Mannigfaltige Autorenförderung

Von Sigried Wesener · 19.03.2010
Über Rolltreppen und gläserne Fahrstühle flutete Schlag 10 die bunte Besucherschar in die Ausstellungshallen, schob sich an Bücherständen vorbei, drängelte sich um Orientierungstafeln, Autorenlesungen, Tombolas. Die Messe hat ihren Rhythmus aufgenommen. Man trifft Autoren zufällig und verabredet in Leseinseln, im Berliner Zimmer, im Cafe Europa oder an der Textbox, z.B. Deutschlands bekanntesten Slamer Bas Böttcher:
"Ich hab 'n Buch 'rausgebracht."

Konkurrenz hatte der Slamer auf dem blauen Sofa, das wiederum majestätisch als Anziehungspunkt in der Glashalle aufgestellt ist. Hier wurde der Leipziger Preisregen heute fortgesetzt. Zum Auftakt des 2. Messetages warb der Preis der Literaturhäuser um Aufmerksamkeit, der in diesem Jahr an Thomas Kapielski geht. Die Auszeichnung prämiert ein Werk, das der in Berlin lebende Autor, Konzeptkünstler, Philosoph und Dozent stetig fortgeschrieben hat: Erkundungen in der deutschen Provinz, Protokolle des täglichen Wahns, von Nichtigem und Nennenswertem, sprachverrückte Einlassungen auf die Welt, die aus den Fugen ist.

Kapielski lieferte mit "Bestberliner Tunkfurm", "Mischwald", "Danach war schon" und "Davor kommt noch" als Sammler von Alltagsschnurren und Absonderlichem vergnügliche Zeitdiagnosen als "komischer Chronist".

Aus dem Status des Geheimtipps ist er sicher heraus, und dennoch bewegt er sich auf abseitigen Wegen, die ihn nunmehr mit dem Ticket für eine Tour durch die elf Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz in verdiente neue Öffentlichkeit bringen. Das blaue Sofa war der beste Ort, um den Berliner Autor ins Scheinwerferlicht zu setzen.

Kapielski: "Es wird leicht immer versucht, mich in eine ulkige Rolle zu drängen. Ich bekenne mich durchaus zum Humor, aber das muss man ausbalancieren und deshalb bin ich mit dem Merve-Verlag, von dem ich viel gelernt habe, bin ich sehr geehrt, dass ich dabei bin."

Thomas Kapielskies "Macht bloß so weiter!" hat bei den Lachern schnell die Warnlampen aufblinken lassen.

Positionslichter in der Zeit hat auch das Autorenspecial im Cafe Europa in Halle 4 gesetzt: "Krise! Ach Krise!" In der zeitkritischen Essayreihe des Literarischen Colloquiums trat heute Andri Snaer Magnasson auf. Der Autor und Musiker, der auch mit Björk zusammengearbeitet hat, ist in seinem Heimatland Island ein Popstar und wurde gerade mit dem Kairos-Preis der Hamburger Töpfer-Stiftung ausgezeichnet.

Magnason ist zu einer Art Wortführer im vom Staatsbankrott gebeutelten Land, der viele seiner Landsleute um ihr Geld gebracht hat, aufgestiegen. Der Mittdreißiger, der auch "Al Gore von Island" genannt wird, hat mit seinem verfilmten Umweltbestseller "Dreamland", das allmähliche Zerstören der einzigartigen natürlichen Landschaft und das Verschwinden der Tierartenvielfalt beschrieben. Seine Texte und politischen Einmischungen haben die Isländer ermuntert, sich dem Turbokapitalismus nicht widerstandslos zu ergeben. Er gilt als Visionär, obwohl er eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte fordert.

"Island ist ein interessanter Ort, wir sehen Dinge, die in der Welt geschehen, viel klarer. Manchmal komme ich mir vor wie ein Wissenschaflter in einem Laboratorium, der die Konsequenzen von Ideen, ihre Wirkung und ihre sichtbaren Probleme beobachtet."

Im Lübbe-Verlag ist zudem der Roman "Lovestar" von Andri Snaer Magnason zur Buchmesse erschienen. Ein moderne Apokalypse, in der Menschen mit Linse und unsichtbaren Kopfhörern ausgestattet immer online sind, ihre Träume sind entschlüsselt, der internationale Konzern will Island zur weltgrößten Partyzone machen:

Magnason: "Jeder ist ein 'Big Brother', jeder beobachtet jeden, jeder ist interessiert, den anderen abzuschöpfen. Ich wollte ein Dystopia kreieren."

"Lovestar" will in die Köpfe und Herzen, ist omnipräsent, eine Antwort auf George Orwells "1884" oder Aldous Huxleys "Schöne neue Welt".

Kritisches Denken wollen auch Internetportale der Balkanländer auf der Messe präsentieren. Im internationalen Forum in Halle 4 haben sie von Angesicht zu Angesicht ihr Online-Gespräch fortgesetzt. "Beton", "Okno", "Air Beletrina" - die Namen der Internetportale tragen den Rucksack der Herkunft, sie sehen sich als Fenster des freien Wortes in Mazedonien und Slowenien im Gegensatz zu den serbischen Plattformern, die die mit Beton versiegelten Köpfe aufschließen wollen. Ein Gespräch zwischen Ost und Ost auf der einfachsten menschlichen Kommunikationsebene.

Grundsätzliches zum Thema Urheberrecht steuerte heute der Staatsminister für Kultur Bernd Neumann bei:

"Ich finde sogar, was die Kulturpolitik angeht, ist die Verpflichtung, den Schutz des geistigen Eigentums in einer digitalisierten Welt, die größte kulturpolitische Herausforderung. Und Plagiat schädigt nicht nur Autoren, sondern auch Verleger. Darum unterstütze ich die 'Leipziger Erklärung' aus voller Überzeugung. Wie müssen deutlich machen: Diebstahl geistigen Eigentums ist kein Kavaliersdelikt, sondern rüttelt an den Grundfesten von Urheberrecht und künstlerischer Freiheit."

Deutliche Worte bei der Verleihung des Kurt-Wolff-Preises an Klaus Wagenbach im Berliner Zimmer. Der Verleger im Ruhestand, der seit den 60er-Jahren die bundesdeutsche Literaturwelt aufmischte mit Lyrikbänden von Erich Fried, Johannes Bobrowski und Stefan Hermlin, mit Quartheft und in rotes Leinen gebundenen Romanen, der italientischen und spanischen Schriftstellern den Weg auf die deutschen Büchertische gebahnt, kritisches Denken herausgefordert hat und noch immer ein anregender, streitbarer Geist ist. Verlegerdasein hat Klaus Wagenbach auf den einfachen Nenner gebracht: Bücher muss man ordentlich machen.