Mario Monti: Italien "tut die richtigen Dinge, um ein solides Land zu werden"

Mario Monti im Gespräch mit Tilmann Kleinjung · 13.06.2012
Italien muss nicht unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen - das ist die Überzeugung von Italiens Ministerpräsident Mario Monti. Sein Land halte sich strikt an die verordnete Haushaltsdisziplin und werde 2013 gar einen Überschuss erwirtschaften, sagte er. In diesem Moment sei Italien "disziplinierter als viele andere europäische Länder".
Jan-Christoph Kitzler: Rutscht nach Spanien nun auch Italien in die Krise? Die Hedgefonds jedenfalls wetten schon kräftig auf eine künftige Pleite Italiens. Allein in den kommenden drei Tagen will Italien Staatsanleihen im Wert von über 20 Milliarden Euro an den Finanzmärkten platzieren, und das angesichts einer schrumpfenden Wirtschaft, einer hohen Arbeitslosigkeit, einer Rekordverschuldung von fast 2.000 Milliarden Euro.

Keine einfache Aufgabe ist das, dieses Land zu regieren, für Ministerpräsident Mario Monti. Er hat Deutschlandradio Kultur ein Interview gegeben, und geführt hat das für uns Tilmann Kleinjung vom ARD-Studio Rom. Seine erste Frage an Mario Monti war, ob Italien auch schon bald unter den europäischen Rettungsschirm schlüpfen muss.

Mario Monti: Ich glaube, nein. Italien hat eine hohe Staatsverschuldung, das ist nichts neues. Auf der anderen Seite hat Italien, wenn wir über Verschuldung sprechen, im Gegensatz zu anderen Ländern sehr geringe Privatschulden. Unternehmen und Familien sind wenig verschuldet.

Und in jedem Fall ist die Haushaltspolitik in Italien, wie wir wissen, jetzt eine andere. Der Staatshaushalt wird dieses Jahr mit einer nur geringen Neuverschuldung abgeschlossen werden, zwei Prozent. Und nächstes Jahr, 2013, wird es einen Überschuss geben. Ich verstehe, dass man durch die Vergangenheit mit Italien ein fröhliches, undiszipliniertes Land assoziiert, doch in diesem Moment ist es disziplinierter als viele andere europäische Länder. Und es ist auch nicht so fröhlich, es tut die richtigen Dinge, um ein solides Land zu werden.

Tilmann Kleinjung: Die Finanzministerin Österreichs sieht es ja etwas anders, sie geht davon aus, das Italien in Zukunft Hilfe brauchen wird.

Monti: Sie hat das gestern gesagt. Sie muss es heute ein wenig überdacht haben, denn sie hat eine Richtigstellung veröffentlicht. Ich wiederhole: Wir haben jetzt schon die Schuldenbremse in die italienische Verfassung aufgenommen – eher als andere Länder. Außerdem hatten wir der Steuerhinterziehung den Kampf angesagt, das gab es so noch nie. Im vergangenen Jahr haben wir damit 13 Milliarden Euro mehr eingenommen, und wir erwarten für das Jahr 2012 ein noch besseres Ergebnis.

Also Italien ist ein Land, das ohne viel Lärm Verständnis für den notwendigen Wandel beweist. Das Land verändert sich, zum Beispiel ist eine weitreichende Rentenreform angenommen worden, mit gerade mal drei Stunden Streik.

Kleinjung: Am kommenden Wochenende sind Wahlen in Griechenland. Sollten die Griechen erneut gegen den Sparkurs stimmen, gibt es doch eigentlich keine realistische Alternative mehr zu einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone.

Monti: Ein Problem nach dem anderen. Ich habe den Eindruck, dass in Griechenland Tag für Tag der Wille der Öffentlichkeit steigt, den Euro zu behalten. Die Griechen wollen das, und die griechische Öffentlichkeit ist sich bewusst, dass der große Nutzen des Euro durch die von der EU geforderten Stabilitätsmaßnahmen errungen werden muss. Und Griechenland hat ja bereits mit deren Umsetzung begonnen.

Kleinjung: Sie, Herr Ministerpräsident, sind erklärtermaßen ein Befürworter von Eurobonds, also einer Art Schuldenunion. In Frankreichs neuem Präsidenten Hollande haben Sie da auch einen starken Verbündeten bekommen. Und aus Berlin hört man neuerdings Signale, die zeigen, dass der Widerstand dagegen doch etwas schwächer wird, würde ich sagen. Aber die Angst der Deutschen, Holländer, Österreicher bleibt ja, dass sie am Ende für Schulden der anderen zahlen müssen. Was sagen Sie dazu?

