Mariä Empfängnis

Vom Mythos Jungfrau im 21. Jahrhundert

Bildnis von Maria, die Jesus die Brust gibt.
Bildnis von Maria, die Jesus die Brust gibt. © Imago / robertharding
Anke Bernau im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 08.12.2016
Geht der Jungfräulichkeitsmythos auf einen Übersetzungsfehler zurück? Am 8. Dezember feiern Katholiken Mariä Empfängnis. Kulturwissenschaftlerin Anke Bernau erklärt die Hintergründe und warum Jungfräulichkeit vor allem in patriarchalischen Kulturen wichtig ist.
Liane von Billerbeck: Falls Sie nicht katholisch sind, schauen Sie in Ihren Kalender: Mariä Empfängnis steht dort heute, Marias Mutter Anna wird mit ihr schwanger, und neun Monate später wird auch der Mythos Jungfrau geboren, und um diesen Mythos soll es jetzt gehen im Gespräch mit der deutschen Kulturwissenschaftlerin Anke Bernau, die an der Universität in Manchester lehrt und sich mit dem Thema Jungfrau beschäftigt hat. Schönen guten Morgen!
Anke Bernau: Guten Morgen!
Von Billerbeck: Der Beginn eines Mythos, Maria, die Jungfrau schlechthin, die später Jesus als Gottes Sohn empfangen wird, und dabei dennoch jungfräulich bleibt. Das passt ja nicht zusammen, geht im Christentum seit Jahrhunderten doch zusammen. Wie passt das?
Bernau: Die Idee findet man schon ziemlich früh, also die Idee, dass Jungfräulichkeit besonders wichtig ist fürs Christentum, das findet man schon im dritten oder vierten Jahrhundert, auch für Männer. Also die Idee, dass die Jungfräulichkeit – die befreit einen, man kann also sich ganz Gott widmen, und deswegen ist das wichtig. Und für Maria wurde es dann so ganz besonders wichtig im 12. Jahrhundert, wo die Franziskaner, die sehr mit Maria beschäftigt waren und sich ihr gewidmet haben, diese Idee gefördert haben, also diese Idee, dass sie ja besonders einzigartig und rein sein muss, weil Gott sich selbst in sie setzt. Und deswegen muss auch diese Hülle, wo Gott dann lebt oder wohnt, muss dann auch einzigartig sein und auch ganz rein.

"Diese Diskussion geht schon länger"

Von Billerbeck: Aber dieser Jungfräulichkeitsmythos könnte jetzt ganz offiziell angekratzt werden in einer neuen Bibelübersetzung, die zur Vorweihnachtszeit in katholischen Gemeinden Einzug hält. Da steht nämlich eine wichtige Anmerkung. Im Haupttext ist zwar nach wir vor von Jungfrau Maria die Rede, in der Fußnote aber wird erklärt, dass das hebräische Wort "Almar" eigentlich einfach junge Frau bedeutet, also nix mehr mit Jungfrau, die Unbeflecktheit perdu?
Bernau: Ja, das ist in Jesaia. Diese Diskussion geht allerdings schon viele Jahre. "Almar" bedeutet junge, unverheiratete Frau, und die Diskussion ist einfach, geht auch darum, ob im Hebräischen, obwohl es nicht eindeutig Jungfrau bedeutet, es schon klar war, dass man erwartet hat, dass eine junge unverheiratete Frau eine Jungfrau ist.
Es geht um Interpretation, und manche sagen, okay, es ist nicht wortwörtlich Jungfrau, aber man hat darunter Jungfrau verstanden, weil es auch nicht ein Wort ist, das so oft benutzt wurde. Andererseits gibt es auch andere Wörter, die benutzt wurden in der Bibel, die viel eindeutiger Jungfrau bedeuten, also Betulä zum Beispiel. Und im Griechischen wurde es dann als "Patnos" übersetzt, und es ist viel eindeutiger "Jungfrau" im Sinne, wie wir es verstehen. Also diese Diskussion geht schon länger. Ob das jetzt so viel ändert, weiß ich nicht.
Von Billerbeck: Wird der Jungfrauenkult dennoch überleben? Sie haben ja in einem vor einigen Jahren erschienenen Buch "Mythos Jungfrau" festgestellt, dass im Zuge etwa eines zunehmenden christlichen Fundamentalismus besonders auch in Teilen der USA der Kult um die weibliche Unschuld weiter existiert. Wie sehen Sie das jetzt, nach der Trump-Wahl und dem Sieg der Konservativen. Da sind ja auch Evangelikale drunter, zum Beispiel der Vizepräsident Trumps, Mike Pence.

"Die Idee ist, dass man bis zur Ehe überhaupt keinen Sex hat"

Bernau: Ja, das ist schon interessant. Das Interessante ist vielleicht in den USA, dass das viele Geld, das diesem Aufklärungsunterricht – das heißt abstinence only, also nur Abstinenz bis zur Ehe, und es ist ein Aufklärungsunterricht, der wird gefördert vom Kongress. Das hat angefangen eigentlich mit Bill Clinton, also nicht mit den Republikanern, und wurde aber weitergeführt. Und letztes Jahr hat Obama gesagt, dass er das föderale Geld dafür nicht mehr hergibt praktisch.
von Billerbeck: Sollen die Bundesstaaten also selbst bezahlen.
Bernau: Genau. Man muss sich vorstellen, in den letzten 25 Jahren hat der amerikanische Kongress zwei Milliarden Dollar für diese Art Unterricht ausgegeben. Und das hat natürlich viele Auswirkungen gehabt, und viele Eltern sind damit auch nicht sehr glücklich.
Und es wird interessant, zu sehen, wie es weitergeht, denn bei Trump weiß man es ja eigentlich gar nicht so, was er jetzt macht oder was er glaubt. Aber er hat bestimmt viele Leute, die mit ihm arbeiten, die das sehr weiter unterstützen wollen. Und die Idee ist da wirklich, dass man bis zur Ehe überhaupt keinen Sex hat.
von Billerbeck: Das sind die Evangelikalen oder die Konservativen in den USA. Die Jungfräulichkeit spielt ja auch in anderen Religionen eine Rolle, im Islam zum Beispiel. Wie ist da die Entwicklung, wenn man die Radikalisierung von Teilen der muslimischen Welt betrachtet?

"Es geht darum, Frauen und ihre Sexualität zu kontrollieren"

Bernau: Ich bin da immer sehr vorsichtig, weil es nicht mein Spezialgebiet ist, und ich äußere mich da eigentlich weniger zu. Was man allerdings sagen kann, dass jede Kultur, die Jungfräulichkeit so hoch bewertet, eine patriarchalische Kultur ist, und es geht in einem gewissen Maß immer darum, Frauen und ihre Sexualität zu kontrollieren. Natürlich gibt es auch viele Frauen, die behaupten, dass Jungfräulichkeit für sie sehr wichtig ist und auch was Radikales sein kann, dass eine Frau sich dadurch gewissen Erwartungen entziehen kann, also dass sie jetzt nicht unbedingt nur Ehefrau oder Mutter sein muss, und dass es sie auch befreit. Das wurde auch im Mittelalter so gehandhabt teilweise.
Aber es ist natürlich nie so eindeutig, und die Bedeutungen von Jungfräulichkeit und der Wert ist sehr problematisch, meine ich, und das ist für jede Kultur wahr, die Jungfräulichkeit sehr hoch bewertet.
von Billerbeck: Also, der Mythos Jungfrau ist vor allem ein Mann-gemachter. Anke Bernau war das am heutigen Tag Mariä Empfängnis. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema und lehrt in Manchester. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Bernau: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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