Marko Martin

Links - und nicht selbstgerecht

Großer Andrang von Bürgern aus der DDR am Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin am 10. November 1989.
Großer Andrang von Bürgern aus der DDR am Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlin am 10. November 1989. © picture alliance/dpa
Von Ernst Rommeney · 15.11.2014
Als junger Mann hat Marko Martin nach geläuterten DDR-Insidern gesucht und Kritiker des Kommunismus zum Gespräch getroffen. Sein Essayband "Treffpunkt 89: Von der Gegenwart einer Epochenzäsur" sammelt Erinnerungen an antitotalitäre Vordenker wie Albert Camus und Vacláv Havel.
Marko Martin haben es die "Renegaten" angetan, jene also, die von linientreuen Kommunisten als abtrünnige Weggefährten abgestempelt und von da an bekämpft wurden.
Verdikte wie Denkmuster kopierten später die Aktivisten der "Apo", der außerparlamentarischen Opposition, als sie den Antikommunismus der westdeutschen Gesellschaft zu attackieren begannen. Derart ideologisch festgelegt, haben es die Strenggläubigen unter den Linken bis zum Ende des Kalten Krieges nicht vermocht, sich der bürgerbewegten Opposition in der DDR und in Osteuropa solidarisch zu nähern oder sich den realexistierenden Sozialismus kritisch auf Abstand zu halten.
Buchcover: "Treffpunkt 89: Von der Gegenwart einer Epochenzäsur" von Marko Martin
Buchcover: "Treffpunkt 89: Von der Gegenwart einer Epochenzäsur" von Marko Martin© M. Wehrhahn Verlag,
In Deutschland, so zitiert er den Schriftsteller Hans Sahl, zähle Unrecht-Haben noch immer zu den Todsünden - anstatt als Weg zu neuen Erkenntnissen. Deshalb bleibe man bei ideologischer Nibelungentreue. Marko Martin zieht es zu anderen Linken, die nicht blind vor eigenem Irrtum oder selbstgerecht waren, sondern bereit, Ansichten zu ändern, um ihren Prinzipien treu zu bleiben, die nicht einäugig die Menschenrechtsverletzungen der einen anklagen, die der anderen aber rechtfertigen.
Als junger Mann, der noch kurz vor dem Mauerfall die DDR legal verlassen durfte, hat der Berliner Schriftsteller nach geläuterten Insidern gesucht und Kritiker des Kommunismus zum Gespräch getroffen - oft hoch betagt und nicht selten kurz vor ihrem Tod.
Er traf in Berlin den Mann, dem Walter Ulbricht vorgeworfen hatte, den Kalten Krieg begonnen zu haben, er traf Melvin J. Lasky, den Herausgeber des deutschen "Monat", in Paris die Mitarbeiter von Jerzy Giedroyc, den Gründer der polnischen Zeitschrift "Kultura", in Toronto Zdena und Josef 'Skovorecký, das Verlegerpaar von Sixty-Eight-Publishers für tschechische und slowakische Autoren.
Er schreibt ferner über Jürgen Fuchs, Rainer Kunze und Ralph Giordano, über André Glucksmann, Vacláv Havel und Pavel Kohout, über europäische Intellektuelle, denen er zurechnet, den Eisernen Vorhang zum Fallen gebracht zu haben, deren Romane oder Erinnerungen zu lesen, er bis heute lohnenswert hält.
Im Lesart-Gespräch mit Shelly Kupferberg sagte Marko Martin: "Ich habe eine Bruder- und eine Schwesternschaft der Gutmenschen erlebt, die aber keine 'Gutmenschen', sondern einfach gute Menschen waren."

Marko Martin: "Treffpunkt 89: Von der Gegenwart einer Epochenzäsur"
Wehrhahn Verlag Hannover, September 2014
320 Seiten, 22,80 Euro

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