Monti: Zuerst einmal: Die Eurobonds oder ähnliche Formen wie der Tilgungsfonds, der von deutschen Regierungsberatern vorgeschlagen wurde, können nur Teil einer Gesamtlösung sein, und die muss sich sehr stark auf Elemente wie zum Beispiel die Haushaltsdisziplin stützen, so wie sie von Deutschland gewollt ist, oder eine Geldpolitik, die der Inflation entgegensteuert.

Aber das behauptet wird, wir sind die einzigen, die zahlen, ist kurios. Vielleicht denken die Deutschen, dass Italien nichts bezahlt für den Zusammenhalt in Europa, aber Italien zahlt doppelt: Einmal mit seinem finanziellen Beitrag für Griechenland, Portugal, Irland und jetzt Spanien, und dann zahlt Italien mit dem äußerst hohen Zinssatz auf Staatsanleihen, der aufgrund der Spannungen auf dem Finanzmarkt entstanden ist.

Deutschland hingegen zahlt eine wesentlich höhere Quote für die Finanzhilfen, hat aber den großen Vorteil äußerst niedriger Zinsen für die Staatsschulden. Sie sind praktisch spiegelverkehrt zu den sehr hohen Kosten für die Staatsschulden eines Landes, das, obwohl es jetzt eine solide Haushaltspolitik betreibt wie Deutschland, sehr hohe Zinsen zahlen muss. Das Land heißt Italien.

Das wichtigste für alle Europäer ist, sich zu zwingen, nicht in Klischees und Vorurteilen zu denken – keiner ist immun dagegen, man muss die Realität sehen. Man muss auch bedenken, wie viele Vorteile Deutschland durch die Europäische Union genießt, über gewisse Kosten hinaus. Das gilt für alle.

Kleinjung: Am Montag gab es eine neue Umfrage hier in Italien, und demnach halten 69 Prozent der Italiener den Kurs der deutschen Regierung für falsch, und nur 31 Prozent sagen, Merkel hat recht mit ihrem Sparkurs. Wo reiht sich denn da der italienische Ministerpräsident ein?

Monti: Der Ministerpräsident setzt sich dafür ein, dass jedermann besser die Gründe der anderen versteht. Ich verbringe meine Zeit damit, den Italienern zu erklären, die Disziplin, der wir uns unterziehen müssen, wurde uns nicht von Europa vorgeschrieben oder gar von Deutschland, sie wurde uns von der Vernunft vorgeschrieben.

Und etwas weniger Zeit verbringe ich damit, wenn dazu Gelegenheit ist, in Deutschland oder in anderen Ländern zu erklären, dass es nötig ist, einer disziplinierten, rigorosen Haushaltspolitik, wie sie in Italien und anderen Ländern durchgeführt wird, eine Politik zur Seite zu stellen, die das Wachstum fördert. Nicht als Antithese, sondern als Ergänzung zur Haushaltsdisziplin – und da finde ich mich in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und anderen Mitgliedsstaaten. Jetzt geht es darum, sehr schnell zu konkreten Ergebnissen zu kommen in diesen europapolitischen Fragen.

Kleinjung: Wenn man so wie wir Ihre Regierung in diesen ersten sieben Monaten begleitet, dann scheint so der allererste Schwung, die erste Euphorie, verflogen zu sein. Wir warten immer noch auf die großen Reformen – Arbeitsmarkt, Justiz, Verwaltung –, woran liegt es denn, das da nichts vorwärts geht?

Monti: Ich kann diese Analyse nicht teilen. Zum Beispiel in der Justiz wurden neue Gerichte für Unternehmen eingeführt, die eine konkrete und sehr nützliche Reform der Justiz darstellen. In der öffentlichen Verwaltung haben wir das Paket zur Vereinfachung der Abläufe verabschiedet. Die Reform des Arbeitsmarktes, die von der OECD als sehr gut beurteilt wurde, ist bereits vom Senat verabschiedet worden. Das Abgeordnetenhaus muss in den nächsten Wochen darüber abstimmen.

Es ist ganz klar, dass man mit diesem Tempo für Reformen nicht weitermachen kann. Es stimmt, je näher wir dem Wahltermin im Frühjahr 2013 und dem Ende dieser Regierung kommen, wird die Frage wichtiger: Wird sich das politische System in Italien erneuern können, um effizient arbeiten zu können? Hoffen wir es – hier sind die Parteien gefragt, jeden Zweifel diesbezüglich auszuräumen, zum Beispiel mit einer Wahlrechtsreform.

Jan-Christoph Kitzler: Italiens Ministerpräsident Mario Monti exklusiv im Deutschlandradio Kultur. Das Interview führte mein Kollege Tilmann Kleinjung vom ARD-Hörfunkstudio Rom.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema