pärchen zu bilden in dem Sinn, dass dann auch Kinder gezeugt werden oder so was. Diese Thematik kommt ja auch immer wieder auf. Dafür ist es einfach zu früh. Ich denke, da sind wir vielleicht in 50 oder 100 Jahren in der Lage oder bereit, ein Umfeld zu schaffen auf dem Mars, was auch den Kindern gewährleisten könnte, dass sie auch wieder zur Erde zurück könnten oder überhaupt zur Erde könnten und auch ein freies Leben genießen könnten.
von Billerbeck: Da haben Sie ja den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Ich wollte Sie ja erst mal nach Sex und Liebe fragen und nicht nach dem Ergebnis desselben. Man weiß zwar, dass gerade Paare und Männer und Frauen zusammen, dass das besser funktioniert, da gibt es ja Erfahrungen. Trotzdem kann es ja sein, dass sich da Beziehungen entwickeln. Sie verlassen also eine Frau und sind dann mit zwei anderen zusammen und mit einem anderen Mann, wenn es denn klappt mit Ihnen.
Günther: Ja klar. Aber das muss man wirklich auf professioneller Basis sehen.
von Billerbeck: Aber Sie sind doch Menschen und keine Maschinen!
Günther: Das wäre jetzt meine Aussage gewesen. Wir sind natürlich alle Menschen. Und wie es dann letztendlich passiert und was sich ergibt, weiß man heute nicht. Was man natürlich weiß, ist, dass man acht Jahre vorher oder neun Jahre vorher ein komplettes Training durchläuft, was die ganzen nächsten Jahre da drauf abzielt, genau diese Problematik sicherzustellen, dass dieses Team auch funktioniert, so wie man sich das vorstellt. Also, es werden gleich am Anfang der Ausbildung Teams gebildet, die dann auch so bis zum Ende, bis zum Flug zusammenbleiben werden und auch nicht mehr getrennt werden. Dann wird man natürlich sehen, ob das funktioniert oder nicht. Heute weiß man das noch nicht.
"Wenn Mars-One scheitert, dann an den Menschen"
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja so, dass Sie, selbst wenn Sie in der Wüste oder in der Arktis trainieren und in abgeschotteten Räumen mit diesem Team, mit dem Sie dann zum Mars fliegen, ist es trotzdem noch eine andere Situation, weil man natürlich weiß, man ist noch auf festem Boden, als wenn man dann tatsächlich in so einer unwirtlichen Situation zusammenleben und arbeiten muss.
Günther: Absolut. Also, das ist auch meine Meinung, die vertrete ich auch, dass man diese Mission, so wie sie jetzt geplant ist im Vorfeld, nicht zu 100 Prozent simulieren kann. Und deswegen ist der entscheidende Faktor ganz einfach auch der Mensch. Also, wenn diese Mars-One-Geschichte scheitert, dann aus meiner Sicht aufgrund der Menschen.
von Billerbeck: Was denn, wenn Sie sich doch noch anders entscheiden und abspringen – geht das überhaupt? Angenommen, Sie werden ausgewählt jetzt am Jahresende – das ist ja auch eine große Medienmaschinerie. Schon die Auswahl von 200.000 Bewerbern, da wird ja immer gefilmt, alles aufgenommen, festgehalten. Werden Sie denn einen Vertrag unterschreiben, wenn Sie ausgewählt werden, um die ganze Mission nicht zu gefährden? Gibt es da möglicherweise Konventionalstrafen, wenn Sie aussteigen?
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Stephan Günther© dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd
Günther: Sicherlich wird da ein Vertrag unterschrieben. Allerdings wird uns aber auch von Anfang an schon zugesichert, dass man bis in die letzte Minute vor dem Start noch aussteigen kann. Was natürlich Riesenkonsequenzen hätte für das gesamte Team.
von Billerbeck: Genau. Dann heißt es ja, das ganze Ding findet nicht statt.
Günther: Nein. Letztendlich wird das Team dann nicht fliegen, in dem man involviert ist. Dann wird ein anderes Team genommen. Es wird auch bis kurz vor dem Start nicht klar sein, welches Team fliegt. Also, es wird ein oder zwei Wochen, schätze ich mal, vorher erst entschieden werden, welches Team fliegt von den Teams, die trainiert werden. Sie müssen ja die Motivation der Teams aufrechterhalten bis zum Starttermin. Dann ist aber ganz klar, sollte sich einer entscheiden, nicht zu fliegen, dann wird das ganze Team rausgenommen, und ein komplett anderes Team wird fliegen.
"Was man am meisten vermissen wird, ist die Familie"
von Billerbeck: Gibt es eigentlich nichts, von dem Sie fürchten, dass Sie es so sehr vermissen, dass Sie vor Heimweh fast krank werden könnten auf dem Mars. Also so was wie feuchte Erde oder Frühling oder so was? Ihre Kinder?
Günther: Punkt eins ist natürlich, was man am meisten vermissen wird, ist die Familie, das ist ganz klar. Da ist es auch schwierig zu sagen, wie man sich wirklich verhält, wenn es dann so weit ist, und was man wirklich empfinden wird. Jetzt ist noch eine sichere Distanz von acht, neun, zehn Jahren dazwischen, bis das wirklich theoretisch stattfindet. Was mir aber natürlich auch fehlen wird, ganz klar, sollte es dazu kommen, ist natürlich die Natur wie Sonne, Meer, mit den Füßen am Strand ins Wasser gehen und solche Geschichten. Das sind natürlich Dinge, die kann man nicht mitnehmen. Die kann man nur in der Erinnerung mitnehmen und sich dann daran ergötzen, was man so noch in Erinnerung hat, oder auf Videos im Bordspeicher. Das muss man sich halt irgendwie konservieren, dass man davon zehren kann, wenn man dann wirklich auf dem Mars ist.
von Billerbeck: Was ist eigentlich der Sinn des irdischen Lebens für Sie?
Günther: Das ist eine gute Frage, die wurde mir noch nie gestellt! Es ist die persönliche Vervollkommnung, also in der Richtung, dass man sagt, was sind meine Ziele. Dass ich daran auch arbeite und selbst glücklich werde. Weil nur wenn ich selbst glücklich werde und meine Ziele und Träume lebe, kann ich auch fair zu anderen Menschen sein und andere Menschen glücklich machen.
Also, ich denke, das Ziel ist auch in diesem Leben, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln und die mitzunehmen, wohin auch immer, wenn das Leben zu Ende ist. Weil es ist nichts ohne Grund in diesem Universum. Das ist das, was ich halt täglich immer sehe, dass alles irgendwie ineinandergreift und perfekt funktioniert in der Natur, bis halt der Mensch kommt, eingreift und das Ganze verhunzt, auf gut Deutsch.
von Billerbeck: Mit dem One-Way-Ticket zum Mars. Die letzte Grenze überschreiten, das will Stephan Günther. Er möchte zu den Menschen gehören, die als erste den Mars betreten. Bis zum Jahresende erfährt er, ob er zu den 40 ausgewählten Marspionieren gehört. Danke Ihnen und alles Gute, was immer das sein mag!
Günther: Alles klar, danke Ihnen auch!
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