Manfred-Paul-Ausstellung in Cottbus

Das Surreale des Todes

Das Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, aufgenommen am 05.05.2008. Das in den späten 1920-er Jahren vom Berliner Architekten Werner Issel entworfene Industriedenkmal ist zum neuen Domizil zeitgenössicher Kunst umgebaut worden. Rund acht Millionen Euro gaben EU, Bund, Land und Stadt für die Bauarbeiten.
Das dkw cottbus zeigt eine Werkschau des Fotokünstlers Manfred Paul © dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Von Michaela Gericke · 28.05.2016
Bilder sind eine Möglichkeit, das Leben zu begreifen, sagt der Fotokünstler und studierte Kameramann Manfred Paul. Werden und Vergehen sind zentrale Motive seiner Arbeit. Das dkw cottbus zeigt jetzt eine Auswahl aus verschiedenen Werkzyklen Pauls.
Eine halbe, angebissene Birne, die Schale deutlich geschrumpelt; Blumen, die ihre verwelkten Blüten schon abgeworfen haben; eine Fischgräte auf weißem Teller; eine ausgepresste Pampelmuse: Schwarz-Weiß-Motive aus dem Zyklus "Stilleben", den Manfred Paul Ende Anfang der 80er-Jahre begann.
"Vielleicht sind Bilder eine Möglichkeit, überhaupt Leben zu begreifen. Zumindest Metaphern zu finden, wie man sich Leben erklärt und man stellt aber immer fest, dass es eigentlich nicht fassbar ist. Aber es ist ja so mit dem Werden und Vergehen, also überhaupt mit dem Vergehen, dass alles am Tod beendet wird. Das ist ja so auf der einen Seite was Phantastisches, Surreales, nicht Fassbares."
Der Prozess des Werdens und Vergehens - ein zentrales Motiv des studierten Kameramanns, der sich bereits als Abiturient philosophischen, existenziellen Fragen zuwandte. Aus der ländlichen Weite Sachsen-Anhalts zog er Ende der 60er Jahre nach Ost-Berlin. Wie manche seiner Kolleginnen flanierte er – immer die Kamera zur Hand –durch Straßen, fotografierte Hinterhöfe und stieß überall auf Mauern.

Fotozyklus über Stadtlandschaften

Der Zyklus über die Stadtlandschaften ist durchaus zweideutig lesbar: Einerseits zeigt er die überall sichtbare Sackgasse, geschlossene Räume selbst draußen; sie stehen für eine "geschlossene Gesellschaft", die DDR – und doch wachsen da prächtige Bäume über die Dächer hinaus und Wäsche flattert strahlend weiß auf einer Leine.
Mit seinem Blick für Schönheit und ästhetische Gestaltung selbst in der Tristesse des Alltags machte sich Manfred Paul unangreifbar: In den Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus hatte er 1985 bereits eine erste große Einzelausstellung. Inzwischen besitzt das Museum – heute das dkw Kunstmuseum Dieselkraftwerk – etwa 130 Fotos von Manfred Paul in seiner Sammlung. Sie ist auch für hochkarätige Arbeiten anderer Fotografen und Fotografinnen in der DDR bekannt. Manfred Paul gehört hier in eine Reihe mit Arno Fischer, Sibylle Bergemann, Helga Paris und anderen dieser Generation, und doch, so Carmen Schliebe, Kuratorin für Fotografie im dkw Cottbus:
"Ich denke, dass er in der Einordnung eine Einzelposition ist, immer sehr still und konsequent und bewusst mit Phänomenen umgeht: Was ist Zeit, was ist wichtig, was vergeht, also er wirft existentielle Fragen auf, die sich natürlich an so klassischen Traditionen orientierten."

Inspiration durch Walker Evans und Alfred Sieglitz

Walker Evans, Alfred Stieglitz, das sind zwei Fotografen, die Paul inspirierten, neben Filmemachern wie Fellini oder Fassbinder. Der Blick auf die Menschen seiner Zeit ist Manfred Paul genauso wichtig wie der auf die Dinge des Alltags. Seine Frau Verena porträtiert er seit 40 Jahren. Angefangen von ihrer jugendlichen Schönheit über den Schmerz bei der Geburt des Kindes, bis zu den Spuren des Lebens in Gesicht und Blick der Gefährtin. Die Porträts sind Ausdruck seines Lebensthemas, sagt Paul:
"Da gehört viel Vertrauen dazu, ähnlich wie bei der Tänzerin Steffi Scherzer, die ich fotografiert habe: Wie sich Strapazen, menschlicher Anspruch von Leistung, wie sich das auf den Körper auswirkt; wenn die Schwanensee getanzt hat. Und ich durfte einfach in der Garderobe sein, während Dinge passierten, die doch sehr intim waren. Das hängt mit dieser Achtung zusammen, dass man die Bilder ohne Einwilligung derjenigen nicht verwendet. Da hab ich viel zu viel Ehrfurcht - vor dem Menschen selbst."

Das Meer - von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang

Und vor der Schöpfung an sich. Mit einer Plattenkamera und scheinbar endloser Belichtungszeit hat Manfred Paul seit Anfang der 90er-Jahre an mehreren Tagen vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang das Meer fotografiert. Ein Zyklus in Farbe, die er auch die sehr abstrakten Aufnahmen von der Bewegung des Wassers einsetzt und die so mitunter an Aquarelle erinnern. Inspiriert wurde er dazu durch die Schriften Leonardo da Vincis über das Wasser. Manfred Paul ist allerdings auf der Hut, wenn eine Arbeit zu schön werden und die für ihn typische Gebrochenheit fehlen sollte.
Den bereits in Sammlungen großer Museen vertretenen Fotografen würdigt das dkw Cottbus mit etwa 150 Arbeiten in zwei großen Räumen. Eine Chronologie gibt es nicht, denn noch immer setzt Manfred Paul einige Zyklen fort. Manche Fotos lassen durchaus erkennen, wann sie entstanden sind, allen gemeinsam ist ihre zeitlose Ästhetik. Und sie vermitteln deutlich die Haltung des Künstlers dem Leben gegenüber: "Vielleicht geht es darum, den Dingen mit bestimmter Demut zu begegnen. Und wenn man sie überhaupt wahrnehmen darf, ist das schon ein Glück, eigentlich."

Manfred Paul – Werkzyklen
Fotoausstellung im dkw Cottbus
28. Mai bis 28.August 2016

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