Marokko

Wolkenmenschen

Marokko - Ouzzoum, Berberfrauen an einer Wasserstelle (14.12.2011)
Berber in Marokko © picture alliance / Friedel Gierth
Von Alexander Göbel  · 05.06.2014
Die Berber gelten als Ureinwohner Nordafrikas. Im Königreich Marokko machen sie mehr als zwei Drittel der Bevölkerung aus. Kolonialismus und Arabisierung haben ihnen zwar zugesetzt, aber es gelang ihnen, ihre Traditionen zu bewahren - ebenso wie ihren kämpferischen Stolz.
In der Oase von Fint, versteckt in der unzugänglichen Steinwüste zwischen Ouarzazate und den mächtigen Gebirgsketten des Atlas, wird Hochzeit gefeiert. Sogar eine doppelte: Rachid und Mohamed werden heiraten, ihre Bräute sind zwei Mädchen namens Midoua und Fatima. Ihre Eltern haben die Hochzeit arrangiert. Von den Hochzeitspaaren ist jedoch nichts zu sehen: Bis zur Zeremonie spät in der Nacht dürfen sie sich nicht draußen zeigen – und ausländischen Besuchern schon gar nicht. Rabia, die Mutter von Rachid und Mohamed, ist schon ganz aufgeregt.
"Ich bin sehr, sehr glücklich, dass meine Söhne heiraten! Sie machen mich sehr stolz! Ich habe fünf Kinder – drei Töchter und die beiden Söhne – und mit dieser ersten Hochzeit beginnt nun eine neue Zeit. Ich bekomme sozusagen zwei neue Töchter, und die werden mir hier bei der Arbeit viel helfen können, im Haus und auf dem Feld. Und ich freue mich sehr auf die Enkel, die dann hoffentlich bald kommen!"
Der Innenhof von Rabias ockerfarbenem Lehmhaus ist mit bunten Teppichen ausgelegt. Frauen in rosafarbenen Kleidern singen und tanzen barfuß zum Rhythmus der Trommeln. Ihre weißen Umhänge sind mit silbernen Fibeln befestigt – den typischen Gewandnadeln der Berber. Dazu tragen die Frauen schwere Ohrringe aus Jadesteinen, den Kopf schmücken filigrane Silberketten, die wie ein Netz bis in die Stirn hinein baumeln.
Zwischen den Frauen sitzen Musiker auf dem Boden, im cremefarbenen "Bournous", mit weißer "Taguia" auf dem Kopf. Einer trommelt auf dem "Bendir", einem großen Tamburin, ein anderer spielt eine "Gembri", eine Laute mit tief gestimmten Saiten, ein dritter schlägt eine Pauke, die mit einem Kuhfell bespannt ist. Ohne "Ahouach", die traditionelle Folklore, wäre ein solches Fest bei den Berbern bis heute nicht denkbar – nirgendwo in Marokko. Seit Jahrhunderten hat sich daran nichts geändert.
"Diese Musik haben wir im Blut. Sie erinnert uns an unsere Wurzeln. Wenn wir spielen, sind all unsere Sorgen wie weggeblasen. Es ist keine Musik, die wir für die Touristen spielen. Sie ist für ganz besondere Anlässe gedacht, vor allem für Hochzeiten."
Alle Gäste satt bekommen
Draußen vor dem Haus sitzen Männer aus dem Dorf, viele von ihnen unrasiert, mit löchriger Kleidung und nur noch wenigen Zähnen. Sie haben sich auf Bastmatten niedergelassen, trinken Tee und reden. Die Gespräche kreisen um die wichtigen Dinge des Lebens: um Ernten, Kinder, Tiere, Krankheiten.
Zwei große Rinder wurden geschlachtet, um bei dem Fest alle Gäste sattzubekommen. Rinderfüße, Pansen und andere Eingeweide liegen draußen direkt vor der Eingangstür von Rabias Haus. Kinder spielen mit den Schlachtresten.
Drinnen laufen jetzt die Vorbereitungen auf Hochtouren – und die ist bei den Berbern Frauensache. Einige rühren am offenen Holzfeuer in großen Suppentöpfen, andere bauen Türme von Geschirr auf, nutzen die Zeit zum lautstarken Palaver.
Hände und Füße der Frauen sind mit Henna bemalt, viele tragen Lidschatten aus geschwefelter Kohle, auf der Stirn oder am Kinn sind traditionelle Tätowierungen zu sehen: geometrische Formen, die auf die Stammeszugehörigkeit verweisen oder Fruchtbarkeit darstellen: mystische Zeichen und Symbole aus einer anderen, fernen Welt.
"Bei diesen Festen ist es Tradition, dass man das ganze Dorf einlädt: die Nachbarn und auch all diejenigen, die nicht zur Familie gehören. Alle bekommen etwas zu essen und zu trinken. Manchmal gibt es Couscous oder Tajine, ein Schmorgericht, für die Gäste außerhalb des engsten Kreises, morgens bekommen alle Reis mit selbstgemachter Butter und natürlich Minztee."
Marokkanische Teezeremonie bei Nomaden in traditionellem Gewand in der Sahara in Marokko.
Marokkanische Teezeremonie.© picture alliance / Horst Galuschka
Rabias Schwester Ijja ist mit ihrer Tochter und dem kleinen Enkel aus dem Nachbardorf angereist. Es liegt nur 20 Kilometer entfernt, aber die Hochzeitsgäste haben fast den ganzen Tag gebraucht, um über die Schotterpiste hierherzukommen, in die Oase. Stundenlang mussten sie in der gleißenden Sonne warten, bis endlich ein Auto anhielt und sie mitnahm. Autos sind so gut wie nie unterwegs in dieser steinigen, verlassenen Mondlandschaft am Fuße des Atlasgebirges. Aber mit dem wichtigsten Fortbewegungsmittel, dem Eselskarren, hätte es noch viel länger gedauert.
"Wir werden mit allen Familien aus der Oase feiern, das sind insgesamt um die 120 Menschen. Erst essen die Männer, dann ein paar Stunden später die Frauen. Es wird viel getanzt und gesungen ... das Fest wird vier Tage dauern."
Vier Tage, in denen die Menschen in den Dörfern ihre Sorgen vergessen und das Leben feiern. Ein archaisches, beschwerliches Leben, das im Atlas weniger von Festtagen geprägt ist als von harter Arbeit.
Melouda hat einen Händedruck wie ein Maurer. Sie sei Ende 40, sagt sie, genau wisse sie das nicht. Unter dem grünen Kopftuch schauen weißgraue Locken hervor, ihr sonnenverbranntes Gesicht mit den Schweißperlen und den tiefen Falten ist ein einziges Lächeln – obwohl ihr krummer Rücken schmerzt. Seit Stunden schleppt die kleine Frau Stroh von ihrem Maisfeld unten am Fluss bis hinauf ins Dorf. Hier, nur ein paar Kilometer von der Oase von Fint entfernt, zwischen den niedrigen, halb verfallenen Häusern aus Stein und Lehm, belädt sie mit ihren Kindern einen Esel. Der muss dann schwer bepackt noch weiter hinauf, bis zu den Stallungen.
"So machen wir das jeden Tag. Um vier Uhr morgens gehen wir aufs Feld, dann sammeln wir Grünzeug und Stroh für das Vieh. Anschließend schleppen wir alles hierher – bis zum späten Nachmittag. Die Tiere brauchen viel Futter. Nach der Arbeit hier geht es weiter, ich muss dann auch noch die Kinder satt bekommen, waschen und so weiter. Und morgen geht es wieder von vorne los."
Melouda ist die Chefin eines Frauenhaushalts. Ihr Mann ist irgendwo im Süden Marokkos, um Arbeit zu suchen. In ihrem Bergdorf muss es Melouda nun allein schaffen. Mit einer alten, kranken Mutter, drei Kindern, sieben Schafen, vier Ziegen, einer Kuh und einem Kalb. Alltag im Land der Berber.
"Das Leben ist hart, und ich bin immer sehr müde. Wenn ich mich jetzt hinlege, schlafe ich bis morgen wie ein Stein. So ist es, das Leben, Gott hat es so gewollt. Es geht weiter und weiter, und es fließt wie ein Fluss."
Ein Dorf im Nichts
Taguengoute, das 500-Seelen-Nest am Fuß der großen Berggipfel des Hohen Atlas, liegt mitten im Nichts – eine Tagesfahrt südlich der Oase von Fint. Das Dorf könnte keinen passenderen Namen tragen. Taguengoute heißt im Berberdialekt Tachelhit nichts anderes als "Leg Dich schlafen“. Der Ort ist umzingelt von Zweitausendern, die Sonne hält sich hier nicht allzu lange.
