Marie Marcks-Ausstellung

Karikatur als Aufklärungsarbeit

Die Karikaturistin Marie Marcks steht am 20.05.2014 vor dem Wilhelm Busch Museum in Hannover (Niedersachsen). Das Museum hat das zeichnerische Lebenswerk der Karikaturistin Marie Marcks erworben.
Die Karikaturistin Marie Marcks im Mai 2014. © picture alliance / dpa / Jochen Lübke
Von Anette Schneider · 28.05.2015
Marie Marcks war die bekannteste politische Karikaturistin Deutschlands. Ihre Zeichnungen zeigten auf komische Weise die Schieflagen der Bundesrepublik. Das Karikaturennmuseum Hannover widmet ihr nun eine umfassende Retrospektive.
Es muss eine ermüdende Konferenz gewesen sein: Der lange Tisch ist vollgemüllt mit Papieren, Stiften, Kaffeekannen und Tassen, die Stühle sind zur Seite gerückt. Nur am Kopfende hocken noch drei Frauen. Völlig entnervt fragt eine: "Nichts gegen Männer, aber wisst ihr einen für so einen Spitzenjob?" - "Fehlanzeige" und "Vergiss es!" lauten die Kommentare der anderen.
In den 80er- und 90er-Jahren galt Marie Marcks als die Karikaturistin der Frauenbewegung. Die Ausstellung zeigt nun, dass sie schon viel früher - nämlich seit Ende der 60er Jahre - die gesellschaftliche Benachteiligung der Frau aufs Korn nahm.
Kuratorin Gisela Vetter-Liebenow:
"Sie hat ja immer gesagt: Ich war eigentlich nie auf diesem Trip, mich als emanzipierte Frau zu verkaufen. Sondern: Ich habe eine Meinung gehabt, eine Position, und für die bin ich eingetreten. Und vielleicht ist das auch mit der Punkt, weswegen sie sich durchgesetzt hat."
Marie Marcks, Jahrgang 1922, wuchs in einem künstlerisch-humanistischen Elternhaus in Berlin auf. Bei ihrer Mutter, die eine Kunstschule leitete, lernte sie zeichnen. Sie erlebte den Krieg, und nach dem Krieg die Wiederaufrüstung. Das politisierte die junge Frau.
Stellung beziehen gegen gesellschaftliche Missstände
Anschaulich zeigt die thematisch geordnete Ausstellung, wie früh Marie Marcks gesellschaftliche Missstände erkannte und zu Themen ihrer Arbeit machte: Wie ein roter Faden ziehen sich Aufrüstung und Militarisierung, Atomkraft, Bildungsmisere oder Umweltverschmutzung durch ihr Werk.
"Es ist eine Fülle von Punkten gewesen, die ihr gesagt haben: 'Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen!'. Das ist doch unsere Aufgabe, als aufgeklärter mündiger Bürger dagegen auch Stellung zu beziehen, wenn wir sagen: Damit sind wir nicht einverstanden. Oder zu unterstützen, was wir gut finden."
Sie verdichtete in Bildern, was ihr unter den Nägeln brannte: Sie arbeitete mit den Mitteln der Übertreibung, der Zuspitzung, der ätzenden Entlarvung - und enthüllte damit gesellschaftlich Fragwürdiges. 1983 etwa zeichnete sie zwei Männer in einer Bar. Vor einer Regalwand, die statt mit Flaschen mit unterschiedlichen Bomben gefüllt ist, stoßen die beiden miteinander an: "Prost, Herr Abgeordneter! - Prost Herr General!" - Heute wirbt Frau von der Leyen selbst für deutsche Rüstungskonzerne in Indien.
Chronistin der Bundesrepublik
"Die Karikaturen haben dadurch auch eine Gültigkeit über den Tag hinaus, schon auch im Sinne einer Chronik der Bundesrepublik Deutschland. Und die Themen, wie wir auch gerade in den älteren Karikaturen feststellen, beschäftigen uns heute immer wieder auch. Und dass es ihr gelingt, das mit einer Komik zu verknüpfen, dass man Lachen muss, wenn man die Figuren sieht, die Konstellationen sieht. Und wir wissen: Über Lachen kann man sich leichter auch mit schwierigen Themen auseinandersetzen."
Angesichts der vielen Gesetze, die die Industrie vor Umweltschutzmaßnahmen schützt, zeigt sie eine kleine Figur vor qualmenden Schloten: erst hustend, dann keuchend, dann erstickend. Die "Drei Stufen des Smog-Alarms" entstand 1986.
Oder sie zeichnet Hitler auf einem Pferd. Vor und hinter ihm hocken als hässliche Riesenbabys dargestellte glatzköpfige Neonazis, die wild mit Baseballschlägern durch die Luft fuchteln und fordern: "Opi, erzählst du uns was von früher?"
Marie Marcks in einem Interview von 2008:
"Ein ganz, ganz wichtiges Thema war für mich Neonazismus, der ja kein neues Phänomen ist. Sondern das fing sehr bald nach dem Krieg an. Und eine meiner allerersten Karikaturen ist eine abgesägte Eiche, wo ein Seitenspross herauskommt, und das war Hitler. Und es gab damals schon Friedhofsschändungen. - Allzu ernst wurde das nicht genommen. Und jetzt haben wir den Salat, nicht?"
Arbeiten in einer Männerdomäne
Als politische Karikaturistin arbeitete Marie Marcks in einer reinen Männerdomäne. Gleichzeitig erzog sie - zumeist allein - fünf Kinder. Schon 1965 nahm die "Süddeutsche Zeitung" sie unter Vertrag, andere große Zeitschriften und Zeitungen folgten, und schnell entwickelte sie ihr ganz eigenes Themen- und Formenrepertoire. Wie überzeugend ihr das gelang, sieht man in der Ausstellung: Viele ihrer Arbeiten wirken noch heute aktuell.
Gisela Vetter-Liebenow: "Sie war unter diesen Männern eigentlich auch die progressivste Karikaturistin. Oder: Die progressivsten Karikaturen kamen von Marie Marcks. Da ist jemand, der wirklich die Möglichkeiten dieses Mediums auslotet und gleichzeitig inhaltlich immer sehr provozierend und auch aggressiv, auch attackierend teilweise ist."
Immer wieder denkt man vor ihren Zeichnungen, wie sehr eine solch widerspenstige, politisch bewusste Zeichnerin heute fehlt. Und man erkennt: Auch wenn ihr Strich im Laufe der Jahrzehnte weicher wurde - versöhnlicher wurde Marie Marcks nie.
Marie Marcks: "Tatsache ist, dass ich doch etwas verändern möchte. Ich möchte eine Wirkung haben. Im Idealfall sogar eine Meinung ändern. Was natürlich illusorisch ist. Aber man hofft es immer."
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