Auch hier wird hart gearbeitet, auch hier sind es die Frauen, die das Geld nach Hause bringen. Taguengoute gilt als Wiege der Teppichkunst der Berber.
Arkouia kniet auf dem Boden. 70 Jahre ist sie alt, vielleicht. Mit ihren knochigen Fingern bearbeitet sie Berge frisch geschorener Schafswolle mit einem Kamm. Von draußen streicht eine leichte Brise durch die offene Tür, Mandelbäume wiegen sich im Wind.
"Ich muss die Wolle erst mal bürsten, immer wieder von vorne, damit sie sauber wird und geschmeidig und damit wir sie überhaupt zu Wollfäden spinnen können. Die Wolle wird dann gefärbt, und dann arbeiten wir damit am Webstuhl. Irgendwann werden dann Teppiche daraus…"
Teppiche gehören zur Kultur der Berber wie Minztee, Schmuck und Musik. Sie sind Schlafunterlage, Wand- oder Bodendekoration, sogar Kleidungsstück – je nach Region. Überall gilt für die Berberteppiche: Mit ihren meist dreieckigen, geometrischen Formen und den Fruchtbarkeitssymbolen verraten sie viel über die uralte Geschichte und die Herkunft der jeweiligen Stämme. Und sie verraten viel über die anstrengende Arbeit:
"Wenn mir junge Frauen helfen und wir uns die Arbeit teilen, dann sind wir schneller, dann können wir einen mittelgroßen Teppich von zwei, drei Quadratmetern in zwei Wochen schaffen, sofern die Muster nicht zu kompliziert sind. Wenn ich allein arbeite, brauche ich mindestens einen oder zwei Monate."
Alle Teppiche sind reine Naturprodukte, gefärbt mit Indigo, Safran, Minze, Thymian und zahllosen anderen Erd- und Pflanzenfarben. Je länger die Frauen daran arbeiten und je größer und älter die Teppiche sind desto wertvoller. 500 Dirham, 50 Euro pro Quadratmeter – das ist die Faustregel, die in vielen Reiseführern angegeben wird. Bei den Kunstwerken in Arkouias Haus wird schnell klar: Das wäre kein angemessener Preis, sondern eine Beleidigung.
"Wir wissen, dass wir betrogen werden. Aber wenn uns der Erlös hilft, von dieser Arbeit zu leben, dann soll es so sein … Ich habe mein Leben lang nur Teppiche geknüpft. Jetzt bin ich langsam zu alt dafür. Ich arbeite jetzt nur noch ein bisschen mit, ich zeige den jüngeren Frauen, wie das geht. Wer etwas über dieses Handwerk wissen will, der kommt zu mir.
Das Teppichknüpfen gehören zu uns, aber wir verdienen immer weniger damit. Die Konkurrenz wird immer größer, und die Leute schauen immer weniger auf die Qualität."

Laden für Berber-Teppiche in der Altstadt von Fes, Marokko.
Die Preise für Berber-Teppiche fallen, die Kunden legen nicht mehr so viel Wert auf Qualität.© picture alliance / Robert B. Fishman
Naima hat viel bei Arkouia gelernt. Naima ist Ende 20. Sie trägt ihren dreijährigen Sohn auf dem Arm. Ihr Mann hat sie verlassen, als sie schwanger war – das Teppichhandwerk war ihre Rettung.
"Allah, sei Dank habe ich gelernt, wie man Teppiche knüpft. Ich bin stolz darauf, und ich werde uns schon irgendwie durchbringen."
Naima setzt sich an einen antiquierten Webstuhl aus Holz – viele Generationen von Frauen haben vor ihr daran gearbeitet. Blitzschnell schiebt Naima bunte Wollfäden in das Stoffnetz, verknotet sie, drückt den schweren Holzbalken nach unten, damit das bisher geknüpfte Stück Teppich hält. Immer wieder von vorne. Tag für Tag, Woche für Woche … eine Knochenarbeit.
"Unser Handwerk ist ein Geschenk Gottes. Darüber bin ich froh. Es bringt mir Geld, es ernährt uns – und es gehört zu unserer Tradition. Und ich will, dass diese Tradition der Berber weiterlebt."
Ahmed Skounti ist Anthropologe, wissenschaftlicher Berater des faszinierenden Berber-Museums im Jardin Majorelle in Marrakesch – und selbst Berber aus dem tiefen Südosten Marokkos:
"In einem Satz ist es schwer, die Berber zu beschreiben. Das ginge nur, wenn man den Historiker Ibn Khaldoun aus dem 14. Jahrhundert bemüht. Der schrieb: 'Die Berber sind Nachkommen der nomadischen Imazighen (sprich: Immasiehren), sie tragen Bournousse, rasieren sich die Köpfe, und sie essen den ganzen Tag Couscous.‘ Das ist natürlich ein Klischee. Grundsätzlich sind die Berber in der Tat die ältesten bekannten Bewohner des afrikanischen Mittelmeerraums, sie sind eine Mischung aus verschiedenen Einwanderergruppen – aus Afrika, dem Orient und aus Europa."
Späte kulturelle Anerkennung
Lange hat es gedauert, bis die marokkanischen Berber, die Imazighen, politisch und gesellschaftlich überhaupt wahrgenommen wurden.
Als König Mohammed VI. Ende der 90er-Jahre den marokkanischen Thron bestieg, erkannte er bald: Die ethnische Patchwork-Gesellschaft könnte am Ende Opfer dieser jahrzehntelangen Ignoranz werden und auseinanderfallen – in eine aufgewertete arabische Kultur und eine vernachlässigte Kultur der Berber, deren Aktivisten immer lauter wurden und die blau-grün-gelben Berber-Fahnen schwenkten. Der König reagierte: Das Berber-Alphabet Tifinagh mit seinen uralten, phönizisch anmutenden Zeichen wurde schriftlich fixiert und international anerkannt, die so genannte "Berberität“ Marokkos ist sogar in der neuen Verfassung verankert. Für den Wissenschaftler Ahmed Skounti ist das ein wichtiger Schritt. Denn seiner Meinung nach gibt es keine marokkanische Identität ohne das Bekenntnis zur Identität als Berber.
"Marokkanität und Berberität – das sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Mittlerweile haben wir erkannt, dass es sich um ein- und dieselbe Kultur handelt, die sich eben in ganz verschiedenen Sprachen ausdrückt."
Tief unten in der Schlucht, zwischen riesigen Nussbäumen und den sattgrünen Feldern, fließt der Tessaout dahin. Hirten kommen mit den Ziegen von den Weiden herab, Frauen in bunten Kleidern führen Esel und Maultiere an den Fluss. Sie huschen vorbei, wenden sich ab, kein Fremder soll sie anschauen. Magdaz hält inne. Auf einer langen Steinbank breiten die Männer Schaffelle aus. Einer bricht einen Laib Tafernoute – das traditionelle runde, im Steinofen gebackene Fladenbrot aus Gerstenmehl – und verteilt es an die anderen. Dazu gibt es Olivenöl zum Tunken, Honig mit Waben und: Minztee, den "whiskey berbère"…
Ein Sprichwort sagt: Das erste Glas schmeckt bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe – und das dritte lieblich wie der Tod.
Die Männer blicken ins Tal. Die Abendstimmung macht sie noch wortkarger, als sie ohnehin schon sind. Ihr Paradies liegt genau hier: zwischen Himmel und Erde. Zumindest auf den ersten Blick. Uhren gibt es hier nicht. Wozu auch, fragt Mohamed El Nassiri, der Enkel des Bürgermeisters von Magdaz: Es sind die Jahreszeiten, die den Rhythmus des Dorfes bestimmen, die Ernte, die Sonne, der Mond, die Sterne. Oder das Krähen des Hahns, der Ruf des Muezzins, der Tod und die Geburt neuen Lebens.
"Wir leben mit der Natur. Wir sind hier füreinander da, wir helfen uns gegenseitig. Wenn ich einmal nicht in den Bergen bin, bekomme ich sofort Heimweh. Hier oben ist Frieden."
Berühmt für die Walnüsse
Doch die Idylle trügt. Mohamed trägt Badelatschen mit löchrigen Socken, dazu einen braunen "Bournous", darunter eine blaue Trainingshose. Seine Hände sind schwarz, er kommt gerade von der Walnussernte. Den ganzen Tag hat er mit seinen Söhnen im Tal Nüsse gesammelt und in große Säcke gefüllt. Die Atlasdörfer waren einmal berühmt für ihre Walnüsse. Doch das Geschäft läuft sehr schlecht.
"Wir haben hier sehr viele Probleme. Wir haben kein fließendes Wasser, keinen Strom, wir sind arm. Manche Familien haben keine zehn Dirham am Tag. Wir haben hier Walnüsse und Mais, wir könnten viel mehr verkaufen, wir könnten viel mehr Vieh züchten, damit sich die Plackerei überhaupt lohnt. Aber wir sitzen auf Mauleseln, und wir leben von der Hand in den Mund. Niemand kann hier etwas sparen.
Wir haben nicht das Geld, um Läden aufzubauen, wir haben keine Autos, um unsere Produkte zum Markt bis nach Demnate zu bringen, eine Tagesfahrt von hier. Wir können auch nicht zwei, drei Jahre warten, bis sich eine Viehzucht rentiert. Seit Jahren liegen wir dem Staat in den Ohren, um etwas für uns zu tun – und wenn es nur eine Straße ist. Stattdessen sind es ausländische Hilfsorganisationen, die uns unterstützen."
Die anderen Männer auf der Anhöhe nicken zustimmend.
Es scheint, als reiche der Mythos der Berber von Magdaz längst nicht mehr über die Bergketten des Tessaout-Tals hinaus. Doch für Mohamed ist der Stolz der Berber ungebrochen. Sie seien damals die besten Krieger im Kampf gegen die Kolonialherren gewesen, erzählt er, schließlich hätten furchtlose Rebellen wie Abd el-Krim al-Khattabi im Rifgebirge noch in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Spanier das Fürchten gelehrt. Und als Krieger, setzt Mohamed nach, fühlten sie sich heute noch. Besonders hier in den Bergen. Ganz weit weg von denjenigen, die Marokko heute regieren.
"Wir sind freie Menschen, und das ist es, was einen Berber auszeichnet. Es gibt einen Musiker aus der Kabylei, aus der Berber-Region in Algerien, der hat einmal gesungen: 'Ich bin geboren, um in den Bergen zu leben, um frei zu sein wie ein Tiger.' Genau darum geht es – wir sind 'Imazighen', wir sind frei, die Berge sind unsere Stufen zum Himmel. Dass meine Kinder im Winter frieren müssen, weil wir kein Geld für Schuhe haben, das macht mich wütend, auch auf diesen Staat. Aber das hält uns nicht davon ab, stolz zu sein."
Verschleierte Berber Kinder im Anti Atlas Gebirge, Marokko.
Berber-Kinder im marokkanischen Gebirge.© picture alliance / Horst Galuschka
Was wichtig ist im Leben, fragt sich Mohamed. Besitz? Reichtum? Und was bedeutet eigentlich Glück? Glück, antwortet er, ohne lange zu überlegen, das seien die Berge. Und die Kinder.
Am späten Abend sitzen die Männer in einem der Lehmhäuser des Dorfes Magdaz zusammen bei Couscous im Schein der Gaslampe. Auf einer riesigen Tonschüssel türmen sich gegarte Karotten, Quitten und Auberginen, sie verdecken große Stücke Rindfleisch und den Weizengrieß, der zuvor in einer Gemüsebrühe gedämpft worden ist. Gegessen wird mit den Händen. Der alte Lahcen lobt die "Baraka“: die Gemeinschaft der Gesegneten.
"Wolkenmenschen“ – für den französischen Autor Jean-Marie Gustave LeClezio waren das nicht nur die Chachapoya, die Andenbewohner im Hochland von Peru: Der Literaturnobelpreisträger hat auch den Berbern zwischen Atlas und Sahara ein Reisebuch mit gleichem Titel gewidmet. Im weltentrückten Tessaout-Tal wussten die Menschen davon bis jetzt natürlich nichts. Aber es gefällt ihnen. "Wolkenmenschen“ ein Raunen macht die Runde.
"Wir sind stolz, dass dieser Herr Schriftsteller uns so nennt 'Wolkenmenschen' – das gefällt mir! Wir leben in diesem Land ja auch ein bisschen in den Wolken, irgendwie nicht ganz auf der Erde. Alles Gute kommt doch von oben. Aus den Wolken, aus dem Himmel: der Regen für die Felder, die Sonne, der Mond, die Sterne."
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